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Im Interview: Henrik A. Schunk

Interview: Henrik A. Schunk
„Industrie 4.0 ist unsere größte Chance“

Welche Rolle Forschung und Entwicklung bei einem Mittelständler heute spielen, erläutert Henrik Schunk, geschäftsführender Gesellschafter der Schunk GmbH & Co. KG Spann- und Greiftechnik.
Was verstehen Sie unter angewandter Forschung, Herr Schunk?
Exzellentes Wissen und Grundlagen, die bei uns oder in Forschungsinstituten erarbeitet wurden, so umzusetzen, dass unsere Kunden bessere Produkte bekommen.
Heißt das, dass Ihr Unternehmen den direkten Kontakt zu Hochschulen und Universitäten braucht?
Die Bandbreite der Technologien nimmt laufend zu. Nicht alles davon kann man als mittelständisches Unternehmen selbst beherrschen. Deshalb brauchen wir die direkte Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen mehr denn je.
Mit welchen Forschungsinstituten kooperieren Sie?
Wir arbeiten seit vielen Jahren mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart intensiv zusammen, ebenso mit dem Karlsruher Institut für Technologie KIT. Wir vergeben an solche Institute auch Projektaufträge. Und wir bieten die Möglichkeit, Masterarbeiten und Dissertationen mit unseren Fragestellungen zu verknüpfen.
Ergeben sich dadurch auch Chancen, neue Mitarbeiter zu gewinnen, die sich bei einem aktuellen Forschungsprojekt bewährt haben?
Das funktioniert in der Tat sehr gut. Auf diese Weise haben wir schon viele fähige Mitarbeiter gewonnen. Und das wird in Zukunft für uns noch wichtiger.
Wenn ein Hochschulforscher bei Schunk zu arbeiten beginnt, wie lange dauert es, bis er volle Leistung bringt?
Etwa ein Jahr.
Liegt die große Zeitspanne daran, dass man an Hochschulen nicht in der Dynamik von Märkten denkt?
Die Zeiten sind vorbei, in denen wissenschaftliche Institute Grundlagenforschung machen, ohne einen Teil davon durch Drittmittelprojekte finanzieren zu müssen. Durch meine Verbandstätigkeiten sehe ich deutlich, wie stark die Wissenschaftler inzwischen darauf achten, was die Industrie braucht. Das Gros der Professoren sorgt dafür, dass ihre Studenten während des Studiums oder der Promotion Kontakt zur Industrie bekommen und dass die Wirtschaft ihre Arbeitsergebnisse nutzen kann. Wenn es ein Jahr dauert, bis jemand die volle Leistung bringt, liegt das also nicht en einem weltabgeschiedenen Denken von Hochschulabgängern, sondern an der Vielfältigkeit, Komplexität und vor allem an der Dynamik in unseren Forschungs- und Innovationsprojekten.
Warum ist der deutsche Mittelstand so erfolgreich?
Er versteht es weltweit wie kein Zweiter, durch seine Innovationskraft permanente Spitzenleistungen zu bringen. Es gibt deshalb auch international den Begriff „German Mittelstand“. Ich behaupte, dieser Erfolg hängt mit dem Wiederaufbau nach 1945 zusammen, der im Unternehmertum einen extremen Pioniergeist erfordert hat. Unser Unternehmen etwa wurde im Jahr 1945 von meinem Großvater gegründet. Was auch auffällt: Viele sogenannte Hidden Champions, also in der Öffentlichkeit relativ unbekannte Weltmarktführer, sind abseits der großen Städte im eher ländlich geprägten Raum zu Hause. Auch das beeinflusst die Arbeits- und Innovationskultur positiv: Engagierte Mitarbeiter identifizieren sich stark mit ihrem Unternehmen und bleiben ihm auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten treu.
Welches Mitarbeiterprofil suchen Sie?
Bisher waren es vor allem Mechaniker, Mechatroniker oder Maschinenbauingenieure. In Zukunft brauchen wir vor allem Software-Entwickler.
Schunk produziert an den Standorten Lauffen am Neckar, Hausen an der Zaber oder Mengen an der Donau. Haben Sie angesichts der Attraktivität der Arbeitsplätze bei großen Automobilherstellern und -zulieferern in diesen Regionen ein Problem, gute Mitarbeiter zu finden?
Wir bekommen genügend gute Mitarbeiter, Software-Entwickler einmal ausgenommen. Der „War of Talents“ ist dennoch allgegenwärtig. Wir setzen dagegen: Beim mittleren Mittelstand hat jeder die Chance, durch exzellente Leistungen auch ohne Studium auf der Karriereleiter nach oben zu kommen. Wir bieten inzwischen viele Möglichkeiten, gute Leistungen in unserem Unternehmen mit aussichtsreichen beruflichen Perspektiven zu honorieren. Ich kann mir vorstellen, dass wir in wenigen Jahren eine eigenständige Ausbildung zum Software-Entwickler anbieten werden. Denn Software wird bei uns im Unternehmen zur Kernkompetenz.
Worauf basiert der seit Jahrzehnten anhaltende Erfolg Ihres Unternehmens? Und wie schaffen Sie es, mit Produkten der Spann- und Greiftechnik 2700 Menschen weltweit zu beschäftigen?
Unser Erfolg basiert auf kontinuierlicher Innovationskraft, stetiger Internationalisierung und dem Bestreben, den Kunden stets ein optimales Produkt zu liefern – also einen Kundennutzen zu bieten. Wir produzieren einen neuen Greifer nur dann, wenn der Kunde damit einen echten Nutzen hat.
Wie viele Ihrer Mitarbeiter sind in Forschung und Entwicklung tätig?
Acht Prozent.
Was bedeutet Industrie 4.0 für einen Hersteller von Spannwerkzeugen und Greifsystemen?
Es ist schlichtweg die größte Chance in der Unternehmensgeschichte von Schunk.
Eine mutige Aussage!
Wir können unser Geschäft gänzlich erneuern, weil sich durch die Digitalisierung völlig neue Anwendungen und Nutzungsmöglichkeiten ergeben. Ein Riesenvorteil unserer Produkte ist es, dass unsere Greiftechniken gewissermaßen zuerst und am Nächsten am Werkstück dran sind. In der gesamten Denkweise von Industrie 4.0, bei der alles mit allem vernetzt ist, haben wir mit unseren Produkten die besten Möglichkeiten für innovative Einsätze. Nun gilt es, kreativ zu sein und die neuen Perspektiven mit Inhalten zu füllen.
Als da wären?
Greifer, die die Charakteristik eines Werkstücks selbstständig nach Gewicht oder Form erkennen. Oder Greifer, die eigenständig neues Material bestellen, wenn sie registrieren, dass der Vorrat zur Neige geht. Es gibt kaum etwas, das man nicht in intelligente Greifer integrieren könnte. Durch die Digitalisierung kommen wir bei der Wertschöpfung in ganz neue Sphären.
Seit 2008 gibt es bei Schunk die „Expert Days“ – eine hochrangige Vortragsveranstaltung in Sachen Robotertechnik. Ich hielt es zunächst für vermessen, in Lauffen oder später in Hausen eine Veranstaltung für die nationale und internationale Elite der Roboterforscher etablieren zu wollen. Doch da irrte ich: 2016 kam schon jeder zweite Referent aus dem Ausland. Was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?
Die extrem gut vernetzte Wissenschaftswelt kommt uns zu Hilfe. Dort hat man Mund-zu-Mundpropaganda für unsere Veranstaltung gemacht, bei der wir von Anfang an auch auf ein Wohlfühlklima achteten. Zudem ist diese Veranstaltung mit rund 100 Gästen klein genug, dass sich alle Teilnehmer untereinander austauschen können. Und es hat Charme, dass wir mitten in der Montage Standfläche für die teilnehmenden Institutionen und Unternehmen anbieten. Der glaubwürdige Charakter mitten in einer Produktionsstätte für Greiftechnik macht unser Symposium einzigartig. Ein Höhepunkt für mich war der nur zehnminütige Aufbau des am IPA entwickelten Serviceroboters Care-O-bot auf einer Bühne.
Den Care-O-bot des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts IPA gibt es seit Jahren und in diversen Varianten. Schon vor gut zehn Jahren sprachen die Forscher von einem Durchbruch bei Servicerobotern. Doch die sind noch immer Nischenprodukte. Offenbar hinkt die Technik dem Wunschtraum hinterher…
Darauf habe ich zwei Antworten: Erstens legt das Umsatzvolumen von Servicerobotern seit Jahren weltweit deutlich zweistellig zu. Allein in meinem engeren Umfeld kenne ich ein Dutzend Leute, die etwa einen Saugroboter im Haushalt beschäftigen. Zweitens ist der Mensch Servicerobotern noch immer in vielerlei Hinsicht überlegen. Roboter werden deshalb von uns in Deutschland nicht in dem Maß akzeptiert, wie sich das die Roboterentwickler erhofften. In Japan sieht es anders aus. Dort sind selbst ältere Menschen roboteraffin, machen ihre Gymnastik zusammen mit ihnen oder haben ein Robotertierchen auf dem Schoß, das sie tatsächlich nachweislich beruhigt.
Jens Lehmann, einst glänzender Torhüter der deutschen Fußballnationalmannschaft, ist seit 2012 Markenbotschafter von Schunk. Wie steigert ein Torhüter die Attraktivität von Spanntechnik und Greifsystemen?
Wir waren in unserer Branche das erste Unternehmen, das einen Markenbotschafter ausgewiesen hat. Das allein schafft schon Aufmerksamkeit. Weiteres Interesse erzielen wir dadurch, dass Jens Lehmann glaubwürdig unsere Kernkompetenz „Greifen“ bedient. Und: Wir als „verborgener“ Champion erleben immer und überall, dass wir durch den Auftritt von Jens Lehmann, über seine Strahlkraft, zum Gesprächsthema werden – ob auf Messen oder im Nachrichtenkanal. Durch unseren Markenbotschafter haben wir in den letzten fünf Jahren eine mediale Reichweite erzeugt und an Bekanntheit gewonnen, die ein Mittelständler per Imagewerbung nie finanzieren könnte.
Was wünschen Sie sich als Unternehmer?
Dass die künftige Bundeskanzlerin oder der künftige Bundeskanzler ab 2020 zur Besichtigung unserer vernetzten Smart Factory nach Lauffen kommt. Mit dem Schlagwort Smart Factory meine ich eine informationstechnische Verzahnung der Wertschöpfungskette von der Produktion über das Büro zum Lieferanten und umgekehrt – mit dem Menschen als Dirigenten.
Wolfgang Hess, Redaktionsdirektor Sonderprojekte der Konradin Mediengruppe

Henrik Alexander Schunk
Zusammen mit Vater und Schwester ist Henrik A. Schunk einer von drei geschäftsführenden Gesellschaftern der Schunk GmbH & Co. KG mit Sitz in Lauffen am Neckar. Schunk (*1972) studierte in Kaiserslautern, Dresden und Göteborg und schloss mit dem Diplom als Wirtschaftsingenieur an der TU Dresden im Jahr 2000 ab. Das Familienunternehmen Schunk ist weltweiter Markführer bei der Spann- und Greiftechnologie. Die Schunk Gruppe erwirtschaftete 2016 einen Umsatz von 400 Mio. Euro und beschäftigt aktuell 2700 Mitarbeiter.
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