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Intuitiver gemeinsam forschen und lernen

Virtuelle Welten: Second Life erleichtert Zusammenarbeit
Intuitiver gemeinsam forschen und lernen

Second Life bietet Unternehmen nicht nur eine zweite, sondern viele weitere Chancen. Standortübergreifende Zusammenarbeit sowie Ausbildung profitieren besonders von den virtuellen Welten – im dreidimensionalen Internet.

Dezember 2015: Sie haben es geschafft. Ein neuer Spannmechanismus an ihrer Maschine senkt die Rüstzeiten um weitere 30 %. Die Bearbeitungssimulation binden Sie in Ihre virtuelle Welt ein – im dreidimensionalen Internet – und laden Ihre Kunden ein, sich diese einmal anzuschauen. Schnell ist ein Termin vereinbart, und jetzt greifen Sie ganz tief in die Trickkiste: Da Sie für jeden Kunden jeweils eine eigene, virtuelle Halle mit exakt dessen Maschinenpark erstellt haben, können sie umgehend gemeinsam erkunden, wie sich die schnelleren Rüstzeiten auf dessen Produktion auswirken.

Science Fiction? Ja und nein. Wissenschaftler arbeiten bereits daran, das Potenzial des dreidimensionalen Internets für solche Szenarien zu erkunden. Und ihre Ideen gehen noch viel weiter: Aus- und Weiterbildung, der Erstkontakt zu neuen Mitarbeitern in Übersee und vor allem die standortübergreifende Zusammenarbeit – sie alle könnten von der Adaption des sogenannten Second Life als bislang bekanntestem Beispiel profitieren. Konkret verbirgt sich hinter Second Life zunächst das Angebot von Linden Lab, eine virtuelle 3D-Welt, in der man sogar Land kaufen und so im wahrsten Sinne des Wortes ein zweites Leben führen kann (mehr dazu: Kasten Seite 51). Dazu steuert man sein virtuelles Ebenbild – den Avatar – durch eben diese Welt virtueller Inseln und sogar Kontinente.
„Der sehr einfache Zugang zum Second Life ist für uns einer seiner größten Vorteile“, berichtet Stefan Seitz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). „Es erlaubt uns, die 3D-Welten – in unserem Fall zwei Fabrikhallen – sehr schnell zu erstellen.“ Wenn die IPA-Forscher im kommenden Jahr den 50. Geburtstag ihres Instituts feiern, wollen sie auf diesem Weg die Themen Produktion und Logistik auch Menschen näher bringen, die bislang keine Beziehung zu diesem Thema haben. Seitz, der sich im realen Leben vor allem mit der Materialflusssimulation beschäftigt, kann virtuell so sehr einfach die teils komplexen Fertigungsabläufe visualisieren. „Denn in der 3D-Welt führe ich den Besucher durch die anschauliche – weil dreidimensionale – virtuelle Halle.“
Vor allem älteren Menschen, die den Umgang mit Computern sowie Computerspielen nicht gewohnt sind, fällt es zunächst schwer, sich auf solch eine Reise ins Virtuelle einzulassen. Nachfolgende Generationen kennen diese Berührungsängste nicht.
Den kostengünstig zu realisierenden, wertschöpfenden Einsatz hat der Computerbauer Sun bei der Entwicklung virtueller Welten – in Form entsprechender Softwarewerkzeuge – im Blick. Unter dem Namen „Project Wonderland“ programmieren die Mitarbeiter der Sun Labs eine Open-Source-Software. „Im Gegensatz zu Spielen geben wir keine Welt vor“, erläutert Gerhard Hofweber vom Sun Solutions Center der Sun Microsystems GmbH in Kirchheim-Heimstetten. Vielmehr könne sich ein Unternehmen eine virtuelle Welt selbst zusammenstellen und dann auch betreiben. „Der größte Vorteil ist aber, dass man in dieser Umgebung eigene Applikationen laufen lassen kann – ohne dass sie für diesen Einsatz modifiziert werden müssen.“ Das ermöglicht es mehreren Mitarbeitern, an einem Projekt zusammen zu arbeiten, vom Erstellen einer Präsentation bis hin zur Datenauswertung beim Data-Mining.
Ganz konkret nutzt Project Wonderland das Berliner DFG-Forschungszentrum Matheon – Mathematik für Schlüsseltechnologien. „Mathematische Modelle sind in der Lage zu berechnen, wie sich etwa die Form von Molekülen aufgrund äußerer Einflüsse ändert“, berichtet Dr. Tim Conrad, Wissenschaftler am Matheon und der Freien Universität Berlin. „Mit einem solchen Modell kann ich nun im Virtuellen – basierend auf der Technologie von Project Wonderland – das Molekül abbilden.“ Der große Vorteil sei, dass der Betrachter Atome des Moleküls „anfassen“ kann und direkt berechnet wird, wie sich die Form des Gesamtmoleküls verändert. „Insbesondere im Rahmen der Ausbildung lassen sich so dreidimensionale Gebilde, wie etwa ein Molekül, sehr einfach und schnell visualisieren und damit verbundene Eigenschaften besser verstehen.“
Besonders interessant war für die Berliner Forscher, dass selbst gegenüber der ebenfalls dreidimensionalen Darstellung auf einer „normalen“ 2D-Webseite die 3D-Welt das Verstehen fördert. „Gegenüber dem Bewegen des Modells mit dem Mauszeiger auf dem Bildschirm führt die Interaktion mit dem Modell in der 3D-Welt dazu, dass unterbewusst die Molekülstruktur und vor allem dessen Dynamik viel intuitiver verstanden wird“, so Conrad weiter. „Im Virtuellen fangen die Menschen über ihren Avatar sofort an, das Molekül zu untersuchen – sie zupfen an ihm und beobachten die Reaktion darauf.“ Zusätzliche Erklärungen können per Audiokommentar, Film oder Präsentation den Lernerfolg weiter steigern – multimedial.
Da die virtuelle Welt auf den Servern der Berliner läuft und sich die eigenen Rechenprogramme ohne großen Aufwand einbinden lassen, eignet sich das „Virtuelle Matheon“ auch dazu, verschiedene mathematische Verfahren wie etwa Integrationsverfahren intuitiv darzustellen und zu vergleichen – so können sogar Auswirkungen von Änderungen in den Parametern direkt beobachtet werden. „Dazu betrachten wir in einem unserer Beispiele einen Würfel, der in der 3D-Welt hin und her springt“, erläutert der Berliner Wissenschaftler. Schnell ließe sich auf diese Weise erkennen, welcher Algorithmus mit welchen Einstellungen zur Berechnung der nächsten Würfelposition vernünftige Ergebnisse liefere und welcher nicht – wenn etwa der Würfel auseinander fliegt. „Um die Darstellung zu generieren, ist kein Zwischenschritt erforderlich, da ich direkt das jeweilige Integrationsverfahren nutzen kann – was den Einsatz dieser Technologie sehr erleichtert.“
Die Ergebnisse der Berliner auf ein Unternehmen zu übertragen, fällt nicht schwer. Ein konkretes Beispiel liefern die Computerspezialisten von Sun selbst. „Die Sun Labs sind in den USA verteilt, von der Ost- bis an die Westküste“, erläutert Gerhard Hofweber. „Trotzdem will man natürlich das Know-how aller Mitarbeiter möglichst effizient nutzen.“ Die Lösung: Über die virtuelle 3D-Welt können auch geographisch verteilte Arbeitsgruppen zusammen an einem Quelltext arbeiten. „Dazu muss sich wiederum keiner überlegen, wie sich das bewerkstelligen lässt. Project Wonderland bietet eben vor allem die Möglichkeit, eigene Applikationen im Virtuellen gemeinsam zu nutzen – und damit kann man sie sehr einfach der Außenwelt zur Verfügung stellen.“ Wer das alternativ heute über das Internet umsetzen wolle, benötige erheblich mehr Infrastruktur. Sun nutzt Project Wonderland vor allem für die Zusammenarbeit (Collaboration), besitzt zusätzlich aber im Second Life ein eigenes Land für Ausstellungen und Präsentationen.
Die Vorteile des dreidimensionalen Internets lassen sich heute auch nutzen, um Telefon- oder Videokonferenzen zu ersetzen. „Wer einmal an einer Telefonkonferenz mit mehr als drei Teilnehmern beteiligt war, weiß, wie anstrengend das sein kann“, berichtet Matheon-Wissenschaftler Conrad. Eine Videokonferenz sei verglichen damit erheblich einfacher, weil man jederzeit weiß, wer spricht und sein Gegenüber auch sieht. „Doch der Aufwand zum Übertragen der Videodaten ist erheblich und vor allem teuer“, so Conrad weiter. „Über eine Konferenz im Virtuellen kann ich die Kosten deutlich senken, denn jetzt sehe ich – auch über die gute räumliche Auflösung des Audiosignals – genau, wer spricht.“ Um entspannter zu sein, genüge bereits die recht einfache grafische Darstellung des Avatars, auch wenn diesem Emotionen nicht anzusehen sind. „Den direkten Kontakt von Mensch zu Mensch kann das sicher nicht ersetzen, aber wenn ich mein Gegenüber einmal kenne, erleichtert die 3D-Welt den Kontakt auch über Kontinente hinweg.“
Virtuelle Welten wie das Second Life seien einfach ein schönes Medium, betont IPA-Wissenschaftler Seitz abschließend. „Um einem Menschen ein Thema näher zu bringen, ist die 3D-Welt gut geeignet.“ Ein interessantes Beispiel dafür sei in Second Life auch der Mini-Kontinent Scilands, eine virtuelle Plattform für Wissenschaft und Technologie, an dem über 20 Unternehmen und Organisationen beteiligt sind, darunter die Nasa. Für Stefan Seitz ist deswegen klar, dass 3D-Welten auch Unternehmen zukünftig einiges Potenzial bieten können. Eine Umgebung, wie sie Project Wonderland liefert, könnte speziell für die Materialflusssimulation interessant werden. „Wegen der damit verbundenen großen Datenmengen und der vielen Objekten, die zu beachten sind, bin ich zwar im Moment noch skeptisch – doch die Entwicklung steht ja erst am Anfang.“ Im kommenden Frühjahr plant Sun die Veröffentlichung der Version 0.5 von Project Wonderland – bis zur Version 1 haben die Entwickler also noch eine Menge Zeit, die Leistungsfähigkeit der Software weiter zu erhöhen.
Michael Corban Fachjournalist in Nufringen
Junge Generation besitzt spielerisch Startvorteil
3D-Welt erleichtert das intuitive Verständnis

Hintergrund
Als „zweites, virtuelles Leben“ ist vor allem das Internet-Angebot „Second Life“ von Linden Lab bekannt geworden. Dabei handelt es sich um eine virtuelle 3D-Welt, in der man mit seinem virtuellen Stellvertreter, seinem Avatar unterwegs ist. Second Life ist aber nur eine Art der Umsetzung des sogenannten „dreidimensionalen Internets“. Während man dabei eine spezielle Software installieren muss und die Inhalte auf den Servern von Linden Lab liegen, liefert „Project Wonderland“ die Software zum Erstellen der 3D-Welt auf eigenen Servern – basierend auf der frei erhältlichen Java-Umgebung von Sun. So lässt sich diese 3D-Welt auch im eigenen Intranet installieren und betreiben – und damit der Zugriff begrenzen. Für das Erkunden der virtuellen Welten genügt ein 3D-fähiger Rechner – was prinzipiell die meisten neueren Rechner sind.
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