Die Zukunft fährt elektrisch. Spätestens seit 2021 kann darüber kein Zweifel mehr bestehen. Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen in Deutschland haben sich laut dem Kraftfahr-Bundesamt 2020 im Vergleich zum Vorjahr bereits mehr als verdreifacht. Das gilt jedenfalls für batterieelektrische Fahrzeuge – aber wie sieht es mit der Brennstoffzelle als Antriebskomponente aus?
Im Vergleich zu batterieelektrisch betriebenen Autos liegen die Zulassungszahlen von Brennstoffzellenfahrzeugen zurück. Eine ausbaufähige Infrastruktur, ein geringes Modellangebot und hohe Kosten stehen den technologischen Vorteilen der Brennstoffzelle – etwa kürzere Betankungszeiten sowie höhere Reichweiten – entgegen. Für potenzielle Kundinnen und Kunden sind die genannten negativen Aspekte von großer Bedeutung, und sie selbst können keinen Einfluss darauf nehmen.
Indes wird die Infrastruktur in Deutschland zur Betankung von Wasserstofffahrzeugen seit mehreren Jahren intensiv ausgebaut und soll noch 2021 eine Gesamtzahl von 100 Tankstellen in Deutschland überschreiten, so der Netzausbauplan der H2 Mobility Deutschland GmbH & Co. KG. Außerdem werden auf dem Markt vorhandene Modelle gepflegt, zuletzt etwa der Nachfolger des Toyota Mirai und im Nutzfahrzeugbereich der Renault Kangoo Z.E. Hydrogen. Die Kosten sinken ebenfalls, bleiben aber weiterhin auf hohem Niveau. Die erheblichen Ausgaben für die Fahrzeuge entstehen insbesondere durch die Fertigungskosten des PEM-Brennstoffzellenstapels.
Herstellung der Stacks ist höchst komplex
Der Brennstoffzellenstapel (englisch „Stack“) ist das Herzstück des Systems und besteht je nach Leistungsanforderung aus 300 bis 400 einzelnen, hauchdünnen Brennstoffzellen. Die Herstellung des Stacks ist daher ein komplizierter Prozess: Eine Vielzahl von Bauteilen, unterschiedliche Materialsteifigkeiten und hohe Anforderungen an die Produktionsumgebung treiben die Komplexität in die Höhe und verursachen dadurch laut VDMA heute mehr als 50 % der Gesamtsystemkosten. Der Herstellungsprozess ist aber auch deshalb so teuer, weil geringe Stückzahlen bislang noch keine Industrialisierung vorangetrieben haben und Herausforderungen der Serienfertigung bislang ungelöst sind.
Um dies zu ändern, hat der Lehrstuhl „Production Engineering of E-Mobility Components“ (PEM) der RWTH Aachen zusammen mit der Alternative Energy Driven Solutions GmbH ein Konsortium rund um die Brennstoffzellenproduktion zusammengestellt. Insgesamt 13 Partner aus der Industrie, darunter Vertreter aus dem Maschinen- und Anlagenbau sowie der Automatisierungstechnik und Fahrzeughersteller, haben sich zusammengeschlossen, um notwendige Innovationen im Industrialisierungsprozess auf den Weg zu bringen.
Die „Pain Points“ des
Fertigungsprozesses beleuchtet
Ziel des Konsortiums war es, Schwachstellen im Fertigungsprozess des Brennstoffzellen-Stacks zu identifizieren und zu überprüfen. Am „langen Tisch“ wurden daher mit allen Konsortialpartnern die „Pain Points“ des Prozesses beleuchtet, die Schwierigkeiten hervorgehoben und die tatsächlichen, technologischen Herausforderungen bewertet. Sodann wurde das Konsortium in fünf Spezialisten-Teams aufgegliedert („Deep Dive Teams“, die ihre Kompetenz gebündelt haben, um spezifische Aspekte des Fertigungsprozesses zu durchleuchten. In mehr als 50 Stunden reiner Diskussion wurden Herausforderungen identifiziert und diskutiert, die gleichzeitig großes Potenzial aufweisen, um den Automatisierungsgrad zu steigern und die Investitions- und Produktionskosten zu reduzieren. Mit den Experten der jeweiligen Fachgebiete wurde skizziert, wie diese „Pain Points“ durch Innovationen in der Produktionstechnologie behoben werden können.
Drei Innovationen wurden dabei als „Key Enabler“ identifiziert:
- Herstellung der Brennstoffzellen in einem kontinuierlichen Prozess
- Reduzierung der Ausschusskosten durch Testen von Einzelzellen
- Vereinfachung des Zellstapelns durch Vermeidung von Handhabungsschritten
Umsetzung mit Expertise aus Verbrennermotorenpoduktion
Das Potenzial für den Maschinen- und Anlagenbau in Deutschland und der EU ist hoch, da für die Umsetzung dieser Innovationen vor allem die bestehende Expertise aus der Produktion von Verbrennungskraftmaschinen benötigt wird. Der Markt für Produktionsanlagen zur Fertigung von Brennstoffzellen-Stacks bietet daher gute Möglichkeiten für einen Einstieg. Um dieses Potenzial zu quantifizieren, schätzte das Konsortiums die Investitionskosten für Maschinen zur Herstellung von Stacks ab. Im Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus ergibt sich dabei ein Potenzial von etwa 8,50 Euro je Kilowatt jährlicher Produktionskapazität. Mit Blick auf die für 2030 anvisierte Produktionskapazität der Hyundai Motor Group ergibt die Hochrechnung bereits ein Marktvolumen für Produktionsmaschinen von 833 Mio. Euro.
Kontakt:
PEM der RWTH Aachen
Bohr 12
52072 Aachen
Tel. +49 241 8027427
www.pem.rwth-aachen.de
Forum für intensiven Austausch
Die Partner der Konsortialstudie stammen aus namhaften Unternehmen verschiedener Branchen, die ein hohes Interesse an der Elektromobilität vereint. Das erste Zusammentreffen der meisten Partner fand bei den 8. Elektromobilproduktionstagen (EPT) des PEM der RWTH Aachen im Oktober 2020 statt. Zwischen den 40 Fachvorträgen rund um die Themen Batterie, Brennstoffzelle und Elektromotor hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, sich intensiv zu verschiedenen Aspekten auszutauschen. Sie nutzten besonders bei den Fachseminaren in kleinen Gruppen die Chance, über eine mögliche Kooperation im Zuge einer Konsortialstudie zu sprechen. Wer mehr über die Elektromobilität, die Batterie-, Brennstoffzellen- oder Elektromotorproduktion erfahren möchte, kann am 26. und 27. Oktober die 9. Elektromobilproduktionstage (EPT) des PEM in Aachen besuchen. Weitere Infos: www.ept.aachen.de
Im Überblick
Mithilfe dreier Innovationen lassen sich der Automatisierungsgrad der Brennstoffzellen-Stacks steigern und die Investitions- und Produktionskosten
senken.