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Industrie 4.0: Maschinen haben kein Bewusstsein

IT-Recht im Rahmen von Industrie 4.0
Maschinen haben kein Bewusstsein

Maschinen haben kein Bewusstsein
Das Verhalten von Maschinen ist mitunter nicht vorhersehbar. Würde, wie nach aktueller Rechtslage, eine permanente Überwachung der Maschine erforderlich, wären die Vorteile von Industrie 4.0 jedoch weitgehend verloren. Bild: Yucel Yilmaz/stock.adobe.com
Im Rahmen von Industrie 4.0 stellen sich neue rechtliche Fragen, die sich aber oft mit den bestehenden Gesetzen beantworten lassen. Wichtig ist zu wissen, welche Antworten denkbar sind und wo gegebenenfalls gesetzliche Lücken und Risiken hinsichtlich vertrags- und haftungsrechtlicher Aspekte bestehen.

Dr. Meinhard Erben
Managing Partner der Kanzlei Dr. Erben Rechtsanwälte in Heidelberg
Dr. Wolf Günther
Associate Partner

Das Thema Industrie 4.0 hat zunächst Einfluss auf die Vertragsgestaltung. Früher wurde ein Kaufvertrag über Maschinen (Hardware) abgeschlossen. Im Rahmen von Industrie 4.0 geht es um die Überlassung von Maschinen oder Robotern mit integrierter Software (Chip), so dass die Steuerungssoftware die wesentliche Leistung ist. Es handelt sich also nicht mehr um einen reinen Hardwarekauf (Maschinenkauf), sondern um den Kauf eines IT-Systems, gegebenenfalls mit Wartung (Pflege). Rechtlich ist das dann ein Vertrag mit gemischten Leistungen, so dass die Komplexität zunimmt.

Auch im Hinblick auf Produkte, die mit Industrie 4.0-Maschinen hergestellt werden, ändert sich die vertragliche Einordnung. Früher handelte es sich auch hier um einen Kaufvertrag. Bei Industrie 4.0 kann jeder Kunde Modifikationen und/oder Erweiterungen online einspeisen, so dass es sich je nach Änderungsumfang gegebenenfalls um einen Werklieferungsvertrag handelt, bei dem zum Teil andere Rechtsfolgen zu beachten sind.

Neu ist auch das Thema Überlassung von Maschinenfunktionen, etwa als Upgrades zu den vorhandenen Funktionen. Es handelt sich um einen gemischten Vertrag mit je nach Überlassungsart (dauerhaft oder zeitweise) kauf- oder mietvertraglichen Elementen (Überlassung von Maschinenfunktionen), dienstvertraglichen Elementen (Bereitstellung bestimmter Rechenleistung und Pflege der neu gefertigten Sache) und werkvertraglichen Elementen (Installation, Implementierung und Anpassung der Software sowie Mängelbeseitigung).

Maschinen und Vertragsabschlüsse

Eine weitere Frage im Umfeld von Industrie 4.0 ist, ob Maschinen Willenserklärungen abgeben, um Verträge zu schließen. Maschinen haben aber kein Bewusstsein, um (Rechts-)Geschäfte einzugehen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Willenserklärung letztlich von der natürlichen Person abgegeben wird, die ein Computersystem als Kommunikationsmittel nutzt. Es stellt sich aber das Problem, dass bei Industrie 4.0 an einen zeitlich weit vorgelagerten Einsatzbefehl mit dem Anwender im Einzelnen nicht im Detail bekannte Auswirkungen angeknüpft wird. Folgen hat das bei fehlerhaften Erklärungen, denn solche können zwar angefochten werden, Voraussetzung dafür ist aber, dass Gewolltes und Erklärtes auseinanderfallen (Versprecher, Schreibfehler). Das gilt auch für falsche Übermittlung durch Boten oder aufgrund technischer Fehler.

Daher sind Anfechtungen grundsätzlich auch bei Erklärungen durch Maschinen möglich. Rechtlich unerheblich ist allerdings der sogenannte Motivirrtum, zum Beispiel der Irrtum über den eigenen Bedarf, aber der „Irrtum“ der Maschine ist in der Regel wohl als technischer Fehler, also als falsche Übermittlung einzustufen, da Maschinen keine „Motive“ für ihr Handeln haben. Anders ist das natürlich, wenn der Irrtum über den Bedarf schon bei der Programmierung vorlag und diese entsprechend beeinflusst hat.

Haftungsrechtliche Aspekte

Ein weiterer wichtiger Aspekt von Industrie 4.0 ist, wer für Schäden durch Roboter/Maschinen haftet, wem also die Handlung oder Fehlentscheidung zugerechnet wird. Roboter haben keinen Willen im eigentlichen Sinne, sondern werden durch den Anwender in Gang gesetzt. Handlungen und Entscheidungen des Roboters/der Maschine werden dem Anwender daher grundsätzlich wie eigenes Verschulden zugerechnet. Bei fehlerhafter Programmierung sind Regressansprüche des Anwenders gegen den Hersteller möglich.

Die Frage ist aber, welche Sorgfaltsanforderungen bei Einsatz von Industrie 4.0 bestehen, das heißt, für welche Fehlfunktionen gehaftet wird. Denn das Verhalten von Maschinen ist zwar gegebenenfalls nicht vorhersehbar, aber der Einsatz beruht auf dem Entschluss des Betreibers. Daher gelten zunächst alle üblichen Sorgfaltsanforderungen für Inverkehrbringen und Wartung, wie etwa Produktbeobachtungspflichten und Rückrufpflichten. Deshalb wird man nach derzeitiger Rechtslage wohl eine permanente Überwachung der Maschine für erforderlich halten müssen. Damit wären dann aber die Vorteile von Industrie 4.0 weitgehend verloren.

Denkbar wäre daher, dass der Gesetzgeber geringere Sorgfaltsanforderungen aufstellt, dafür aber eine sogenannte Halterhaftung einführt, wie sie jetzt schon für (auch autonome) Fahrzeuge gilt, vergleichbar § 7 StVG (ähnlich wie die Tierhalterhaftung). Denn neben der „normalen“ Haftung bei Verschulden gibt es die Gefährdungshaftung, das heißt eine Haftung ist auch komplett ohne Verschulden der Aufsichtsperson oder des Halters möglich. Haftungsgrund ist dann nur, dass der Haftende etwas potenziell Gefährliches „auf die Allgemeinheit losgelassen“ hat, etwa ein Auto für den Straßenverkehr zulässt oder Tiere hält. Weiter denkbar wäre eine Kombination mit Pflichthaftpflichtversicherungen wie bei Kraftfahrzeugen.

Es zeigen sich also neue rechtliche Herausforderungen, aber eine grundsätzliche Änderung des Rechtsrahmens ist derzeit nicht erforderlich. Gegebenenfalls wären aber bestimmte Änderungen sinnvoll, etwa eine Halterhaftung und Pflichthaftpflichtversicherung für Industrie 4.0.

Datenschutzrechtliche Aspekte bei Industrie 4.0

Im Rahmen von Industrie 4.0 findet oft eine umfangreiche Übermittlung personenbezogener Daten statt, z.B. bei Daten aus der und in die Cloud. Hierfür ist grundsätzlich die konkrete Einwilligung der hiervon Betroffenen Voraussetzung. Soweit keine konkrete Einwilligung vorliegt, ist eine Speicherung und Verwertung nur erlaubt, soweit das zur Vertragsdurchführung mit den Betroffenen erforderlich ist, was in der Regel nicht der Fall ist, oder wenn dies der Wahrung berechtigter Unternehmensinteressen dient, d.h., die schutzwürdigen Interessen Betroffener dürfen berechtigte Unternehmensinteressen nicht überwiegen. In der Regel überwiegen aber die Interessen der Betroffenen. Lösungsmöglichkeit ist daher wohl nur, die Daten zu anonymisieren, wenn und soweit das möglich ist; im Übrigen hilft nur die Einwilligung der Betroffenen.

Eine weitere Frage ist, wem die Daten aus Industrie 4.0-Anwendungen gehören, zum Beispiel Kfz-Daten über Fahrzeugzustand und Fahrweise, Standortdaten. Es gibt kein „Eigentum“ im klassischen Sinn an Daten. Die Frage ist also eher, wer anderen die Verwendung von Daten untersagen kann.

Für allgemeine Daten (etwa Ölstand einer Maschine) gilt, dass wer Daten gesammelt hat, Dritten die Verwendung nur untersagen kann, wenn die Daten als Datenbank geschützt sind. Voraussetzung dafür ist eine systematische Anordnung und eine erhebliche Investitionen für die Erstellung der Datenbank. Für personenbezogene Daten gilt zusätzlich, dass wer die Daten mit Erlaubnis Betroffener gesammelt hat, diese nutzen darf, aber nur für den Zweck, dem ausdrücklich zugestimmt wurde. Bei autonomen Maschinen sind viele Daten personenbezogen, der Ölstand eines Kfz erlaubt zum Beispiel Rückschluss auf die Fahrzeugnutzung, der Kilometerstand i.V.m. dem Faktor Zeit erlaubt gegebenenfalls Rückschlüsse auf Geschwindigkeit und Art der benutzen Straße (Autobahn, Stadtverkehr). Produktionsmaschinen können die Kontrolle des Verhaltens von Arbeitnehmern ermöglichen. Aus Herstellersicht müssen daher vertragliche Regelungen über die Datennutzung getroffen werden.

Im Hinblick auf Arbeitnehmer ist zudem zu beachten, dass der Betriebsrat ein gesetzliches Mitbestimmungsrecht über die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen hat, die objektiv zur Verhaltens- oder Leistungskontrolle geeignet sind, auch wenn sie subjektiv dazu nicht genutzt werden. Die Zulässigkeit ist an die Einwilligung des Arbeitnehmers oder entsprechende Betriebsvereinbarungen gebunden, wobei die Einwilligung nur wirksam ist, wenn sie ohne Zwang abgegeben wird. Das ist wegen des Abhängigkeitsverhältnisses nur denkbar, wenn der Arbeitnehmer auch Vorteile hat, was eher nicht der Fall sein wird, so dass letztlich eine Betriebsvereinbarung erforderlich ist.

Industrieanzeiger
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