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Mehr Schutz für Rechteinhaber, aber Lücken bleiben

Neue Grenzbeschlagnahme-Verordnung: Hilfe gegen Produktpiraten
Mehr Schutz für Rechteinhaber, aber Lücken bleiben

Recht | Bei der Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie hilft in der Regel nur die konsequente Rechtsdurchsetzung. Eines der wichtigsten Instrumente ist dabei die Grenzbeschlagnahme.

RA Dr. Thomas Jochheim Anwaltskanzlei Klinkert Zindel Partner, Frankfurt/M. Einer seiner Schwerpunkte ist die Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie

Durch die europäische Grenzbeschlagnahme-Verordnung, aber auch im Rahmen nationaler Rechtsvorschriften, können die Zollbehörden auf Antrag des Schutzrechtsinhabers potenziell nachgeahmte Produkte anhalten und deren Prüfung veranlassen. Der Anwendungsbereich der Grenzbeschlagnahme-Verordnung ist immer dann eröffnet, wenn schutzrechtsverletzende Waren aus Drittländern in die Europäische Gemeinschaft importiert oder aus dieser exportiert werden. Eine Beschlagnahme nach den nationalen Vorschriften ist gegenüber der Grenzbeschlagnahme-Verordnung nachranging und kommt vor allem dann in Betracht, wenn an den Binnengrenzen schutzrechtsverletzende Waren aus anderen Mitgliedsstaaten entdeckt werden.
Im Jahr 2012 wurden die deutschen Zollstellen über 24 000 Mal aufgrund des Verdachts einer Rechtsverletzung tätig. Der Gesamtwert der mehr als 3 Mio. angehaltenen Produkte belief sich dabei auf 127 Mio. Euro. In 95 % der Fälle erfolgte die Prüfung der Waren nach der Grenzbeschlagnahme-Verordnung. Am 1. Januar 2014 wurde die bisherige Grenzbeschlagnahme-Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 vom 1. Juli 2004 („alte VO“) von der neuen Grenzbeschlagnahme-Verordnung (EU) Nr. 608/2013 („neue VO“) ersetzt.
Die neue VO behält das bisherige System im Wesentlichen bei. Danach wird der Zoll – bis auf Ausnahmefälle – nur auf Antrag tätig. Der Antrag erfolgt in Deutschland gebührenfrei über die Zentralstelle Gewerblicher Rechtschutz (ZGR, www.zoll.de).
Bereits nach der alten VO empfahl es sich, im Antrag möglichst detailreiche Erkennungsmerkmale anzugeben, die den Zollbeamten dabei helfen, Originale von Fälschungen zu unterscheiden. Nach der neuen VO muss der Schutzrechteinhaber nunmehr auch verbindlich detailliertere Angaben machen, wie etwa die Benennung der autorisierten Vertriebshändler, so dass den Zollbeamten eine bessere „Risikoanalyse“ bei der Entscheidung, ob eine Fälschung vorliegt oder nicht, möglich ist.
Eine der wichtigsten Neuerungen ist die Erweiterung des Schutzgegenstands. Konnte der Antrag nach der alten VO auf Marken, Patente, Geschmacksmuster, Urheberrechte, ergänzende Schutzzertifikate, Sortenschutzrecht, Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben gestützt werden, so werden diese Schutzrechte nach der neuen VO ergänzt um
  • Handelsnamen (zum Beispiel Audi oder Gardena),
  • Gebrauchsmuster (häufig chemische Stoffe, Nahrungs- und Arzneimittel),
  • Topographien von Halbleitererzeugnissen (etwa die geometrische Gestaltung eines Mikrochips),
  • Vorrichtungen zur Umgehung technischer Maßnahmen (etwa Hackersoftware) und
  • geografische Angaben für Nicht-Agrarerzeugnisse (beispielsweise „Cambridge Institute“).
Nach der Stattgabe des Antrages kontrolliert der Zoll für die Dauer von zunächst maximal einem Jahr, ob eingeführte und gegebenenfalls ausgeführte Waren die Schutzrechte des Antragstellers verletzen. Werden verdächtige Waren festgestellt und sodann beschlagnahmt, informiert der Zoll – wie bisher auch – den Schutzrechtsinhaber. Dieser muss dann innerhalb von zehn Arbeitstagen mitteilen, ob seines Erachtens eine Rechtsverletzung vorliegt und ob er der Vernichtung der Waren zustimmt. Die Benachrichtigung des bestimmungsgemäßen Empfängers der Waren über die geplante Vernichtung übernimmt nach der neuen VO nun allerdings der Zoll selbst.
Wie bereits aus der alten VO bekannt, wird die Zustimmung des Empfängers vermutet, wenn er nicht binnen zehn Arbeitstagen widerspricht. Erfolgt ein Widerspruch, so muss der Schutzrechtsinhaber dem Zoll die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens nachweisen, um die Aufhebung der Beschlagnahme zu verhindern. Neben diesem „Basisverfahren“ sieht die neue VO auch ein „Kleinsendungsverfahren“ für Waren vor, die eine Marke, ein Geschmacksmuster, Urheberrechte oder geographische Herkunftsangaben verletzen. Eine „Kleinsendung“ ist zurzeit definiert als Post- oder Eilkuriersendung, die entweder höchstens drei Einheiten enthält oder ein Bruttogewicht von weniger als 2 kg hat.
Hat der Schutzrechtsinhaber die Anwendung des Kleinsendeverfahrens beantragt, informiert der Zoll bei der Beschlagnahme einer Kleinsendung zunächst nur deren Empfänger darüber, dass die Vernichtung beabsichtigt ist. Der Schutzrechtsinhaber muss sich nur dann beteiligen, wenn ein Widerspruch des Empfängers erfolgt. Dieses Verfahren bringt insbesondere eine Erleichterung für solche Unternehmen mit sich, die mit einer großen Anzahl von Verletzungen konfrontiert werden.
Die Kosten für die Vernichtung der Plagiate trägt der Schutzrechtsinhaber, die er aber gegenüber dem Absender oder dem Empfänger als Schadensersatz geltend machen kann. Ansonsten bleiben das Grenzbeschlagnahmeverfahren und der Antrag weiterhin kostenlos.
Neben den zu begrüßenden Neuerungen vermag es die neue VO nicht, die Lücken der alten VO gänzlich zu schließen. So bietet auch sie keinen Schutz vor illegalen Parallelimporten, also solchen Waren, die zwar mit Zustimmung des Schutzrechtsinhabers hergestellt, aber im Europäischen Wirtschaftsraum erstmals ohne seine Zustimmung in den Verkehr gebracht wurden.
Gleiches gilt für sogenannte Overruns, also Waren, die durch eine vom Schutzrechtsinhaber grundsätzlich berechtigte Person unter Verletzung der Mengenvorgabe hergestellt wurden. Begründet wird diese Aussparung damit, dass es sich hier jeweils um Originalwaren handele und es daher nicht angemessen erscheine, wenn die Zollbehörden ihre Anstrengungen auf diese Waren konzentrierten.
Nicht erwähnt und damit weiterhin ungeregelt bleibt auch der Transit oder die ungebrochene Durchfuhr von schutzrechtsverletzenden Waren. Zwar können all diese Verletzungshandlungen Gegenstand einer Grenzbeschlagnahme nach den nationalen Vorschriften sein, da aber an den innergemeinschaftlichen Grenzen nicht mehr regelmäßig kontrolliert wird, sind die Erfolgsaussichten deutlich geringer als eine Grenzbeschlagnahme nach der neuen VO, so dass hier ein entsprechender Lückenschluss wünschenswert gewesen wäre.
Unternehmen, die noch über stattgegebene Anträge auf Basis der alten VO verfügen, sollten beachten, dass diese Anträge zwar ihre Gültigkeit behalten, jedoch nicht mehr verlängerbar sind. Auch eventuelle Änderungsanträge, wie zum Beispiel die Beantragung des Kleinsendeverfahrens müssen der neuen VO entsprechen. Es empfiehlt sich daher, sich frühzeitig über sämtliche nach der neuen VO notwendigen Angaben für den Neuantrag zu informieren. •

Neue Datenbank Neu eingeführt wurde die unionsweite Zollinformationsdatenbank COPIS (=anti-Counterfeit and anti-Piracy Information System), mit deren Hilfe den Zollbehörden aller Mitgliedstaaten die vom Rechtsinhaber gestellten Anträge und die darin enthaltenen Informationen zur Verfügung gestellt werden können.
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