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Mit Process Mining gegen Variantenflut

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Mit Process Mining gegen Variantenflut

Passt ein produzierendes Unternehmen sein Produktportfolio stetig an und optimiert damit das Kosten-Nutzen-Verhältnis, wirkt dies erfolgsentscheidend. Mit Blick auf die Komplexitätsbewertung des Produktportfolios birgt das Internet of Production erhebliche Potenziale.

Prof. Günther Schuh, Dr. Christian Dölle, Julian Kreß
WZL der RWTH Aachen

Innerhalb der produzierenden Industrie ist die Variantenvielfalt durch historisch gewachsene Produktprogramme und den Trend, kundenindividuelle Lösungen in das Produktportfolio zu integrieren, mit dem Ziel, auch kleinere Marktsegmente oder gar Nischen zu bedienen, stetig gestiegen. Verstärkt wird diese Entwicklung durch die voranschreitende Digitalisierung, die in den letzten Jahren zu einer weiteren Verkürzung der Produktlebenszyklen geführt hat.

Die Folge ist vielfach ein zu breites und umfangreiches Produktportfolio, das in Teilen oftmals nicht wirtschaftlich ist, da die Kosten den Nutzen der Produktvielfalt übersteigen. Dies ist insbesondere der Tatsache geschuldet, dass Exotenvarianten, die nur einzelne Kunden adressieren, zumeist im Vergleich zu den damit verbundenen Komplexitätskosten einen geringen Umsatz generieren. Ziel eines jeden Unternehmens sollte es somit sein, die optimale Produktvielfalt zu bestimmen, die für einen Erfolg am Markt notwendig ist und sich durch ein optimales Verhältnis von Nutzen zu Kosten auszeichnet. Auf dieser Grundlage ist eine Anpassung des Produktportfolios möglich.

Strategien zur Bewertung der internen Komplexität

Um den beschriebenen Herausforderungen zu begegnen und die steigende externe Marktkomplexität zu beherrschen, wurden verschiedene Strategien zur Bewertung der internen Komplexität etabliert. Eine Möglichkeit stellt die retrospektive Überprüfung der Variantenvielfalt hinsichtlich der Profitabilität einzelner Varianten dar. Um unrentable Varianten aus dem Portfolio zu streichen und somit das bestehende Produktprogramm hinsichtlich seiner Profitabilität systematisch zu optimieren, ist eine Berechnung der Komplexitätskosten notwendig.

Unter Komplexitätskosten werden hierbei Kosten verstanden, die durch die Erstellung einer neuen Variante in den verschiedenen Unternehmensbereichen entstehen. Mit Hilfe der Komplexitätskostenberechnung können Gemeinkosten, die bisher über einen Gemeinkostenschlüssel auf alle Produktvarianten verteilt wurden, einzelnen Produktvarianten verursachungsgerecht zugeordnet werden. Dies verhindert eine Quersubventionierung unrentabler Varianten, die auf Grundlage dieser Erhebung identifiziert und systematisch aus dem Produktprogramm gestrichen werden können.

In Abteilungen und Prozessen entstehen varianteninduzierte Aufwände

Die Erhebung der Komplexitätskosten erfolgt heutzutage interviewbasiert, da das notwendige Wissen dezentral im Unternehmen vorliegt. Relevante Informationen befinden sich in verschiedenen IT-Systemen oder sie sind nur einzelnen Mitarbeitern implizit bekannt. Für die Erhebung der Komplexitätskosten müssen deshalb zunächst relevante Abteilungen und Prozesse identifiziert werden, in denen varianteninduzierte Aufwände entstehen. Erfahrungsgemäß entsteht der Großteil dieser Aufwände insbesondere in Entwicklungsabteilungen, sowie in den Bereichen Logistik, Qualität oder Beschaffung. Das Vorgehen zur Ermittlung der Aufwände fokussiert sich dabei auf die Prozesse, in denen ein erhöhter Aufwand durch Produktvielfalt entsteht.

Nachfolgend gilt es, relevante Kostentreiber, wie etwa die Anzahl der neuen Materialnummern oder die Anzahl neuer Lieferanten, in den einzelnen Prozessen zu identifizieren und die damit verbundenen Aufwände zu quantifizieren. Nach der Aufnahme der Daten werden diese konsolidiert und die Komplexitätskosten für einzelne Produktvarianten werden berechnet. Unwirtschaftliche Produktvarianten werden damit systematisch auf Basis einer verursachungsgerechten Kostenberechnung identifiziert und das Portfolio kann nachfolgend optimiert werden. Die interviewbasierte Erfassung der Komplexitätskosten ist jedoch sehr langsam und aufwendig. Sie ist zudem stark von der subjektiven Bewertung der Interviewpartner abhängig.

Modell unterstützt bei der Ermittlung der Komplexitätskosten

Im Rahmen des Exzellenzclusters „Internet of Production“ wird am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen ein Modell entwickelt, das bei der Ermittlung der Komplexitätskosten unterstützt und produzierenden Unternehmen eine (teil-)automatisierte und produktlebenszyklusübergreifende Berechnung der Komplexitätskosten ermöglicht. Eine (Teil-)Automatisierung der Komplexitätskostenberechnung erfolgt dabei durch den Einsatz des Process Mining. Als Datengrundlage des zu entwickelnden Modells dienen die in verschiedenen IT-Systemen hinterlegten Produkt- und Prozessdaten. Tätigkeiten, welche durch IT-Systeme unterstützt werden, werden bereits heute durch diese aufgezeichnet und Aktivitäten protokolliert. Relevante Daten für die Komplexitätskostenberechnung sind somit digital verfügbar, werden jedoch hinsichtlich einer Komplexitätskostenberechnung nur unzureichend genutzt.

In IT-Systemen verteilte und dezentral gespeicherte Prozessdaten werden extrahiert

Durch die voranschreitende digitale Unterstützung von Tätigkeiten wird der Umfang zur Verfügung stehender Produkt- und Prozessdaten in Zukunft kontinuierlich zunehmen. Das zu entwickelnde Modell identifiziert und extrahiert die für die Komplexitätskostenrechnung relevanten Daten innerhalb der verschiedenen IT-Systeme, wertet diese nachfolgend kontinuierlich aus und visualisiert sie. Die größte Herausforderung besteht hierbei darin, die entlang des Produktlebenszyklus in verschiedenen IT-Systemen verteilten und dezentral gespeicherten Prozessdaten zu extrahieren.

Vor diesem Hintergrund wird auf den vielversprechenden Lösungsansatz der Methode des Process Mining zurückgegriffen. Die Grundidee von Process Mining ist es, tatsächliche Prozesse, das heißt Arbeitsabläufe, durch automatisiertes Extrahieren von Modellen aus Ereignisprotokollen von IT-Systemen zu erkennen, zu überwachen und zu verbessern. Ereignisse beziehen sich dabei auf eine Vielzahl von Vorgängen, wie beispielweise das Anpassen von Artikelstammdaten oder das Erstellen eines Prüfdokuments innerhalb der Qualitätskontrolle. Mit Hilfe des Process Mining können bereits vorhandene Daten, die während der IT-gestützten Durchführung von Prozessen protokolliert werden, genutzt und in ein Modell zur Komplexitätskostenberechnung überführt werden.

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