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„Mit Standards lässt sich kein Vorteil erarbeiten“

Hitachi-Europachef Klaus Dieter Rennert zur Positionierung Japans bei Industrie 4.0
„Mit Standards lässt sich kein Vorteil erarbeiten“

Japan im Kontext von Industrie 4.0 – wie sich Nippon bei der Digitalisierung und neuen Geschäftsmodellen positioniert, erläutert Klaus Dieter Rennert, Europachef von Hitachi mit Sitz in Maidenhead Berkshire westlich von London. §

Autor: Dietmar Kieser

In den USA heißt die Fabrikarbeit der Zukunft ,Internet der Dinge‘, hierzulande Industrie 4.0. Wie ist der Sprachgebrauch in Japan?

Ein äquivalentes Schlagwort mag es geben. Zunehmend wird jedoch über Industrie 4.0 gesprochen. Unser Einfluss ist hier nicht zu unterschätzen. Hitachi ist sowohl im BDI als auch im japanischen Äquivalenzverband, dem Keidanren, hochrangig vertreten. Dort haben wir vor einem Jahr den deutschen Ansatz vorgetragen, was für viel Begeisterung gesorgt hat. Doch offen gesagt hat Japan viel früher begonnen mit dem, was wir als den neuen industriellen Trend sehen. Aber die Unterstützung durch Staat und Wirtschaft und dass Deutschland synchronisiert und abgestimmt vorgeht, beeindruckt in Japan.
Worin unterscheidet sich die Entwicklung in Japan vom ,Internet of Things‘ der USA?
Japan wie auch Deutschland pflegen einen zweifachen Ansatz: Wir überlegen uns, was innovativ gemacht werden kann, welche neuen Prozesse man einführen kann, denken aber auch an Standardisierung. Wir gehen nicht gleich in die Massenverbreitung. Japan ist eindeutiger Vertreter von Open-Source-Philosophien. Für uns sind Standards nicht wie früher in Europa Barrieren, um andere fern zu halten, sondern um schneller und effektiver zu arbeiten. Es geht darum, bessere Wege der Kommunikation zu finden, wie man alles, was ,Internet of Things‘ verbinden will, auch untereinander kommunizieren lässt.
Schlagen Japan, Amerika und Europa jeweils eigene Wege ein?
Überhaupt nicht. Einer der wichtigsten Gründe ist, dass wir alle global arbeiten. Kein modernes Produkt vereint rein nationale Erzeugnisse in sich. Umso mehr braucht es mit Blick auf Zulieferer und Kunden, aber auch auf Wartungssysteme, ein offenes System, das weltweit wirkt. Es gibt keinen landesspezifischen Standard, auch keinen deutschen Ansatz, um sich abzuheben. Ganz im Gegenteil.
Derzeit herrscht überall digitale Aufbruchstimmung. Der schwierige Akt der Transformation der Wirtschaft steht noch bevor. Wo steht Japan auf dieser Zeitschiene?
Für die Gesamtindustrie lässt sich das kaum bewerten, eher für Einzelbereiche wie etwa das Transportwesen. Japans Staatspräsident muss vor die TV-Kameras, wenn die Züge in Tokyo nicht pünktlich sind. Dort gibt es ein System, das die Komponenten von Industrie 4.0 schon seit einiger Zeit beinhaltet. Es wird weiter ausgebaut, aber im Prinzip sind alle diese Systeme, die mit dem Transport von Passagieren im Großraum Tokyo befasst sind – mit der Einsatzplanung der Züge, mit Notfallreaktionen, wenn irgendwann Wartung oder Austausch notwendig ist – bereits virtualisiert. Verknüpft mit Echtzeitdaten lassen sich Entscheidungen treffen, die auf der Basis gerade stattgefundener Ereignisse basieren. Damit wird eine Genauig-keit im Betrieb der Züge erreicht, die wir in Deutschland gerne hätten.
Ist dieses System landesweit installiert?
Es befindet sich im Großraum Tokyo, wird aber ausgebaut. Doch bereits für diesen Großraum ist es eine Herkulesarbeit. Immerhin werden zehn eigenständige Systeme verwaltet. Aufgrund der Komplexität lässt sich nicht alles in ein einziges virtuelles System packen. Dieses Cyber-Modell würde jede Vorstellung sprengen. Die Lösung sind definierte Teilsysteme, die im Sinne von Industrie 4.0 eine Symbiose mit einem übergeordneten System bilden. Dieses ,Symbiotic Autonomous Decentralized System Management‘ verändert die Zielvorgaben für die unterschiedlichen Systeme so, dass das Gesamtziel erreicht wird.
Ist die Vernetzung auch in der japanischen Fertigungsindustrie so weit fortgeschritten, dass man von einer reifen Digitalisierung sprechen kann?
Nein, nur in Teilbereichen. Wie in Deutschland und vielen anderen Ländern gibt es in Japan erste kleine Prototypen. Hitachi selbst wird bis 2017 zwei unter4schiedliche Fertigungsstandorte komplett auf Industrie 4.0 umbauen.
Gibt es in Japan ähnliche Bestrebungen wie in Deutschland mit einem Referenzmodell Industrie 4.0?
In Deutschland wird gerne eine globale Führungsrolle eingefordert. In solchen Begriffen sollte man bei diesen Systemen aber nicht denken. Vielmehr muss eine Partnerschaft zwischen allen Beteiligten aufgebaut werden. Mit einer Definition von Standards oder Prozessen lässt sich heute kein Vorteil mehr erarbeiten.
Was davon kann von Hitachi nach Europa transferiert werden?
Alles, weshalb ich etwas ausholen muss. Schon am Gründungstag von Hitachi vor über 100 Jahren sagte unser Gründer, wir sollten etwas für die Gesellschaft tun. Unsere Innovationen nennen wir deshalb Social Innovation, da wir davon ausgehen, dass man nur nachhaltig arbeiten kann, wenn ein breites Publikum schätzt, was wir tun. Zudem orientieren wir uns als japanisches Fertigungsunternehmen sehr stark an Qualität und richten uns daran aus. Zudem gibt es Feedback-Prozesse. Dieses Denken in Regelvorgängen hat zum Ausbau einer ganz anderer Fertigungsmentalität und -philosophie geführt, die wir Monozukuri nennen.
Hitachi agiert aber auch seit langem im IT- und Kommunikationsbereich…
…und betreibt ein großes DV-Unternehmen, das nicht nur Hardware baut, sondern auch Cloud-Technologien oder Big-Data-Analy-sen erstellt. Ein großes Beratungsunternehmen hilft Kunden, Industrie 4.0 einzuführen. Durch unsere auf Fertigung basierende Philosophie haben wir die Kompetenzen und Ressourcen, dies in der Software-Welt umzusetzen. Überdies ist Hitachi eines der am weitesten fortgeschrittenen Unternehmen bei der Robotik. Einer unserer Roboter stellt fest, ob wir Freude haben bei dem, was wir tun. Roboter sehen wir nicht mehr nur in der Fertigung von einem Schutzzaun umgeben. Die alternde Gesellschaft braucht die Unterstützung durch Roboter im Haushalt, in Krankenhäusern und in Pflegeheimen. Roboter, die auf den Menschen Acht geben und nicht umgekehrt. Man muss sie smart und sozialverträglich machen. Wenn es hier funktioniert, warum dann nicht auch im Fabrikbetrieb? Dies wird zu einer völlig anderen Schnittstelle führen.
Sind das nicht die Entwicklungstendenzen der heutigen Zeit?
Gewiss sind wir nicht die einzigen, aber weit fortgeschritten. Dazu befähigen uns die Tradition, die Ressourcen, die Ausrichtung unserer F+E – wir geben mehr als vier Prozent aus, Europa kämpft darum, auf drei Prozent zu kommen. Wir haben eigene Forschungszentren aufgebaut nur für diese Social Innovation. Was wir also nach Deutschland bringen? Alles.
Gibt es bereits Geschäftsmodelle im Sinne Industrie 4.0, die Sie auch in Europa anbieten?
Wir haben verschiedene Entwicklungen im Prototypenstatus. So fährt Hitachi in England ein Smart City- und ein Smart Energy-Modell. Im Gesundheitsbereich engagieren wir uns in einem Diabetes-Verfahren. Wir bauen Energieeffizienzsysteme für Stadtwerke auf und sind im Connected-Car-Bereich unterwegs. Dabei hauen wir aber nicht so auf die Pauke, wie einige unserer europäischen Wettbewerber.
Gibt es umgekehrt etwas, was Sie nach Japan exportieren könnten?
Beispielsweise Energieeffizienz oder Health Care. Doch Konzerne wie Hitachi sind global tätig. An welchem Ort sie forschen, spielt keine Rolle. Wir können nur dann bestehen, wenn wir all das, was irgendwo passiert, zusammenführen und sämtliche Informationen wieder zurückspielen. Das Schwesterprojekt für deutsche Stadtwerke ist übrigens eines in Maoui auf Hawaii. •
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