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Mehr Sinngebung, weniger Umstrukturierung

Die Personalentwicklung steht vor neuen Herausforderungen
Mehr Sinngebung, weniger Umstrukturierung

Dringender denn je braucht es einer betrieblichen Sinngebung, die aus der Erkenntnis erwächst, dass sich soziale Systeme nicht wie Maschinen steuern lassen.
„Zukunft war gestern. Heute müssen wir über Zukünfte nachdenken.“ In zwei Sätzen umreißt Dr. Rainer Hillebrand, stellvertretender Vorstandvorsitzender der Otto Group, die grundsätzlich veränderte Aufgabenstellung der Unternehmensführung. Davon ist auch die Personalentwicklung betroffen. Durfte Personalentwicklung bislang im Großen und Ganzen von einem kontinuierlichen Gang der Entwicklung ausgehen, ist ihr diese Eindimensionalität in der Handlungsausrichtung nun genommen. Auf Zukünfte statt auf Zukunft vorzubereiten, verlangt, den Umgang mit Vermutungen in die Entwicklungsarbeit einfließen zu lassen und auf die Einschätzung von Imponderabilien vorzubereiten. Dazu gehört auch, Ambiguitätstoleranz einzuüben, also mehrdeutige Situationen und widersprüchliche Handlungsweisen zu ertragen.
Soll die Personalentwicklung ihrer Aufgabe gerecht werden, hat sie zwangsläufig auch eine Belegschaft nicht allein auf multiple Entwicklungsmöglichkeiten einzustimmen, sondern auch auf die Diskontinuität des sich entwickelnden Geschehens. Überdies hat sie die Belegschaft auf die Bewältigung abrupter Brüche vorzubereiten, ihr Kriterien für die Einschätzung der zwischen Möglichem und Wahrscheinlichen oszillierenden Zukunft zu vermitteln.
Aufgrund der Ungewissheit, mit der sie sich auseinandersetzen muss, wird Unternehmensführung zunehmend ein spekulatives Geschehen. Umso mehr muss auch die Mitarbeiterschaft in die Lage versetzt werden, an dieser Ungewissheit nicht irre zu werden, sich nicht in Mutmaßungen und Befürchtungen zu verlieren. Unternehmensführung muss, zumindest in ihren Führungspersonen, die Kunst des abwägenden Sondierens lernen.
Zu all dem gehört aber auch, zu trainieren, mit den sich bei diesem Dauerlauf über schwankenden Boden zwangsläufig einstellenden Ängsten und Befürchtungen fertig zu werden. Es sind nur Wenige, die bei dem Gedanken, dass heute Morgen, geschweige denn Übermorgen keineswegs in gewohnter Weise weitergehen wird, nicht ein flaues Gefühl beschleicht. Es macht unsicher, nicht wirklich zu wissen, welches Komponentengefüge aus Eigenschaften, Wissen und Können unter dem Aspekt einer sich überstürzenden technologischen Entwicklung einerseits und den weltwirtschaftlichen Entwicklungen andererseits letztlich als Trumpfkarte bei der persönlichen Zukunftsbewältigung sticht. Und noch mehr verunsichert die Frage nach der Zukunft des eigenen Arbeitsplatzes.
Daraus erwächst eine Aufgabe, der sich verantwortungsbewusste Personalentwicklung konzentriert widmen muss: Den ihr anvertrauten Menschen zumindest ein gewisses Gefühl der Sicherheit in der waltenden Unsicherheit zu vermitteln. Eine Belegschaft, die mit immer weicheren Knien zur Arbeit kommt, die mit ihren nachvollziehbaren Ängsten allein gelassen, dafür aber mit immer neueren Anforderungen belastet wird, kann sich nicht als mutige, geschweige denn wagemutige Belegschaft in den Dunst der Zukunft vortasten. Dabei ist einzig und allein ein solcher mentaler Zuschnitt der Belegschaft der Garant für die Dynamik und die unverdrossene Schwungkraft, die ein Unternehmen in diese interpretationsunwillige Zukunft trägt.
Es ist diese Kurzsichtigkeit auf der Ebene des Zwischenmenschlichen, die den Unternehmen unter dem Strich den Weg in die Zukunft viel schwerer macht als er bei um- und weitsichtigerer Handlungsweise sein müsste. Erinnert sei an die Bemerkung des großen Managementanalytikers Professor Manfred Keets de Vries: „Eine der wichtigsten Aufgaben einer Führungskraft besteht darin, sich der emotionalen Bedürfnisse Untergebener bewusst zu bleiben und ihnen Rechnung zu tragen.“ Intensiver in das Blickfeld der Personalentwicklung müsste auch eine Bemerkung rücken, die sich in der Biographie des französischen Unternehmers, Finanziers und Politikers Bernard Tapie „Gewinnen auf der ganzen Linie“ findet: „Wer die richtige Wahl seiner Mitarbeiter treffen will, mit denen er auf der ganzen Linie gewinnen kann, muss sich selbst kennen, muss Widerspruch zulassen, muss sich der Bereiche bewusst sein, in denen er stark, und derer, in denen er schwach ist.“
Führungskräfte ernsthaft in Richtung auf ein diesbezüglich stärker ausgeprägtes Bewusstsein hin zu entwickeln, wäre dem Unternehmenswohl dienlicher als die ununterbrochenen Umstrukturierungen in all ihren zwanghaften Varianten und der überschnelle Einstieg in die Digitalisierung. „Wenn die Digitalisierung, wie heute schon absehbar, auch in Konkurrenz zur menschlichen Arbeitskraft treten wird, der Mensch wird das Schwungrad und der Transmissionsriemen bleiben, die das Unternehmen antreiben“, gibt der Geschäftsführer der Coverdale Unternehmensberatung Thomas Weegen zu bedenken. Der derzeit handlungsleitende Gedanke, nach immer weitergehenden Möglichkeiten zu suchen, wie die menschliche Arbeitskraft durch Elektronik ersetzt werden könnte, offenbare eine gewisse Kurzsichtigkeit im Blick auf die Kräfte, von denen das Wohl und Wehe eines Unternehmens tatsächlich abhängen.
Aufgabe verantwortungsbewusster Personalentwicklung ist es mithin auch, die für ein Unternehmen Verantwortlichen vor einer Entwicklung zu warnen, die den arbeitenden Menschen zu Marionetten einer (Wirtschafts-)Welt macht, die sie nicht mehr verstehen, wie es Nassim Nicholas Taleb im Untertitel zu seinem aufrüttelnden Buch „Antifragilität“ sagt. Die Personalentwicklung muss nach oben hin zu erkennen geben, dass das Empfinden von Sinnlosigkeit all ihre Anstrengungen konterkariert. Sinn allein ist der Treibstoff, der den Leistungsmotor wirklich rund laufen lässt. Dringender als je wird eine betriebliche Sinngebung gebraucht, die weit, weit über das heute alle Überlegungen beherrschende rein Kommerzielle hinausgeht. Und die aus der Erkenntnis erwächst, dass soziale Systeme sich nicht wie Maschinen steuern lassen.
Hartmut Volk, Freier Publizist in Bad Harzburg
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