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Schichtarbeit: Bedürfnisgerechte Systeme fördern

Bedürfnisgerechte Arbeit gegen die Uhr
Schichtarbeit gesund gestalten

Immer mehr Schichtarbeiter kommen in die Jahre. Ein modernes, bedürfnisgerechtes Schichtsystem ist jedoch oft Fehlanzeige. Dabei können Unternehmen für die Gesunderhaltung ihrer wichtigen Potenzialträger einiges tun.

Dr. Jürgen Siebenhünen
Sportwissenschaftler und Experte für gesunde Schichtarbeit bei der UBGM- Unternehmensberatung für betriebliches Gesundheitsmanagement, Berlin

Acht Jahre lang arbeitete Thomas Reinders (Name von der Redaktion geändert) bei einem Automobilzulieferer im Schichtbetrieb – mit wöchentlich wechselnden Schichten. Besonders belastend empfand er den Wechsel nach fünftägiger Nachtschicht auf die Frühschicht – trotz freier Tage dazwischen, die zur Erholung irgendwann nicht mehr ausreichten. So wie Reinders geht es vielen älteren Schichtarbeitern: Die Lebensgestaltung mit ständig wechselnden Arbeitszeiten beeinträchtigt die Gesundheit, weil sie den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus ignoriert.

Die jüngste Analyse der Hans-Böckler-Stiftung kommt zu dem Ergebnis: Ab dem 50. Lebensalter lässt die Regenerationsfähigkeit im Durchschnitt nach, was Unfälle begünstigt. Auch treten Schlafstörungen und Magen-Darm-Erkrankungen zunehmend auf. Wer viele Nachtschichten hintereinander fährt, ist besonders belastet. Nach arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen fällt körperliche Arbeit im höheren Alter schwerer; auch leisten ältere Arbeitnehmer in einer Nachtschicht in physiologischer Hinsicht mehr als in jüngeren Jahren.

Arbeiten gegen die innere Uhr

Die Arbeit entgegen dem Biorhythmus zieht körperliche und psychische Folgen nach sich: Bei den über 50-Jährigen steigt das Risiko für eine Herz-Kreislauf- Erkrankung um 40 %. Die Abkopplung vom normalen Tag-Nacht-Schema und die daraus folgenden Schlafdefizite schwächen die Abwehrkräfte und leisten auf diese Weise allen möglichen Zivilisationskrankheiten Vorschub. Arthrose, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen sind Beispiele hierfür und das Risiko, an Krebs zu erkranken, nimmt zu. Auch die Psyche leidet erheblich: depressive Verstimmungen sind typisch, die auch mit dem Verlust von sozialen Bindungen einhergehen. Schichtarbeiter beklagen, dass mit den unregelmäßigen Arbeitszeiten über die Jahre hinweg der Verlust von Freunden einhergeht.

Ergonomische Schichtsysteme

Trotz der negativen Auswirkungen ist die Wechselschichtarbeit zum Beispiel in der Automobil- oder Elektroindustrie aus Kostengründen unersetzbar, weil Produktionslinien nicht einfach gestoppt und Arbeitsabläufe nicht unterbrochen werden können. Mit einem ergonomischen Schichtsystem lässt sich die Arbeit positiv beeinflussen. Dabei gilt grundsätzlich: Je kürzer die Zyklen sind, desto gesundheitsfördernder. Viele Unternehmen arbeiten mit der 2–2–2–3-Rotation, also zwei Tage Frühschicht, zwei Tage Spätschicht, zwei Tage Nachtschicht mit drei folgenden freien Tagen. Der schnelle Wechsel wird von den Schichtarbeitern subjektiv als angenehmer empfunden als zum Beispiel fünf Tage Nachtschicht, weil sie erst gar nicht in einen gleichförmigen Rhythmus hineinkommen, der die Umstellung auf die jeweils andere Schicht erschweren würde.

Praxisbeispiel: arbeitsplatznahe Angebote

BASF hat das kurz rotierende Modell bereits seit Jahrzehnten eingeführt hat – mit guten Erfahrungen. Bei der Schichtplangestaltung wird darauf Wert gelegt, dass die Schichten möglichst nach vorne rotieren: von Früh- zur Spätschicht und von der Spät- zur Nachtschicht. Die Vorwärtsrotation mit einer schrittweisen Verlängerung des Tages entspricht eher unserem Biorhythmus. Die Schichtgänger können eher am Sozial-und Familienleben teilnehmen als bei längeren Spät-oder Nachtschichten, was sich gesundheitsförderlich auswirke. Schichtpläne werden zwecks einer größtmöglichen Planungssicherheit frühzeitig geplant. Darüber hinaus können die Schichtarbeiter alle zwei Jahre, die über 50-Jährigen sogar jährlich, eine arbeitsmedizinische Untersuchung in Anspruch nehmen.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des betrieblichen Gesundheitsmanagements sind die seit über 20 Jahren angebotenen Gesundheitsseminare für alle Wechselschichtarbeiter im zweiwöchigen Turnus. Jedes Jahr nehmen insgesamt circa 1500 Mitarbeiter teil; die Seminare zu den Themen Ernährung, Bewegung, Stressmanagement und gesunder Schlaf sind gefragt, tragen zur Verbesserung des Gesundheitsverhaltens des Einzelnen bei und finden während der Arbeitszeit statt.

Um die im Arbeitszeitgesetz festgelegte Regenerationsphase von elf Stunden zwischen zwei Schichten einzuhalten, gibt es klare Pausenregelungen zu festgesetzten Zeiten. Darüber hinaus stellt der Chemiekonzern Pausenräume mit speziellen Ruhe-Sesseln mit Massagefunktion für den Power Nap zur Verfügung. Ein arbeitsplatznahes, kurzes Training für die Rückengesundheit oder gegen Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich bietet die Power Plate: Auf einer vibrierenden Plattform durchläuft der Mitarbeiter je nach Bedarf ein aktivierendes oder entspannendes Programm mit entsprechenden Übungen. Schichtarbeiter entwickeln häufig eine überdauernde Müdigkeit. Die Power Plate aktiviert den Menschen auf angenehme Art und ist sehr effektvoll.

Flexibles Schichtsystem mit hoher Selbstbestimmung

Im Mittelstand mit vergleichsweise geringeren Personalressourcen bietet sich das flexible Schichtsystem an, das auf die Mitgestaltung der Schichtarbeiter setzt. Neben individuellen Zeitbedarfen zum Beispiel für Familienaufgaben sollten bei der Schichtplanung auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter in der jeweiligen Lebensphase berücksichtigt werden. So sollte der Schichtleiter eher die Junggesellen am Wochenende einsetzen, während Familienväter wenigstens zwei freie Wochenenden pro Monat haben sollten.

Bei Schichtarbeitern ab 50 sorgt eher der Zeitausgleich als ein Geldzuschlag für eine höhere Arbeitszufriedenheit; zusätzliche Urlaubstage können sich positiv auf die Gesundheit auswirken. Die Älteren tendenziell weniger zur Nacharbeit einzusetzen, wäre eine weitere Möglichkeit. Generell lohnt es sich für Betriebe, in die Führungsqualität der Schichtleiter zu investieren: Ein transparenter, wertschätzender Führungsstil, der Handlungsspielräume ermöglicht, trägt auch zur Mitarbeiterbindung bei. Bei der Dienstplangestaltung möglichst auf die Wünsche einzugehen, ist eine Form der Anerkennung.

Gesundheit in die eigene Hand nehmen

Nicht nur der Betrieb ist dafür verantwortlich, die aus der Schichtarbeit resultierenden Risiken einzudämmen: Die Schichtarbeiter selbst können auf ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit Einfluss nehmen, und zwar auf die Faktoren Ernährung, Bewegung, Schlaf und soziale Kontakte. Einen Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit zu finden, ist besonders für Arbeitnehmer, die gegen ihre innere Uhr arbeiten, von zentraler Bedeutung. Die Selbstverantwortung der Mitarbeiter einerseits und die gesundheitsförderlichen Rahmenbedingungen anderseits sorgen dafür, dass das Unternehmen seine Wettbewerbsfähigkeit erhält und Mitarbeiter langfristig und bis ins hohe Rentenalter gesund in der Schichtarbeit bleiben können.

Kontakt:

UBGM – Unternehmensberatung für Betriebliches Gesundheitsmanagement
Kurfürstendamm 21

10719 Berlin

info@gesundheitsmanagement24.de

www.gesundheitsmanagement24.de


Grundregeln für die Schichtplanung nach Praxisleitfaden der UBGM-Unternehmensberatung

  • Nicht mehr als drei aufeinanderfolgende Nachtschichten
    Der menschliche Körper gewöhnt sich nicht an Nachtschichten. Deshalb sollten die Nachtschichtblöcke möglichst kurz sein, um den Organismus etwas zu entlasten. Außerdem kann durch kurze Wechsel die Ansammlung eines Schlafdefizits vermieden werden.
  • Schnelle Wechsel und vorwärts rotierende Schichten
    Die schnelle Rotation (z.B. die 2–2–2–3 Rotation) macht es dem Körper leichter, von einer Arbeitszeit zur nächsten zu wechseln und ist dadurch langfristig nachweislich schonender. Wo es möglich ist, sollte die Schicht nach vorne rotieren, die eher unserem Biorhythmus entspricht.
  • Freizeiten im Block nehmen, nicht als einzelne Tage
    Die Schichtarbeit wird meist besser vergütet. Es gibt Nachtzuschläge, um den Einsatz der Mitarbeiter zu honorieren. Dabei wäre ein Ausgleich in Form von einer erhöhten Freizeit für die Gesundheit jedoch die bessere Lösung. Zusammenhängende freie Tage sind besonders hochwertig für die Erholung und die Lebensqualität.
  • Ausreichend Ruhezeiten zwischen zwei Schichten
    Mindestens elf Stunden Regenerationsphasen sind essentiell für die Gesundheit der Schichtarbeiter.
  • Kurze Schichtdauer bei schwerer Arbeit
    Schichtpläne sollten bei der Festlegung der Schichtdauer die Art der Tätigkeit oder die Arbeitsschwere berücksichtigen. Körperliche sowie geistige Belastung sollte berücksichtigt und die Arbeitsdauer, vor allem in der Spät- und Nachtschicht, eventuell verkürzt werden.
  • Aufgaben in der Nachtschicht „entschärfen“
    Viele Unternehmen organisieren die Arbeitsaufgaben so, dass die „leichteren“ Aufgaben in der Nachtschicht erledigt und schwerere Arbeiten, die eine hohe Konzentration verlangen, in der Tagesschicht bearbeitet werden.

Quelle: Praxisleitfaden für gesunde Schichtarbeit der UBGM-Unternehmensberatung für betriebliches Gesundheitsmanagement, Berlin

Weiterführende Informationen finden Sie hier.


Fakten zur Schichtarbeit

In Deutschland arbeiten etwa sechs Millionen Erwerbstätige in einem Wechselschichtsystem, davon sind rund 18 % über 50 Jahre alt. Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) regelt die Gestaltung und Flankierung der Nacht- und Schichtarbeit: der Paragraph 6 Abs. 1 des ArbZG legt fest, dass die Nacht- und Schichtarbeit nach arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen (neben vorwärts rotierender Systeme zum Beispiel keine Massierung der Nachtarbeit und ausreichende Ruhezeiten) gestaltet werden muss.

Quelle: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund

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