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Veränderungsprozess: Selbsterneuerung als Überlebensaufgabe

Veränderungsprozess
Selbsterneuerung als Überlebensaufgabe

Veränderungsprozesse frühzeitig einleiten und das Unternehmen proaktiv auf die Zukunft vorbereiten – das ist die Formel für langfristigen Erfolg.

Hartmut Volk
Freier Publizist in Bad Harzburg

Der Organisationsentwickler Dr. Hans-Joachim Gergs ist interner Berater im Veränderungsmanagement von Audi und lehrt an der TU München und der Universität Heidelberg. Sich rechtzeitig mit der Kunst der kontinuierlichen Selbsterneuerung zu befassen, wird für ihn zur betrieblichen Voraussetzung, um zu überleben. Denn „eher früher denn später wird jedes Unternehmen damit konfrontiert, sich auf eine Art zu verändern, für die es kein Vorbild gibt, will es nicht sein Scheitern riskieren“, betont Gergs.

Dass hier nicht übertrieben schwarz gemalt wird, verdeutlicht eine Feststellung des Direktors und Geschäftsführers des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts Professor Dr. Henning Vöpel: „Tatsächlich kann die Bedeutung der Digitalisierung für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft kaum unterschätzt werden. Denn der wirtschaftliche Strukturwandel und die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse sind grundlegend. Es handelt sich um eine Systemtransformation. Die Welt wird neu vermessen. Wie eine neue Haut zieht sich die Digitalisierung über alte Strukturen und löst diese ab.“

Lebenserwartung von Unternehmen sinkt

Gergs verweist auf Untersuchungen zum durchschnittlichen Alter von Unternehmen. Richard Foster von der Yale School of Management analysierte die im Standard & Poor‘s vertretenen 500 größten US-Konzerne. Er stellte fest, dass die Unternehmen vor 100 Jahren im Schnitt 67 Jahre alt wurden, 2015 waren es seinen Analysen zur Folge nur noch 15 Jahre. Etwas langlebiger seien die Unternehmen in Europa. Nach den Ergebnissen der Wirtschaftswissenschaftler Stadler und Wältermann betrug das Durchschnittsalter von börsennotierten Unternehmen in Europa im Jahr 2011 28 Jahre; aber auch hier ist die Tendenz sinkend.

Die Schlussfolgerung von Gergs: Erfolg war noch nie so unsicher wie heute. Insbesondere die Digitalisierung der Wirtschaft wird die Spielregeln des Wettbewerbs noch einmal grundlegend verändern. „Folgt man den neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen, dann sind diejenigen Unternehmen langfristig erfolgreich, die über die Fähigkeit verfügen, sich kontinuierlich neu zu erfinden. Das ‚klassische‘ Change Management gelangt damit an seine Grenzen, da seine Grundlogik reaktiv ist. Denn wenn der Wandel bereits unvermeidbar und sein Ziel vermeintlich klar ist, ist es meistens schon zu spät.“

Change the Change Management

Deshalb lautet für Gergs die Devise „Change the Change Management“. Mehr und mehr entstehe die Notwendigkeit, radikale Transformationen zu vermeiden, dafür Veränderungsprozesse aber frühzeitig einzuleiten, um in den guten Jahren die vorhandenen Ressourcen zu nutzen und die Organisation vorausschauend auf die Zukunft vorzubereiten.

„Aber genau in der vorausschauenden Gestaltung von Veränderungsprozessen liegt die Herausforderung, denn die meisten Unternehmen sind nicht für vorausschauende Erneuerung gebaut. Die von den Pionieren des Managements wie etwa Frederick W. Taylor, Albert P. Sloan oder Henry Ford entwickelten Theorien und Konzepte, die bis heute das Denken im Management bestimmen, sind alle auf Stabilisierung und Standardisierung ausgerichtet. Es ist daher auch nicht erstaunlich, dass die Geschichte der meisten Unternehmen lange Zeiträume aufweist, in denen es nur zu geringfügigen Veränderungen kam, unterbrochen von wenigen Phasen tiefgreifender Veränderung, die meist durch eine Krise ausgelöst wurden“, erläutert Gergs.

Was unterscheidet die kontinuierliche Selbsterneuerung nun konkret vom gewohnten Change Management? Der Veränderungstypus der kontinuierlichen Selbsterneuerung zeichnet sich laut Gergs durch folgende Merkmale aus:

  • Wandel und Veränderung sind fest in die Organisationsprozesse integriert und verlaufen kontinuierlich und vorausschauend, das heißt, sie werden nicht erst dann angestoßen, wenn das Unternehmen bereits in einer Krise ist.
  • Ferner liegt der Fokus nicht auf der Optimierung des Bestehenden, sondern zielt auf das grundlegende Hinterfragen und Erneuern des Geschäftsmodells oder der Kultur eines Unternehmens.
  • Charakteristisch für diesen Typus ist ferner, dass Veränderungsimpulse nicht (nur) vom Management, sondern (auch) von den Mitarbeitern gesetzt werden.

Acht Prinzipien der Selbsterneuerung

Wie geling das? Dr. Hans-Joachim Gergs hat sich mit dieser Frage in einem zwölfjährigen Forschungsprojekt auseinandergesetzt. In dessen Verlauf begleitete er zehn Unternehmen intensiv. Alle diese Firmen durchliefen einen tiefgreifenden Wandel ihres Geschäftsmodells, ohne dass sie durch eine Krise dazu gezwungen waren. Auf der Grundlage der Fallstudien konnte er herausarbeiten, dass kontinuierliche Selbsterneuerung nach völlig anderen Regeln und Grundsätzen funktioniert als das „klassische“ Change Management.

Gergs: „Kontinuierliche Selbsterneuerung fordert daher unser etabliertes Denken über Veränderungsprozesse in Unternehmen heraus. Ich habe insgesamt acht Prinzipien identifiziert nach denen die von mir untersuchten Unternehmen bewusst oder unbewusst Veränderungsprozesse gestalten. Diese acht Prinzipien habe ich zu einem zyklischen Modell der Erneuerungsfähigkeit zusammengefasst: Selbstreflexion stärken; Kommunikation und Vernetzung intensivieren; Vielfalt zulassen und Paradoxien pflegen; Bezweifeln und Vergessen; Erkunden; Experimentieren; Fehler und Feedbackkultur etablieren; Ausdauer und Denken in Kreisen.“ Das aus seiner Sicht notwendige neue Verständnis von Change Management präzisiert Gergs in drei Punkten:

  • Krisenorientierung versus vorausschauende Erneuerung. Viele Unternehmen brauchen noch die Krise, um sich zu verändern. Erneuerungsfähige Organisationen aber haben ein anderes Mindset; sie verändern sich proaktiv und verfügen über ein attraktives Zukunftsbild, auf das sie zustreben.
  • Shift vom episodischen zum kontinuierlichen Wandel. Episodische Change-Prozesse, wie sie Ende der 1980er-Jahre aufkamen, sind heute nur noch bedingt angemessen, weil Unternehmen permanent in der Veränderung sind. „Change ist the new normal“ könnte man sagen.
  • Das klassische Change-Management ist immer noch top-down organisiert. Es beginnt meist mit einem Roll-out, mit einem klaren Plan von oben. Aber gerade in Unternehmen der New Economy werden sehr viel mehr Veränderungen von unten angestoßen. Diese Unternehmen sind es ohnehin auch bei der Produktentwicklung gewohnt, in schnellen iterativen Schritten zu arbeiten, also sich schrittweise in wiederholten Durchläufen der Lösung anzunähern. Dies tun sie dann auch in Veränderungsprozessen.

Buchtipp:

Zur Vertiefung des Themas: Die Kunst der kontinuierlichen Selbsterneuerung – Acht Prinzipien für ein neues Change Management, Hans-Joachim Gergs, Beltz Verlag, Weinheim 2016, 224 Seiten, 29,95 Euro

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