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„Souveränität ist die zentrale Frage im Internet der Dinge“

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„Souveränität ist die zentrale Frage im Internet der Dinge“

Die Welt ist immer enger vernetzt. Das macht sie anfällig für Probleme. In dem Maße, wie die Effizienz erhöht wird, steigt die Verwundbarkeit sowohl des Gesamtsystems als auch des einzelnen Unternehmens. Die ,Industrie 4.0′ werden wir als Effizienzrevolution wahrnehmen, ist der Stuttgarter Risikoforscher Ortwin Renn überzeugt. §

Autor: Das Interview führte Dietmar Kieser

Wir erleben derzeit neue Formen der Technisierung, die virtuelle Realität wird immer mehr zur realen: Das reicht vom Material, das sich scheinbar selbst zu einem Teil produzieren lässt bis hin zur Rundum-Überwachung durch Geheimdienste. Wie viel Angst macht uns die Zukunft der Technik?

Mit der Modernisierung von Technik sind immer große Versprechungen verbunden, die in der Regel ebenso überzogen sind wie die Ängste, die sie weckt. Indem wir neue Möglichkeiten eröffnen, entstehen auch neue Risiken. Dieses Janusgesicht werden wir nicht los und bleibt Teil unseres irdischen Lebens. Zugleich nutzen wir im Internet millionenfach kostenlos Serviceleistungen. Suchmaschinen wie Google zu betreiben, kostet richtig Geld. Mit irgendetwas müssen wir diese Leistungen bezahlen, die uns ja Mehrwert bringen. Diesen Preis bezahlen wir mit unseren Daten.
Der Konsument sollte sich also an die eigene Nase fassen?
In der Tat ist eher die Klugheit des Konsumenten gefragt, als staatlicher Regulierung die Lösung zu überlassen.
Bange muss es uns aber nicht sein, denn lebensbedrohlich ist diese Entwicklung kaum?
Lebensbedrohlich nicht. Gleichwohl gibt es durchaus Kritisches zu sehen, wo es sinnvoll ist, regulierend einzugreifen. Inwieweit man sich auf Kommerzialisierung der eigenen Daten einlässt, kann man durch Ein- und Ausschalten der entsprechenden Einstellungen weitgehend selbst bestimmen. Kritischer ist es, dass Suchmaschinen zunehmend lernen, die Bedürfnisse des Suchenden zu antizipieren und ihm dadurch ein falsches Weltbild widerspiegeln. Ein Beispiel ist die Risikowahrnehmung von Mobilfunk, die wir in einem Projekt untersucht haben. Die Teilnehmer, die elektromagnetische Strahlung als besonders gefährlich für die Gesundheit einstuften, gaben an, dass ihre Risikowahrnehmung durch Suchmaschinen-Recherchen unterstützt wurde. Dies bestätigten auch die Mitglieder der zweiten Gruppe, die elektromagnetische Strahlen für reine Hirngespinste hielten.
Suchmaschinen filtern also nur heraus, was der Nutzer gerne sehen will?
Er erhält als erstes Belege, die das bestätigen, was er denkt. Er fühlt sich dadurch in seinen Vorurteilen bestätigt. Für eine Gesellschaft kann dies kritisch werden, wenn keine Verständigungsmöglichkeit mehr gegeben ist. Wer so lebt, schirmt sich im sozialen Leben von Andersdenkenden ab und wendet sich jenen zu, die Klone seiner eigenen Haltung sind. Wir sehen dies etwa an der Zunahme fundamentalistischer Überzeugungen.
Wenn man Scheuklappen trägt, hilft auch das Phänomen der Schwarmintelligenz nicht…
Wenn der Schwarm keinerlei Diversität mehr hat, schwimmt er gegen eine Wand.
Ein neues Paradigma breitet sich mit der Industrie 4.0 aus, wenn Maschinen plötzlich mit Dingen sprechen. In jeder Industrie verändert sich dadurch die Arbeitsweise. Erzeugt das nicht auch Angst bei den Beschäftigten?
Und ob. Es gab ja mehrere dieser Schübe. So hat die Druckindustrie die Ablösung des Bleisatzes ja auch überstanden, wenn auch oft schmerzhaft für einzelne. Immer geht es hier um die Frage, was unterm Strich herauskommt. Denn jede Effizienzrevolution führt dazu, dass mehr Ressourcen übrig sind, um Menschen woanders einsetzen zu können. In einzelnen Branchen wird es zu Verschiebungen kommen, verbunden mit der Hoffnung, dies sozialverträglich abzufedern. Ein weiterer Aspekt ist, dass es in Branchen wie etwa der Energie völlig neue Kooperationsformen geben wird. Wenn Smart Urban Cities entstehen, dann ist die Energie Teil eines Smart Systems, das mit Security, mit Safety und anderen Dienstleistungen kooperiert.
Die Industrie 4.0 avanciert zum nächsten großen ökonomischen Treiber. Ist es nicht so, dass Firmenchefs im Umgang mit dem „Internet der Dinge“ weitgehend noch orientierungslos sind?
Ja, denn mit dem Thema ist auch eine Kränkung verbunden. So entzieht das Internet der Dinge den Managern weitgehend die Kontrolle. Mancher Manager verschließt lieber die Augen davor und meint, immer noch die besseren Entscheidungen zu treffen. Dabei ist der Kontrollverlust gar nicht real. Allerdings ist und bleibt die Souveränität die zentrale Frage im Internet der Dinge. Immens wichtig ist es aber, die Souveränität über Entscheidungsoptionen nicht einzudämmen.
Birgt das nicht große Gefahren?
Gewiss, letztendlich geht es aber auch um Effizienz, und damit um Wettbewerbsfähigkeit. Verschläft ein Maschinenbauer den Trend, könnte er sich ein Problem einhandeln. Das Thema Industrie 4.0 setzt überdies voraus, Aufgaben nicht nur an Menschen, sondern auch an Maschinen zu delegieren. Zugleich müssen wir die Gegenrichtung berücksichtigen. Daraus resultiert ein Sonderforschungsbereich, den wir beantragt haben zum Thema ,Können Menschen von Maschinen lernen?‘ Wenn Maschinen uns etwas beibringen sollen, damit wir Dinge anders machen als zuvor, wenn sie uns sagen, wie wir mit Maschinen kooperieren sollen, dann setzt dies ein enormes Maß an innerer Souveränität voraus, dies zuzulassen.
Das zeigt, wie sehr die digitale Wirtschaft anders tickt als die Old Economy. Ist diese Entwicklung dennoch als ein eher wenig bedrohliches Risiko zu sehen, das vielleicht überbewertet wird?
Die Technikgeschichte lehrt uns, dass Dinge selten so implementiert werden, wie sie zuvor ausgemalt wurden – im positiven wie im negativen Sinn. Es werden viele Korrekturmechanismen entstehen, die dazu führen, dass wir Industrie 4.0 als Effizienzrevolution wahrnehmen werden. Effizienz wiederum ist relativ blind gegenüber vielen anderen auftretenden Faktoren, die dann eingefordert werden wie beispielsweise: Sind die Sachen fair? Sind sie kontrollierbar? Kann der Feind mit reinschauen?
Können Sie ein Beispiel nennen?
Die ersten Fälle traten im Einzelhandel auf. Zur Warenverfolgung im Lager und den Verkaufsregalen setzten Händler RFID-Chips ein. Als Konkurrenten beim Vorbeifahren durch Auslesen der Daten den aktuellen Warenbestand feststellen konnten, waren die Händler nicht mehr so begeistert von der neuen Technik. Es wird also immer wieder Korrekturfaktoren geben. Alle großen technischen Innovationen wurden letztendlich abgefedert, wenn es den Benachteiligten möglich war, sich Gehör zu verschaffen. Deshalb sehe ich diese Entwicklung etwas zuversichtlicher. Ich denke, dass viele der Befürchtungen bereits im Vorfeld angegangen und auch korrigiert werden.
Aber wir könnten mit Industrie 4.0 schon in die Effizienzfalle tappen?
Durch die globale Wettbewerbssituation sehen sich die Unternehmen in unserem Hochlohn- und Niedrigressourcenland gezwungen, sehr stark in Effizienz zu investieren und sie stetig zu verbessern. Damit steigt jedoch deren Verwundbarkeit und die Verwundbarkeit unserer Institutionen und Infrastrukturen. Im Krisenfall ist eine Kette nicht vorhersehbarer Schäden zu erwarten. Wer sich also mit zunehmender Effizienzausrichtung verwundbar macht, tappt in die Effizienzfalle. Ein Beispiel ist die Finanzkrise, die unter die ystemischen Risiken fällt.
Was verstehen Sie unter einem systemischen Risiko und fällt auch die digitale Vernetzung durch ihre Verwundbarkeit darunter?
Systemische Risiken sind dadurch gekennzeichnet, dass sie global sind, hoch vernetzt, stochastisch und nichtlinear. Diese vier Kennzeichen, die ich in meinem Buch „Das Risikoparadox“ beschrieben habe, treffen auch auf das Thema Industrie 4.0. zu. Auch hier können die Dinge einen völligen Funktionsverlust eines Systems oder mehrerer gekoppelter Systeme bewirken. Umso wichtiger ist es, mit systemischen Risiken richtig umzugehen, womit wir uns jedoch schwer tun. Es wird so lange nicht gehandelt, bis etwas passiert. Ich denke aber nicht, dass wir jetzt 30 Jahre investieren und dann kommt der große Schlag. Vielmehr wird sich eine ganze Reihe mittlerer oder kleiner Schlägen ereignen, die uns dazu führen sollten, frühzeitig eine Justierung durchzuführen. Wenn wir diese kleinen Schäden ignorieren, kommt der große Schlag mit Sicherheit.
Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrem Buch „Das Risikoparadox“?
Eigentlich zwei große Ziele. Zum einen halte ich den Paternalismus für den falschen Weg. Auch wenn es etwas pathetisch klingt, müssen wir Menschen risikomündig machen. Dabei ist es wichtig, sich selbst zu kennen. Zu wissen, mit welchen Fehlurteilsmechanismen man Urteile fällt, die einer Überprüfung nicht standhalten. Viele davon sind uns durch die Evolution vorgegeben. Diese waren auch zielführend, als wir uns noch in der Savannah bewegten. Jetzt sind sie aber häufig kontraproduktiv. Ausgestattet mit dieser Selbstkritik und Selbstbeobachtung fällt man dann nicht mehr so schnell auf Rattenfänger herein. Das zweite Ziel hängt mit der Frage zusammen, wie wir als Kollektiv mit systemischen Risiken umgehen.
Sie wollen Ihre Leser wachrütteln, damit sie sich über ihre persönlichen Risikofaktoren mehr Gedanken machen?
Ja, damit sie aufmerksamer und souveräner werden. Heute bin ich etwas kritischer gegenüber der neuen Bewegung des sogenannten Nudging. Man gibt den Leuten eine vermeintliche Wahlfreiheit, damit sie das tun, was man vorher von ihnen will und sie merken es nicht. Das ist nicht mein Menschenbild.
Gibt es Verhaltensweisen oder Tools, die uns darin unterstützen, mit Risiken besser umzugehen?
Aufklären, was Risiken sind, wie sie wirken und wie wir sie einschätzen können – das sind zwar mentale, aber enorm wichtige Tools. Diese könnten zwar auch Software-basiert sein, was jedoch im Alltag nicht so relevant ist. Besser ist es, sich mental auf diese Struktur von Risiken besser vorzubereiten und zu erkennen, wo man zu Fehlurteilen neigt. Das ist meine Hauptbotschaft auf der individuellen Ebene. Ich merke es an mir selbst, aber auch bei jenen, mit denen ich es zu tun habe: Man kann sich risikomündiger, risikosouveräner machen. Man lebt dadurch besser und lässt sich nicht vom Schicksal beuteln. Gewiss gibt es Schicksalsschläge. Dennoch kann man vieles dafür tun, dass das, was kein Schicksalsschlag ist, einen nicht trifft.
Sie befassen sich seit drei Jahrzehnten mit der Risikoforschung. Gibt es so etwas wie eine Erkenntnis, eine Art Formel, die Sie für sich in puncto Risikoeinschätzung gefunden haben?
Ungefähr 60 Prozent meines Risikos bestimme ich selbst. Ich würde wohl ein sehr langweiliges Leben wählen, würde ich jedem Risiko aus dem Weg gehen. Deshalb sollten eingegangenen Risiken sehr bewusst gewählt werden. Für den Genuss reichen zwei Gläser Wein. Zum Genuss gehört eben auch die Limitierung. Selbst wenn man fremde Länder bereist, ist man zwar einem höheren Risiko ausgesetzt, weil wir zum Beispiel an schlechte Wasserqualität nicht gewöhnt sind. Aber bereits mit wenigen Verhaltensregeln lässt sich das Risiko enorm reduzieren.
Und bei den anderen 40 Prozent ist die kollektive Regelung gefragt. Werden Regulierung und Politik beeinflusst, ist dies sehr indirekt. Bei 20 dieser 40 Prozent muss ich entweder Gott oder der Natur vertrauen und auf den blinden Zufall setzen. Dabei kann ich nur zu Gelassenheit raten. Man muss aber auch sehen: Vor 150 Jahren waren gut 80 Prozent schicksalsbestimmt. •

Vita Ortwin Renn
Prof. Dr. Ortwin Renn lehrt Umwelt- und Technologiesoziologie an der Universität Stuttgart und ist dort Direktor des Zentrums für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung. Seit 2013 ist er zudem Dekan der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Stuttgart. Der studierte Volkswirt und Soziologe arbeitete als Wissenschaftler und Hochschullehrer in Deutschland, den USA und der Schweiz. Renn ist unter anderem Mitglied nationaler und internationaler Akademien der Wissenschaft.

Buchtipp

3652621

Das Risikokoparadox. Warum wir uns vor dem Falschen fürchten, Ortwin Renn, Fischer Taschenbuch, 2014, 608 S., 14,99, ISBN 3-596-19811-9 Nahezu täglich bringen uns die Medien neue Hiobsbotschaften: steigende Kriminalität, Vogelgrippe oder Elektrosmog. Wird unser Leben nicht immer gefährlicher, unsicherer, risikoreicher? Ortwin Renn, international anerkannter Risikoforscher und renommierter Technik- und Umweltsoziologe, sagt: nein. Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt beständig, in vielerlei Hinsicht geht es uns immer besser. Wir fürchten uns, so Renn, vor falschen Gefahren, verschließen aber die Augen vor Risiken, die uns und unsere Nachwelt erheblich bedrohen. Renn zeigt, welches diese sind, warum wir sie unterschätzen und wie wir im Sinne der Nachhaltigkeit verantwortungsvoll damit umgehen können.
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