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Wissenstransfer: Sprungbrett für Spin-offs

Technologietransfer
Sprungbrett für Spin-offs

Viele Innovationen des Fraunhofer ITWM haben das Zeug zum kommerziellen Erfolg. Von Mitarbeitern gegründete Start-ups übernehmen dann Weiterentwicklung und Vertrieb.

Bernd Müller
Freier Wissenschaftsjournalist in Bonn

An ein Ereignis erinnert sich Andreas Wiegmann, Geschäftsführer von Math2Market, noch gut: Vor einigen Jahren hatte sein Unternehmen einem Kunden die Simulationssoftware GeoDict angeboten. Doch den Zuschlag bekam ein Wettbewerber mit einem deutlich schlechteren Produkt. Einige Jahre später kehrte der Kunde reumütig zu Math2Market zurück und meinte: „Herr Wiegmann, Sie haben damals einfach zu wenig versprochen.“ So sei das eben: „Die Konkurrenz verspricht das Blaue vom Himmel und wir sind zu bescheiden.“

Heute unterschätzt niemand mehr die junge Firma aus Kaiserslautern. Neben Flexstructures ist Math2Market eines der Vorzeige-Spin-offs des Fraunhofer-Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM. Ausgründungen sind bei Fraunhofer gern gesehen, weil sie vielversprechende Entwicklungen marktreif machen und mehr Energie in den Vertrieb stecken können. Im Fall von Math2Market mit vollem Erfolg: 2017 setzte man dort 2,5 Mio. Euro um, 2018 sollen es über 3 Mio. Euro werden. Das jährliche Wachstum lag die letzten fünf Jahre immer über 30 Prozent.

Als Andreas Wiegmann 1999 an das ITWM in Kaiserslautern kam, hatte er bereits einiges an Simulations-Know-how von seinen beruflichen Stationen in Seattle und Berkeley im Gepäck. Auch am Institut gab es schon gute Software, sogenannte Solver, etwa um das Filtern von Öl aus Wasser zu berechnen. „Als Wissenschaftler schreibt man die Software für sich selbst, die Kollegen kommen damit oft nicht klar“, sagt Wiegmann. Doch Industriekunden haben andere Ansprüche: Sie wollen eine intuitive Benutzeroberfläche, die Algorithmen dahinter interessieren sie nicht. Aus dieser Erkenntnis entstand 2001 GeoDict: eine grafische Oberfläche für Programme des ITWM. „Damit haben wir die Software für einen großen Kreis nutzbar und die Entwicklung nachhaltig gemacht“, betont Wiegmann.

Flexibler Ausstieg

GeoDict gedieh und bald war klar, dass die Weiterentwicklung allein im Institut nicht mehr zu stemmen war. 2011 gründete Wiegmann mit zwei Mitstreitern vom ITWM die Math2Market GmbH. Weil das Produkt ausgereift war und vom ersten Tag an Umsatz brachte, benötigten die Jungunternehmer kein Startkapital. Heute ist das Unternehmen mit mehr als 150 Kunden weltweit in mehreren Branchen erfolgreich. Mann + Hummel optimiert mit GeoDict seine Öl- und Luftfilter, Volkswagen die Elektroden von Batterien und Brennstoffzellen, Shell berechnet die Durchlässigkeit von Gesteinsproben für die Öl- und Gasförderung. Und das Institut für Verbundwerkstoffe in Kaiserslautern legt damit Faserverbundwerkstoffe aus.

Math2Market ist sein Lebenswerk, daran lässt Andreas Wiegmann keinen Zweifel. Auch weil trotz vieler Reisen und manchen 100-Stunden-Wochen genügend Freiraum für eigene Forschungsideen bleibt. Bei einem Kunden in Japan, der Drahtgewebe für Flugzeuge als Schutz gegen Blitzschläge herstellt, sei ihm eine Idee gekommen, wie man die Kontaktwiderstände in Drahtgeweben simulieren könne: „Auch wenn ich es nicht mehr selbst umsetze, habe ich doch noch viel mit Mathematik zu tun“, sagt der Unternehmer.

Weitere Geschäftsideen gibt es genug. So steht seit Kurzem ein 3D-Drucker in der Firma. Damit will das Team testen, ob sich die im Rechner optimierten Materialien direkt ausdrucken lassen. Für die Kunden brächte das digitale Materiallabor eine enorme Zeitersparnis.

Biegen ohne Brechen

Diese verspricht seinen Kunden noch ein weiteres Unternehmen aus dem ITWM: Flexstructures ging 2012 an den Start. Die Vorgeschichte: 2004 haben Joachim Linn und Thomas Stephan mit zwei Kollegen des Fraunhofer Chalmers Research Centre for Industrial Mathematics FCC – einem Institut mit 50-prozentiger Fraunhofer-Beteiligung in Göteborg – mit der Entwicklung der Software IPS Cable Simulation begonnen, um das Verbiegen von Kabeln und Schläuchen zu simulieren. Das hilft Autoherstellern beim Planen der Verlegung von Bremsleitung und ABS-Datenleitung zwischen Karosserie und Rädern. Die Leitungen müssen lang genug sein, um Feder- und Lenkbewegungen mitzumachen – aber nicht zu lang, damit sie nicht durchhängen.

Als Fahrzeugtechnik-Ingenieur Oliver Hermanns 2007 ans ITWM kam, kannte er das Problem aus seiner Zeit in der Autoindustrie. Die von ITWM und FCC entwickelte Lösung war wie dafür geschaffen, es zu lösen. Den Sprung in die Selbstständigkeit musste Hermanns 2008 wegen der Wirtschaftskrise abblasen. Erst 2012 gelang die Ausgründung – allein und zuerst nur mit
20 Prozent seines Arbeitsvertrags. Doch nach einem halben Jahr war klar: Das Produkt schlägt ein. Hermanns verließ das ITWM. „Der Markt war beeindruckt“, sagt er. Laut Audi spart das Programm in der Verlegeplanung acht Monate.

Alle deutschen und viele ausländische Autohersteller – rund 80 Kunden – nutzen die Software. Flexstructures hat 17 Mitarbeiter und traumhafte Wachstumszahlen: im Schnitt 76 Prozent Umsatzplus pro Jahr. „Damit stehen wir in der Liste der 500 am schnellsten wachsenden Unternehmen in Deutschland“, sagt Hermanns. Anders als Math2Market, das die ITWM-Technik gekauft hat und über zehn Jahre abbezahlt, bekommen ITWM und FCC einen Teil der Lizenzeinnahmen aus Verkauf und Wartungsverträgen. Haben Kunden Probleme oder Wünsche, spielt sie die Firma ans Institut zurück, und man legt gemeinsam die Entwicklungsstrategie fest.

Flexstructures vertreibt weitere Module von ITWM und FCC: etwa ein Tool zur Bewegungsplanung von Robotern und eines, das Fabrikplanern bei der ergonomischen Auslegung von Arbeitsplätzen hilft. „Wo Fraunhofer mit Forschung und Entwicklung aufhört, beginnen wir mit Marketing, Verkauf, Engineering und Training für Industriekunden“, sagt Hermanns.


Gute Bedingungen für Ausgründungen

Das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern beschäftigt sich mit der Umsetzung mathematischer Methoden und Technologie in Anwendungsprojekten. Damit ergänzen die Wissenschaftler ingenieurwissenschaftliches Arbeiten ideal und können mit einem breiten Anwendungsspektrum punkten: Fahrzeugindustrie, Maschinenbau, chemische Industrie, Energie und Finanzwirtschaft. Im Bereich Transfer koordiniert das Institut das Leistungszentrum für Simulations- und Software-basierte Innovation, in dem die ortsansässigen Hochschulen, mehrere Forschungsinstitute sowie Industriepartner eng zusammenarbeiten. „Die Wissenschaftsstadt Kaiserslautern bietet eine bundesweit einzigartige Infrastruktur im Bereich der IT-Forschung“, sagt Dr. Konrad Steiner, Geschäftsführer des Leistungszentrums. „Dank der engen Vernetzung aller Stakeholder schaffen wir gute Bedingungen für neue Ausgründungen. Auch die etablierten Spin-offs Flexstructures und Math2Market sind Industriepartner im Leistungszentrum.“

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