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Digitalisierung: Testbeds für den Mittelstand

Digitalisierung
Testbeds für den Mittelstand

In 22 Testbeds prüfen Mitglieder des Industrial Internet Consortiums, welche Technologien sich für das Internet der Dinge eignen. Daran angelehnt initiiert Steinbeis jetzt Micro Testbeds, orientiert an den Belangen des Mittelstands.

Was tun in einem Markt, in dem sich die Produkte immer ähnlicher werden? Innovative Unternehmen profilieren sich bisher bei ihren Kunden durch Servicequalität und Liefertreue. In Zeiten fortschreitender Digitalisierung und Vernetzung sichert dies jedoch nicht mehr den Zugang zu neuen Märkten. Mitunter geht es um einen völlig neuen Umgang mit Abnehmern, die Informationen und Preise blitzschnell im Internet abrufen und vergleichen können. Immer öfters sind es deshalb Web-basierte Standards auf Basis vorhandener Lösungen, die einem produzierenden Unternehmen neue Geschäftsfelder und Bereiche öffnen, in denen zusätzliche Wertschöpfung entsteht. Doch Lösungen im Kontext des Industrial Internet alleine zu entwickeln und umzusetzen, wäre für ein einzelnes mittelständisches Unternehmen wenig zielführend.

Was also tun in einem Markt, in dem mehr und mehr Komponenten und Maschinen miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten? Die smart, vernetzt und digital sein müssen und wo das Byte den Takt vorgibt und nicht das µ. Wo eher der Produktnutzen als das Produkt selbst im Vordergrund steht. Die technischen Vorreiter dieser Entwicklung engagieren sich in Organisationen wie der deutschen Plattform Industrie 4.0 oder dem US-amerikanischen Industrial Internet Consortium (IIC). Doch anders als Konzerne oder die Platzhirsche des technologiegetriebenen deutschen Mittelstands, die in der Standardisierung der industriellen Prozesse aktiv sind, verfügen viele kleine und mittlere Unternehmen nicht über die Zeit und die Mittel dafür. Hinzu kommt, dass nicht jeder die Kompetenz hat, um Informations- und Internettechnologien in seine Produkte und Fabriken zu integrieren.

Früh an Entwicklungen partizipieren

In diese Lücke stößt ein Angebot der Steinbeis-Stiftung. Der Dienstleister für Wissens- und Technologietransfer beheimatet unter seinem Dach das German Regional Team des IIC. Koordiniert von Dr. Marlene Gottwald, bietet die Initiative mittelständischen Unternehmen die Chance, früh an den Entwicklungen des offenen, mitgliedergetriebenen US-Konsortiums zu partizipieren. Im März 2014 von AT&T, Cisco, General Electric, IBM und Intel gegründet, sind heute rund 270 Mitglieder aus 30 Ländern vertreten. So vehement wie pragmatisch arbeiten sie daran, das Internet der Dinge (Internet of Things, kurz IoT) zügig umzusetzen und beschleunigt voranzutreiben.

Um abschätzen zu können, welche Technologien sich dafür eignen, organisiert das IIC sogenannte Testbeds. In den aktuell 22 Versuchsinseln testet eine jeweils überschaubare Anzahl an Mitgliedern diese Technologien in herstellerübergreifenden Aufbauten. Generell werden auf den experimentellen Plattformen nutzenstiftende Anwendungsszenarien entwickelt, die die physische und digitale Welt verbinden. Die Umsetzung unter realen Bedingungen mittels Internet-Technologien erfolgt dabei branchenübergreifend und interdisziplinär. Basierend auf vorhandenen wie auch zu schaffenden Standards für Services, Technologien und Produkte sollen so interoperable und interkonnektive Lösungen entstehen. „Bestehende Domänengrenzen werden dadurch aufgelöst und es kommt zu einer Verschmelzung der Wertschöpfung über Branchen hinweg“, schildert Dr. Marlene Gottwald den vom IIC forcierten Weg der partnerschaftlichen Zusammenarbeit.

Testbed als Vertrauensraum

Wenn sich Gottwalds Chef, Prof. Dr. Heiner Lasi, beispielhafte Testbeds anschaut, steht für ihn nicht unbedingt die Technologie als verbindendes Element im Vordergrund. Ausschlaggebend ist für den Leiter des Ferdinand-Steinbeis-Instituts (FSTI) eher die Tatsache, dass „durch gemeinsames und branchenübergreifendes Zusammenarbeiten neue Wertschöpfungsszenarien entstehen“. Eines der hier angewandten Prinzipien ist das des Vertrauensraumes. Ein solcher ist schon deshalb geboten, da – wie vom IIC gewünscht – in einem Testbed auch Mitbewerber am Tisch sitzen können. Diesen Vertrauensraum sieht Lasi „als Brücke und Erfolgsfaktor, um schnell und pragmatisch eine gemeinsame und marktfähige Lösung zu entwickeln und diese in unterschiedlichen Branchen und Marktbereichen erfolgreich kommerzialisieren zu können“.

Als Ergebnis muss nicht immer das marktreife Produkt obenan stehen. Oft führen schon der Input, den ein beteiligtes Unternehmen erhält, wie auch das Feedback der anderen, zum erhofften Fortschritt. Oder es werden Aspekte daraus für die Standardisierung abgeleitet, wie es dem Unternehmen TE Connectivity im Testbed „Smart Manufacturing Connectifity for Brown-Field Sensors“ gelungen ist. Der Mittelständler, der Verbindungstechnologien entwickelt und anbietet, setzt dieses Testbed gemeinsam mit SAP, dem Sensorspezialisten Ifm und der OPC Foundation um. Ziel ist es, in bestehenden Fabriken gesammelte Sensordaten nahezu in Echtzeit in IT-Systemen wie einer Cloud verfügbar zu machen und erweiterte Datenanalytik zu ermöglichen. Inzwischen lassen sich Sensordaten ohne Eingriff in die Maschinensteuerung via IO-Link abgreifen und mit Hilfe des Kommunikationsstandards OPC UA in die IT-Welt übertragen (siehe Kasten).

Auf klassischem Weg lasse sich eine solche Lösung heute nicht entwickeln, meint TE-Industry Manager Benjamin Mang. TE nähert sich dem Thema von der Steckverbinderseite her, hat seine Stärken also bei der Konnektivität. Folglich braucht es den Schulterschluss mit jenen, die den Sensor, die Cloud und die Kommunikation beisteuern – mithin also den Aspekt der Interoperabilität abdecken. Für TE lag es also auf der Hand, sagt Mang, sich für ein Testbed zu entscheiden und von dort ebenso Feedback zu erhalten wie aus dem Markt selbst.

Einen weiteren Aspekt, der für ein Testbed-Engagement spricht, führt Rainer Duwe an. Dessen Unternehmen Real-Time Innovations (RTI) mischt im Testbed Smart Grid mit, das die Besonderheiten des intelligenten Stromnetzes fokussiert. Aus den gesammelten Erfahrungen könnten Best Practices abgeleitet und weiteren Unternehmen verfügbar gemacht werden, betont der Verkaufsmanager EMEA. Überdies könnten Mittelständler hier gemeinsame Dinge vorantreiben und nicht jeder müsse die Fehler für sich machen, konkretisiert Duwe eine weitere Besonderheit des pragmatisch angelegten Testbed-Konzepts. Das Microgrid Tesbed arbeitet daran, die Flexibilität der Echtzeitanalyse und -steuerung des Stromnetzes sicherzustellen, damit dezentral erzeugte erneuerbare Energie genauer und zuverlässiger generiert wird. Darauf aufbauende Mikronetze könnten unabhängig vom Hauptnetz betrieben werden, ohne dass die bestehende Infrastruktur geändert werden muss.

Solche schon weiter fortgeschrittenen Testbeds zeigen beispielhaft, wie sich Digitalisierung und Vernetzung erfolgreich umsetzen lassen. Steinbeis-Professor Lasi knüpft die zukünftigen Erfolge eines mittelständischen Unternehmens daran, „zum jetzigen Zeitpunkt mit seinem Wertschöpfungsanteil in den richtigen Ökosystemen vertreten zu sein“. Doch gerade kleinen und mittleren Unternehmen erscheint die Einstiegshürde, mitunter auch die Sprachbarriere, zu hoch. Für diese hat das Ferdinand-Steinbeis-Institut in Zusammenarbeit mit dem IIC German Regional Team das Konzept der Micro Testbeds entwickelt.

Gemeinsam zu neuer Wertschöpfung

Auch hier geht es darum, durch interdisziplinäre und branchenübergreifende Zusammenarbeit neue Wertschöpfung zu generieren. „Kleine und mittlere Unternehmen können hier ihre Produkte, gleich ob Werkzeugschrank oder Sensor, in eine IIC-Testbed-Infrastruktur einbringen und testen“, so Prof. Lasi. Damit könne sichergestellt werden, dass diese Produkte oder Services im vorgesehenen Umfeld interoperabel und kompatibel wären und auch global vertrieben werden könnten. Mit ersten Ergebnissen sei nach sechs bis zwölf Monaten zu rechnen.

Erste Micro-Testbeds mit jeweils drei bis fünf Teilnehmern sind bereits aufgesetzt. Die Themen kreisen beispielsweise um Werker-Assistenzsysteme, Cloud-basierte Wartungskonzepte, optimierte Inbetriebnahme von Anlagen aus der Cloud oder die intelligente Prozessüberwachung mit Smart Watches. Lasi attestiert diesen Projekten „sehr positive Erfahrungen“. Die überschaubaren Testbeds mit ihrem Fokus auf kleine Anwendungsszenarien sind wie ihre großen Geschwister IIC-konform: sie sind interdisziplinär, betrachten das Internet der Dinge ganzheitlich und es arbeiten unterschiedliche Kooperationspartner zusammen. Zudem gilt auch hier das Prinzip des neutral moderierten Vertrauensraumes. Die Belange des Mittelstands könnten nicht besser abgedeckt sein.

Dietmar Kieser


OPC UA: Schnittstelle für Maschinenbauer

Der Kommunikationsstandard OPC UA schlägt die Brücke zwischen der IP-basierten IT-Welt und der Fabrikautomation. Anders gesagt: Der offene Schnittstellenstandard bildet die Brücke vom Mittelstand zur Industrie 4.0 und damit zur digital vernetzten Produktion. OPC UA für den herstellerunabhängigen Datenaustausch in der digitalen Fabrik heranzuziehen, favorisiert deshalb auch der Branchenverband VDMA, der hierfür einen Leitfaden entwickelt hat.

OPC UA (Open Platform Communications Unified Architecture) ist ein Standard der internationalen Normungsorganisation IEC. Verwaltet wird die Standardisierung von einem Industriekonsortium, der OPC Foundation. Dabei handelt es sich um keinen weiteren Kommunikationsstandard für die Echtzeitkommunikation in der Automation. Vielmehr schafft OPC UA einen zusätzlichen Kommunikationskanal zwischen bislang getrennten Kommunikationsinseln. Bestehende Protokolle werden nicht ersetzt, sondern Informationen für neue Industrie 4.0-Dienste übermittelt. Selbst einfache Sensoren oder Feldgeräte werden künftig mit einer entsprechenden Funktionalität ausgestattet. Dies vereinfacht die Integration von Komponenten, Maschinen und Anlagen, die per Plug&Work nach Bedarf umgestaltet werden können – unabhängig von welchen Herstellern die Maschinen und Komponenten stammen.

Den Schnittstellenstandard echtzeitfähig machen möchten die Teilnehmer des Testbed TSN (Time Sensitive Networking) des Industrial Internet Consortiums (IIC). Dafür haben sich zahlreiche Automatisierungs- und Roboterhersteller zusammengeschlossen. Ziel ist es, Ethernet echtzeitfähig zu machen. Echtzeitkommunikation ist bisher nur mit Feldbussen möglich. Diese sind aber den modernen Anforderungen einer serviceorientierten Steuerungs- zu Steuerungskommunikation nicht gewachsen. Hinzu kommt ein enormer Engineering-Aufwand. Über den Stand der Entwicklung und Erfahrungen dieses ICC-Testbed berichtet unsere Schwesterzeitschrift elektroAutomation in ihrer September-Ausgabe.

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