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Zulieferindustrie: „Wir dürfen die Zukunft nicht verspielen“

WSM-Hauptgeschäftsführer Christian Vietmeyer
„Wir dürfen die Zukunft nicht verspielen“

Die deutsche Zulieferindustrie kann im internationalen Wettbewerb keine zusätzlichen Lasten schultern. Christian Vietmeyer, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands WSM, warnt davor, durch heute falsch gestellte Weichen morgen die Konkurrenzfähigkeit zu verspielen. ❧

Das Interview führte Dietmar Kieser

Die EEG-Umlage und die Netzentgelte sind nach wie vor schlimme Preistreiber. Angesichts der erneuten großen Koalition dürfte sich an dieser Lage aber kaum etwas für die mittelständischen Industriebetriebe ändern. Was folgern Sie daraus?

Das viel zitierte Zieldreieck der Energiepolitik entfernt sich immer weiter aus dem Idealzustand der Gleichseitigkeit. Während die Klimaziele ständig höher geschraubt werden, verliert die Politik die industriellen Kerninteressen einer bezahlbaren und sicheren Stromversorgung völlig aus den Augen. Es besteht in der Tat die große Gefahr, dass sich die große Koalition den augenscheinlichen Realitäten eines viel zu hohen Strompreises sowie zunehmender Risiken der Netzstabilität verschließt und ihre verfehlte Energiepolitik weitere vier Jahre fortsetzen wird.

Fürchten Sie, dass die Industrie bei der weiteren Gestaltung der Energiewende noch stärker zur Kasse gebeten wird?

Die Industrie bezahlt bereits den Großteil der energiewendebedingten Kosten, insbesondere der Mittelstand. Wenn die Regierung nicht gegensteuert, werden die Netzentgelte zur zweiten EEG-Umlage, möglicherweise werden sie diese sogar weit in den Schatten stellen. Zudem wird auch die Umlage für regenerative Stromumwandlung weiter steigen, denn der Ausbau geht gemessen an den Klimazielen viel zu langsam voran. Auch Speichertechnologien sind derzeit ohne Förderung nicht wettbewerbsfähig, hier droht die nächste Umlage. Und wenn die Stromleitungen erstmal weitgehend in der Erde verschwinden müssen, um Anwohnerproteste zu umgehen, explodiert die Stromrechnung vollends. Die Industrie kann aber im internationalen Wettbewerb keine zusätzlichen Lasten schultern. Im Gegenteil: Bereits heute wären enorme Schäden für industrielle Wertschöpfung und Arbeitsplätze zu beobachten, wenn die Konjunktur nicht gerade zufällig so rund laufen würde.

Und was genau fordern Sie?

Die Energiewende und auch die Klimaziele sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die aus dem gemeinsamen Bundeshaushalt finanziert werden müssen. Diese Kosten gehören unter parlamentarische Kontrolle und in den Wettbewerb mit anderen staatlich finanzierten (Infrastruktur-)Projekten. So würde die Regierung gezielt alle Bürger und Betriebe entlasten, bei Steuerentlastungsmodellen profitieren ausschließlich Besserverdiener. Die sozialen Verwerfungen der Energiewende, von der bislang nur diejenigen profitieren, die in erneuerbare Energienanlagen investieren können, würden zumindest abgemildert.

Sind angesichts des hohen Wirtschaftswachstums und niedriger Zinsen in Deutschland Klagerufe des Mittelstands denn berechtigt?

Die Konjunkturdaten und die Zukunftserwartungen in der Stahl und Metall verarbeitenden Branche sind im Moment gut. Wir dürfen aber nicht die Zukunft verspielen. Wenn heute etwa beim Strommarktdesign oder beim Klimaschutz falsche Weichen gestellt werden, kann uns das morgen die Wettbewerbsfähigkeit komplett zerstören.

Wo hakt es mit Blick auf die Wettbewerbsbedingungen in den industriellen Wertschöpfungsketten derzeit am meisten?

Neben den bereits erwähnten steigenden Energiekosten sehen wir, dass wir auch bei den Lohnkosten im internationalen Vergleich zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. In der Summe müssen wir aufpassen, noch zu attraktiven Standortbedingungen produzieren zu können.

Gerät so manche Zulieferbeziehung dadurch in Gefahr?

In den Zulieferketten lassen sich Kostensteigerungen nicht einfach so weiter geben. Da muss sich jeder anstrengen und wird hoffentlich nicht überfordert.

Große Systemlieferanten räumen sich oft lange Zahlungsziele ein. Können Sie gegen diesen Marktdruck überhaupt angehen?

Leider ist zu beobachten, dass Systemlieferanten einseitig Zahlungsziele von 90 Tagen und mehr stellen. Das ist in den meisten Fällen nach deutschem Recht so nicht möglich. Gegen rechtswidrige Geschäftsbedingungen kann man sich immer zur Wehr setzen. Einige Systemlieferanten haben hier auch bereits eingelenkt und angekündigt, sich gesetzeskonform zu verhalten.

Und wie sehr setzt die Dieselkrise den mittelständischen Zulieferern zu?

Beim Dieselthema muss man sehen, dass sich im Wesentlichen nur in Deutschland das Kaufverhalten ändert und die Exportmärkte weniger betroffen sind. Es geht auch nur um Pkw und weniger um Nutzfahrzeuge. Außerdem wechselt der deutsche Pkw-Käufer vom Diesel hin zum Benziner, bleibt also beim Verbrennungsmotor. Diese Umstände führen dazu, dass in der Breite die Betroffenheit der Zulieferer kleiner ist, als in manchen Medien vermutet.

Wirken sich die Einbußen bei der Produktion von Diesel-Pkw für den Mittelstand bisher aus?

In Einzelfällen kommt es zu kritischen Nachfrageeinbrüchen, im Großen und Ganzen ist aber keine Dramatik festzustellen.

Beginnt bei manchem Zulieferer bereits die Transformation, in der er die Megaaufgabe Elektromobilität stemmen muss?

Die kleineren Zulieferbetriebe analysieren die Entwicklung und lassen sich dabei von Beratern und Verbänden unterstützen. Sie prüfen selbstverständlich ihre Geschäftsmodelle auf die Zukunftstauglichkeit. Viele entwickeln bereits neue Produkte für die Elektromobilität. Gleichzeitig wird aber auch die im Moment gute Nachfrage im konventionellen Bereich bedient. Man kann sagen, es wird das eine getan, ohne das andere zu lassen.

Sind bei den Zulieferern die Auswirkungen der Elektrifizierung bereits sichtbar?

Es wird geforscht und entwickelt, das ist nach außen oft weniger sichtbar. Dier Aufwand für Forschung und Entwicklung steigt, insbesondere durch den Aufbau von Kompetenz. Man darf dabei aber auch nicht nur auf Elekto setzen, auch andere Antriebsformen wie etwa Gas und Wasserstoff haben Potenzial.

Um welche WSM-Zulieferbereiche machen Sie sich die größten Sorgen?

Wenn Sie die Elektrifizierung meinen, natürlich um die Zulieferer für Verbrennungsmotoren und den Antriebsstrang. Aber: Der Verbrennungsmotor ist nicht tot! Es wird sich noch zeigen, ob die Welt von morgen nicht auch aus Verbrennern und Hybriden besteht.

Welche Themen machen den Zulieferern noch zu schaffen?

Die neue IATF 16949, die einige Zulieferer einhalten und auditieren lassen sollen, ist komplizierter und aufwendiger als die bislang geforderte ISO/TS 16949. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, warum die Automobilhersteller die regulären internationalen Normungsgremien der ISO verlassen und etwas Eigenes machen müssen. Es hilft der Zulieferkette jedenfalls nicht, wenn immer mehr Bürokratie durchgedrückt wird.

Worauf muss der Teilelieferant eines Zuliefernetzwerkes hier besonders achten?

Die Pflichten aus der IATF 16949 gehen viel weiter, beispielsweise auch beim Thema Nachhaltigkeit. Hier ist die Frage aufzuwerfen, ob das Notwendige nicht bereits überschritten ist. Jeder Lieferant sollte die Bedingungen prüfen und entscheiden, ob er nicht besser beim ISO-Standard bleibt.

Ist es damit getan, digital Abhilfe zu schaffen?

Nein. Der Mehraufwand lässt sich nicht allein durch Digitalisierung kompensieren. Z.B. muss ja auch das Audit umfangreicher sein, allein das verursacht Mehrkosten.

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