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Gesundheitsmanagement:Fit im Job bis ins hohe Alter

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM)
Arbeitgeber sollten ihre Mitarbeiter sensibilisieren

Fast jeder Zweite wird im Laufe eines Jahres mindestens einmal krankgeschrieben. Das hat der DAK-Gesundheitsreport ermittelt. Zur Reduzierung von Fehltagen empfehlen Gesundheitsberater ein strategisches BGM, zu der auch Mitarbeiterbefragungen gehören.

Kirsten Seegmüller
Freie Journalistin in Leinfelden

„Gesundheit!“ – so schallt es wieder durch die Gänge. Das Niesen und Husten in den Büros und Produktionshallen lässt keinen Zweifel daran: Die nasskalte Jahreszeit hat begonnen und beschert vielen eine Erkältung oder Grippe. Einige schleppen sich trotzdem zur Arbeit und stecken die Kollegen an, andere lassen sich krankschreiben, und dann sieht man Teamleiter hektisch nach Ersatz telefonieren, damit die Deadline des Projekts eingehalten wird. Herbst und Winter zeigen, wie wichtig die Ressource Mensch ist und wie schnell ein Unternehmen an seine Grenzen stößt, wenn die Leistungsträger daheim im Bett liegen.

Erkrankungen des Muskel-Skelett-System an der Spitze

Laut dem DAK-Gesundheitsreport 2017 wurde beinahe jeder Zweite (44,6 %) mindestens einmal krankgeschrieben. Im Schnitt dauerte eine Erkrankung 12,9 Tage – und damit etwas länger als im Vorjahr. Auch wenn Infektionen besonders deutlich sichtbar sind, machen sie doch nur einen winzigen Bruchteil der Fehltage aus – gerade einmal 4,6 %. Spitzenreiter mit 22,2 % sind Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems. Lange sitzende oder stehende Tätigkeiten sowie das Heben schwerer Lasten schädigen die Wirbelsäule und Gelenke – mit unabsehbaren Langzeitfolgen. Kein Wunder also, dass Anbieter von Büromöbeln, Handling-Geräten, Werkzeugen und Arbeitskleidung die Ergonomie ihrer Produkte an die erste Stelle setzen. Die Angebote sind vielfältig und betreffen fast jeden Tätigkeitsbereich: Fifo-Regale von Item, ESD-gerechte Arbeitsstühle von Dauphin, die Anti-Ermüdungsmatte von Entrada, Knieschoner von Nierhaus, Schleifwerkzeuge mit Schwingungsdämpfung von Docto Tools, der Teleskop-Werkzeugarm Torque-Tube von Desoutter, Exoskelette von German Bionic Systems – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Alle Produkte zielen darauf ab, die Belastungen für die Mitarbeiter so gering wie möglich zu halten.

IPA forscht an Hilfsmitteln für ältere Mitarbeiter

Gerade bei einer alternden Belegschaft wird die Ergonomie immer wichtiger. Im Trend liegen Exoskelette, wie sie beispielsweise vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) entwickelt werden. Was Querschnittsgelähmte wieder gehen lässt, kann auch in der Arbeitswelt gute Dienste leisten – etwa wenn eine Überkopf-Montage durch Exoskelette erleichtert wird und der Mitarbeiter präziser arbeiten kann, anstatt seine ganze Kraft für das Halten des Werkzeugs zu verschwenden. In seiner Abteilung „Biomechatronische Systeme“ bietet das IPA eine Kombination aus biomechatronischen Messinstrumenten und einem Team aus den Arbeitsgebieten Medizin, Physiotherapie, Sportwissenschaften, Ingenieurwesen und Informatik. Dies ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung der unterschiedlichen Arbeitsabläufe.

Doch wo verläuft die Grenze zwischen Arbeitsschutz und Ergonomie? Was ist Pflicht, was ist Kür? „Der Arbeits- und Gesundheitsschutz ist gesetzlich geregelt und wird von der Berufsgenossenschaft und den Unfallkassen kontrolliert“, erklärt Stefan Buchner, Geschäftsführer der UBGM – Unternehmensberatung für Betriebliches Gesundheitsmanagement, „auch das betriebliche Eingliederungsmanagement und die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung sind Pflicht.“ Im Klartext heißt das: Schweißerbrille, säurebeständige Handschuhe und Atemschutzmasken für staubige Umgebungen sind Pflicht, Gesundheitstage, Fitnessclub-Gutscheine, individuelle Coachings zu den Themen Ernährung und Bewegung sowie Massagen am Arbeitsplatz sind Kür.

Strukturierter und zielorientierter Prozess

Genau das macht den Unterschied zwischen dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) und der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) aus: „Angebote wie etwa Bewegungsübungen am Arbeitsplatz gehören zur Rubrik BGF“, so Buchner. Das seien jedoch Einzelmaßnahmen. „BGM ist ein Managementprozess, der nicht aus dem Bauch heraus, sondern strukturiert und zielorientiert erfolgen muss“, rät er den Arbeitgebern. Die Stellschraube sei das Management: „Die Geschäftsführung muss erkennen, dass BGM wichtig ist, dann muss man die Maßnahmen herunterbrechen auf die operative Management-Ebene, also Team- und Abteilungsleiter.“ Das kann der ergonomische Bürostuhl sein, muss aber nicht. „Die Führungskräfte dürfen das Gesundheitsmanagement nicht abtun mit dem Argument, die Produktion sei wichtiger und alles andere zweitrangig. Dann versickern die Maßnahmen.“

BGM sollte im Eigeninteresse eines Unternehmens liegen

Eine Verpflichtung zu BGM gibt es nicht, „doch das wäre wünschenswert, denn es liegt im Eigeninteresse des Unternehmens“, betont Buchner. Das erhalte nicht nur den Mitarbeiterbestand, sondern sei auch wichtig für die Außenwirkung, denn Unternehmen wollen für Nachwuchskräfte attraktiv sein, und da ist das BGM ein wichtiges Argument. Außerdem amortisiert sich die Investition in kürzester Zeit. Je nach Branche kostet ein Fehltag rund 500 Euro pro Mitarbeiter. „Aufwand und Kosten werden überschätzt“, betont Buchner. Die Einführung eines BGM dauert circa zwei Jahre, meist amortisiert es sich bereits nach einem Jahr.

Weit subtiler, aber laut DAK-Studie mit 17,1 % auf Platz zwei der Krankheitstage, liegen psychische Erkrankungen. Sie kommen schleichend und werden oft erst wahrgenommen, wenn sie weit fortgeschritten sind, etwa in Form von Depressionen oder Burnout. Hier stehen die Unternehmen in der Pflicht, denn mit dem hohen Arbeitsdruck und häufigen Überstunden züchten sie ihre Kranken quasi selbst. Kommt noch Mobbing oder Bossing hinzu, fallen Mitarbeiter langfristig aus. Laut DAK dauert eine Krankmeldung wegen Erkältung eine knappe Woche, Muskel-Skelett-Erkrankungen rund 20 Tage, psychische Erkrankungen mit 38 Tagen fast doppelt so lang.

Bestandsaufnahme am Anfang

Deshalb ist es wichtig, präventiv zu handeln. Am Anfang steht die Bestandsaufnahme: Wie viele Fehlzeiten gab es in den vergangenen Jahren? Wo liegen die Ursachen? Gab es in einem Logistikunternehmen viele Bandscheibenvorfälle, weil die Mitarbeiter die schweren Lasten falsch heben oder Hubgeräte fehlen? Gab es vermehrt Erkrankungen der Atemwege in einem Chemiebetrieb, weil das Anlegen der Atemschutzmasken nicht ausführlich genug erklärt wurde? Oder gab es einen schweren Unfall an einer Blechpresse, weil die Mitarbeiter aus Zeitgründen die Schutzschranken austricksen? All das sollte in einer detaillierten Arbeitsplatzanalyse ermittelt werden.

Ein zentrales Element dieser Analyse ist die Mitarbeiterbefragung. Die Ergebnisse sind verblüffend, denn oft monieren die Befragten nicht etwa die laute Abluftanlage oder die schweren Akku-Schrauber, sondern dass sie sich nicht genug wertgeschätzt fühlen. „Dadurch entstehen zwar keine unmittelbaren Krankheiten, aber Fehltage“, so Buchner, „denn wer sich an seinem Arbeitsplatz nicht wohlfühlt, lässt sich auch für einen Schnupfen eine Woche krankschreiben. Abhilfe könnte ein Führungskräftetraining zum Thema ‚Gesund und wertschätzend führen‘ schaffen.

Gesund und wertschätzend führen

Natürlich gibt es auch Hinweise auf fehlende Arbeits- und Hilfsmittel, aber für die betriebliche Gesundheit sind andere Einflussfaktoren entscheidend: „Oft werden die Mitarbeiter über betriebliche Angelegenheiten nicht informiert“, beklagt Buchner. Dabei interessiere sich die Belegschaft durchaus dafür, wie sich das Unternehmen am Markt behauptet, welche Entwicklungen anstehen, ob und warum Bereiche ausgegliedert werden, etc. Denn die Sorge darüber, ob man in fünf Jahren noch einen Job hat, gehört zu den zentralen Auslösern von Ängsten, die zu Depressionen führen können. Buchner empfiehlt Führungskräften, als Multiplikatoren zu fungieren und relevante Informationen in der Unternehmenszeitschrift, im Intranet, am Schwarzen Brett oder in Betriebsversammlungen zu kommunizieren, an denen auch der Vorstand teilnimmt.

Arbeitgeber müssen Vorsorge treffen

Es gibt Arbeitgeber, die einen Zusammenhang zwischen Unternehmen und Psyche in Frage stellen. Dank einem neuen Arbeitsschutzgesetz kommt es aber nicht mehr auf deren subjektive Einschätzung an: Heute müssen Unternehmen untersuchen, ob eine Gefährdung der psychischen Gesundheit vorliegt – inklusive Nachweise und Dokumentation. Das Verständnis wächst, weil zunehmend Führungskräfte betroffen sind – beispielsweise von Burnout. Buchner: „Bei Fach- und Führungskräften ist das die häufigste psychische Erkrankung.“

Auch die Arbeitnehmer sind in der Pflicht, denn die Ursache für psychische Krankheiten muss nicht unbedingt in der Arbeit liegen. Außerdem legt der Arbeitsvertrag fest, dass der Arbeitnehmer eine Leistung zu erbringen hat – und das beinhaltet, dass er seine Arbeitskraft erhalten muss. Der Arbeitgeber kann seine Belegschaft aber nicht zur Gesundheitsvorsorge zwingen. „Arbeitnehmer sollten aus Eigeninteresse handeln, ihre Gesundheit und damit ihre Arbeitskraft zu erhalten“ findet Stefan Buchner. Daher hält er es für sinnvoll, Mitarbeiter für die Prävention zu sensibilisieren. Wenn Fachkräfte jedoch massiv Überstunden leisten müssen, weil außer ihnen niemand die Maschine bedienen kann, hilft jede Sensibilisierung nichts. Denn man kann keine Selbstverantwortung übernehmen, wenn man mittags nicht mal Zeit für einen Spaziergang hat.

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