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Zusammenarbeit: Aufklärung ist essenziell

Plus10-Chef Felix Georg Müller und Christian Biener vom Maschinenbauer Desma
„Aufklärung ist essenziell“

Künstliche Intelligenz (KI) hält Einzug in die Wertschöpfung und die Vorreiter bei der Lösung industrieller Herausforderungen mittels KI sind meist Start-ups. Wie sie mit etablierten Unternehmen zusammenarbeiten, berichten zwei Projektpartner im Gespräch mit unserer Redaktion. ❧

Dietmar Kieser

Die Konferenz „Start-up your AI“, die die Abteilung Unternehmensstrategie und -entwicklung des Fraunhofer IPA am 27. November ausrichtet, zeigt anschaulich, wie Start-ups die Industrie mit KI verändern. Aber auch ausgewählte Anwendungsfälle samt ihren Projektpartnern bringt die Konferenz auf die Bühne. Vertreter von Start-ups und ihre Industriepartner berichten über die Erfolgsfaktoren der technischen Realisierung und geben Einblick in die Gestaltung ihrer Zusammenarbeit. Felix Georg Müller von der Plus10 GmbH und Christian Biener vom Spritzgießmaschinenhersteller Desma teilen dort ihr Wissen mit dem Publikum. Vorab haben sie dem Industrieanzeiger ein Interview gegeben.

Findet ein Start-up mit KI-Relevanz leichter einen Industriepartner als ein Jungunternehmen mit anders gelagerter Expertise?

Felix Müller: Industrielle Anlagen sind meist kapitalintensiv und eingebettet in übergeordnete Steuerungs- und IT-Systeme. Somit ist die Bereitschaft hieran etwas Brandneues auszuprobieren, verständlicherweise meist begrenzt. Wenn man einen klaren Nutzen und professionelle Erfahrung nachweisen kann, ist das Interesse und die Diskussionsbereitschaft aber meist schon vorhanden. In unserem Fall versuchen wir durch bisherige Anwendungen unserer KI-basierten Optimierungstools und daran geknüpfte technische als auch wirtschaftliche Erfahrungen, den Nutzen und die technischen Randbedingungen prägnant darzustellen. Das erleichtert die Diskussion enorm. Somit sehe ich hier keinerlei Nachteile speziell für KI-Start-ups.

Wieviel Engineering-Know-how sollte ein Start-up aufbieten?

Müller: Keiner hat Spaß daran, dem anderen die Basics seiner Domäne beziehungsweise seines Geschäfts zu erklären. Somit sollte ein KI-Start-up, das eine Lösung für die produzierende Industrie anbietet, auch ein Grundverständnis dafür mitbringen. Ansonsten läuft man schnell Gefahr, die Schwierigkeiten zu übersehen, falsche Prioritäten zu setzen oder irrelevante Ergebnisse zu erzeugen. Ich halte Engineering-Know-how somit für zwingend erforderlich. Die meisten bei Plus10 haben einen produktions- oder automatisierungstechnischen Background, was uns eine sehr hohe Akzeptanz und Problemlösungsgeschwindigkeit bei der Umsetzung bringt.

Christian Biener: Um professionell in einen Bereich einsteigen zu können, ist es erforderlich, Kenntnisse zum Prozess und Ablauf für den Anwendungsbereich oder die Branche mitzubringen. Bei Plus10 war ein Grundverständnis der Maschine von Anfang an vorhanden, sodass schnell in die Details eingestiegen werden konnte.

Welcher Anteil an KI steckt in der Lösung der Plus10 GmbH?

Müller: Der Kern unserer beiden Produkte Shannon und Darwin besteht aus mehreren Maschine-Learning-Algorithmen, die das Verhalten von Fertigungsprozessen kontinuierlich erlernen und hierauf aufbauend unterschiedliche Optimierungsmodelle anwenden. Um dies initial zum Laufen zu bringen benötigen wir circa eine Woche Trainingsdaten. Danach fangen wir an, Optimierungsvorschläge abzugeben und lernen zugleich kontinuierlich weiter. Somit basieren unsere beiden aktuellen Produkte auf KI-Methoden, aber natürlich ist hierfür eine Schale an weiteren Funktionen wie der Big-Data-Infrastruktur, Datenhandling und -Vorverarbeitung sowie eine performante Frontend-Technologie für diverse Endgeräte nötig.

Das KI-Tool von Plus10 verkürzt die Zeit für die Behebung von Störungen in Anlagen und erlernt Optimierungspotenziale, um Maschinen schneller zu machen. Wie kommt dieser intelligente Maschinenbenchmark in der Praxis an?

Biener: Am Anfang bestand Skepsis vor allem aus dem Anwendungsbereich, weil die Annahme bestand, dass keine weiteren Optimierungen mehr möglich und die Maschinen bestmöglich eingestellt sind. Durch eine umfangreiche Aufklärung über die Vorgehensweise und später einer datenbasierten und sehr detaillierten Darstellung des Maschinenverhaltens hat sich das sehr schnell geändert. Die Potenziale aus dem Vergleich stammen von anderen Maschinen vor Ort und konnten in Zahlen gefasst werden. Das Tool wird somit während der Optimierungsphase als Hilfsmittel, nicht als Konkurrent betrachtet. Nach der Optimierung war das Feedback entsprechend positiv, weil die Aktionen eine messbare Verbesserung der Zykluszeit erbringen.

Was unterscheidet ein Data-Analytics- oder KI-Projekt von anderen Projekten?

Müller: Da das Thema doch relativ neu ist, beginnen solche Aktivitäten bei uns mit einer detaillierten Klärung der Ziele und Erwartungen an den Einsatz von KI-Methoden und die hierfür nötigen Voraussetzungen. Zum Beispiel muss die problemspezifische Datenbasis erstmal erzeugt und glatt gezogen werden, was alleine schon sehr viel Aufwand bedeutet. Für solche Themen versuchen wir mittels Praxisbeispielen und Vergleichsfällen eine realistische Einschätzung abzugeben.

Biener: Um auf ein spezielles Ziel zuarbeiten zu können, ist bei KI-Projekten eine gut durchdachte Datenbasis erforderlich, die zielgerichtet bereitsteht. Es wird ein relativ hoher Anteil der Projektzeit in die Vorbereitung investiert, unter anderem auch um über das sensible Thema Daten aufzuklären: Was wird wie und weshalb erfasst und was ergibt sich daraus?

Wie schnell gelingt es, bestehende Geschäftsmodelle mit KI-Methoden erfolgreich zu erweitern?

Müller: Das Geschäftsmodell ist gerade beim Maschinen- und Anlagenbau schnell ein Diskussionspunkt, zum Beispiel, wie sich zukünftige Einnahmen aus dem digitalen Geschäft verhalten werden. Meine bisherige Erfahrung zeigt, dass der Wandel aber eher ein Kontinuum ist.

Biener: Vor allem im Maschinenbau wurden in letzter Zeit viele Innovationen per Softwareeinsatz umgesetzt. Die Bereitschaft in diesen Bereichen zu investieren steigt zunehmend. Mit dem Nutzen der digitalen Tools, welcher sich bei unserer Anwendung auch entsprechend in Zahlen fassen lässt, erhöht sich das Interesse am KI-Produkt.

Welches sind die technischen Herausforderungen bei der Implementierung der Lösung beim Kunden?

Müller: Wir verwenden viel Zeit auf die Einbindung aller betroffenen und verantwortlichen Personen, damit noch vor der Auswertung des ersten Datenpunkts für alle der Sinn, Zweck aber auch die Grenzen unserer Tools klar sind und realistisch und kritisch beurteilt werden können. Danach sind wir dann beim Aufbau einer hochperformanten digitalen Infrastruktur und Anbindung aller Maschinensteuerungen gefragt, was für uns einen hohen individuellen Aufwand darstellt.

Biener: Zuerst muss die Infrastruktur beim Kunden begutachtet werden. Dementsprechend wird eine etwas einfachere oder aufwendigere Installation festgelegt. Bei unserem Anwendungsfall liegt die Herausforderung speziell an der Performance, wie Maschinendaten erfasst werden. Anschließend liegen die Schwierigkeiten beim Auswerten der Daten, da es Unterschiede in der Verwendung der einzelnen Prozessschritte je nach gefertigtem Artikel oder verwendeter Technologie gibt.

Wie wird der Datenschutz gehandhabt?

Müller: Ein sehr wichtiges Thema, was wir proaktiv mit Datenschutzexperten von Beginn an in unserer Produktentwicklung berücksichtigt haben. Zudem klären wir unsere Kunden darüber auf, welche Art an Daten wir erheben und welche Rückschlüsse auf Personen dadurch möglich wären.

Biener: Dieses Thema ist sehr wichtig. Aufklärung ist, wie von Herrn Müller erwähnt, essentiell. Die Bereitschaft, in diesem Bereich Projekte mit Kunden umzusetzen, ist nur gegeben, wenn klar ist, welche Daten zu welchem Zweck erhoben werden und dass dabei kein Know-how des Maschinenbetreibers abwandert. Vor allem letztere Bedenken müssen oft im Vorfeld ausgeräumt werden.

Was ist die größte Herausforderung in der Zusammenarbeit zwischen einem Start-up und einem etablierten Unternehmen?

Müller: Es ist eine eher individuelle Frage, welche Personen aus welchen Abteilungen involviert sind, gar nicht so sehr die Unternehmensgröße oder das -alter. Wir haben kleine und große Kunden mit unseren KI-Tools bis jetzt begeistern können und es gab kleine und große Unternehmen, die uns aus diversen Gründen abgelehnt haben. Für mich ist es wichtig, dass man zu Beginn eine realistische Erwartungshaltung aufbaut, um den KI-Hype in die Realität zurückzuführen.

Biener: Wie bei jeder Zusammenarbeit, müssen die Wellenlänge und das Vertrauen beider Parteien stimmen. Ein Start-up muss seine Kompetenz relativ zügig unter Beweis stellen. Dieser Nachweis wurde im Falle unserer Zusammenarbeit sehr schnell erbracht.

Welchen Einfluss haben die kulturellen Unterschiede auf das gemeinsame Projekt?

Müller: In vielen Unternehmen wird bereits agil gearbeitet. Das hilft sehr beim Verständnis unserer Vorgehensweise. Wir arbeiten intern in zweiwöchigen Sprints und bringen iterativ neue Funktionen heraus und nähern uns somit inkrementell einem Ziel. Diese Arbeitsweise wirkt oft nach außen ineffizient, bewirkt aber, dass Fehler sehr schnell auffallen und behoben werden können und eine Anpassung, zum Beispiel in der Lernstrategie eines neu entwickelten Moduls, bereits früh auf bestehenden Datensätzen auf Erfolg getestet wird.

Biener: Der Erfolg eines gemeinsamen Projekts hängt meiner Meinung nach weniger von den unterschiedlichen Unternehmenskulturen ab, sondern viel mehr von einem kontinuierlichen Informationsaustauch und somit einer effektiven Zusammenarbeit mit schnellen Reaktionszeiten.

Wie wichtig ist die persönliche Beziehung zwischen den Partnern?

Müller: Nach wie vor bleibt eine vertrauensvolle und meist langfristig orientierte Zusammenarbeit der Schlüssel zum Erfolg, erst Recht, wenn es um teure Produktionsanlagen und sensible Daten, die viel firmenspezifisches Know-how beinhalten, geht.

Biener: Wie vorhin schon gesagt, ist die persönliche Beziehung der Grundstein für gemeinsame Vorhaben.

Wie baut man Vertrauen zwischen den Partnern auf?

Müller: Die Partnerschaften entwickeln sich von kleinen Projekten hin zur langfristigen Zusammenarbeit. Wir genießen als Fraunhofer-Spin-off bei vielen Kunden einen gewissen Vertrauensvorschuss, den wir nicht verspielen dürfen. Hier gilt es, realistische Ziele gemeinsam abzustecken und Ergebnisse zu liefern oder alternativ frühzeitig in die Anpassungsdiskussion zu gehen.

Biener: Im Vorfeld von Projekten gibt es viele Abstimmungen. Hier baut sich das Vertrauen meist schon auf, wenn ein reger Austausch stattfindet.

Was ist bei der Vertragsgestaltung wichtig?

Müller: Verträge müssen von beiden Seiten als fair betrachtet werden. Ein Start-up hat zudem immer die Herausforderung der Liquiditätsplanung zu managen. Wer Innovationen gemeinsam entwickeln oder daran partizipieren möchte, muss also auch für beide Seiten faire Zahlungen und Zahlungsziele aufstellen und sich daranhalten.

Biener: Für uns als maschinenbauendes Unternehmen ist wichtig, dass sämtliche Kenntnisse der Technologie und zum Beispiel Details der Maschinenprogramme nicht an Dritte weitergegeben werden. Dies wird meist in einer Geheimhaltungsvereinbarung geregelt. Die übrigen Vertragsdetails müssen für beide Partner akzeptabel sein.


Auf einen Blick

Was? Konferenz „Start-up your AI“

Wann? Mittwoch, 27. November 2019,

ab 8.30 Uhr

Wo? Fraunhofer IPA in Stuttgart

Anmeldung: http://s.fhg.de/start-up-your-ai

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