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Smart Factory: B & R reduziert Fertigungszeiten auf ein Sechstel

Smart Factory
B & R reduziert Fertigungszeiten auf ein Sechstel

Fertigungsunternehmen sehen zunehmend die Chancen von Industrie 4.0, erfolgreiche Praxisbeispiele gibt es jedoch wenige. Der österreichische Automationshersteller B & R produziert bereits seit 2006 durchgängig vernetzt. ❧ Nora Nuissl

Rund 224 000 Steuerungssysteme, 188 000 Industrie-PCs und -Panels sowie 245 000 Antriebssysteme rollen jährlich von den Fließbändern des Automatisierungsunternehmens Bernecker + Rainer Industrie Elektronik (B & R) in der beschaulichen Gemeinde Eggelsberg in Oberösterreich. Das Besondere daran ist aber nicht die Masse der Produkte, sondern die breite Produktvarianz, die der Hersteller seinen Kunden bietet. „Allein bei einer unserer Industrie-PC-Familien, dem Automation PC 910, können Unternehmen aus 250 Milliarden möglichen konfigurierbaren Varianten wählen. Für unsere Industrie-PC-Produktion spielt die Auftragsgröße keine Rolle – wir wickeln eine Bestellung von 1000 Stück ebenso effizient ab wie eine in Losgröße Eins“, sagt Josef Raschhofer, Leiter IT und Supply Chain Management bei B & R. Möglich sei dies aufgrund der großteils automatisierten und durchgängig vernetzten Fertigung in Eggelsberg.
Was zunächst nach Zukunftsmusik im Rahmen von Industrie 4.0 klingt, ist bei dem österreichischen Automatisierer schon lange Alltag: „In unserer eigenen Fertigung leben wir die vollständig vernetzte Smart Factory seit vielen Jahren und entwickeln unsere Lösungen beständig weiter“, betont Raschhofer. Wie das genau aussieht, demonstrierte der Hersteller im Rahmen der Veranstaltungsreihe Factory-Tour des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) am Beispiel seiner Industrie-PC-Fertigung – einem wichtigen Bestandteil des 65 000 m² großen Produktionsstandorts.
Wunschprinzip: Der Kunde kann aus mehr als 250 Mrd. Industrie-PC-Varianten wählen
Die Reise eines Industrie-PCs beginnt beim Anwender: Mithilfe eines Online-Tools konfiguriert der Vertriebsingenieur einen PC für den Kunden gemäß seiner individuellen Anforderungen und erstellt dafür das Angebot. Er stellt auch sicher, dass die gewählte Variante technisch und kaufmännisch vollständig, korrekt und ohne weitere Abklärung produzierbar ist. 250 Mrd. Varianten sind möglich. Anschließend kann der Kunde weitere Details angeben, wie die gewünschte Partitionierung der Festplatte oder spezielle Software-Einstellungen. „Materialstamm, Stückliste, Arbeitsplan und die Montage-Anleitung werden dann von unserem ERP-System SAP automatisch erstellt“, erläutert Raschhofer. Zudem plant das ERP-System die Abarbeitung der Aufträge und stellt sicher, dass die Logistik funktioniert. Werden Teile aus dem Lager benötigt, werden diese just-in-time in die Produktionshalle am Standort geliefert.
Die Grundlage für den reibungslos funktionierenden Ablauf in seiner Smart Factory legte das Unternehmen bereits 1996 mit der Installation eines durchgängigen Netzwerks. „Wir haben ein homogenes globales Netz, in dem jede Maschine, alle Komponenten der Gebäudeautomatisierung und das ERP-System integriert sind“, betont Raschhofer. Dadurch sind Hardware- und Softwareprozesse durchgängig standardisiert und das ERP-System kann zum Beispiel auch direkt die einzelnen Regalbediengeräte des Hochregallagers vor Ort steuern. Dementsprechend sortiert das System Materialien im Hochregallager um und löst gegebenenfalls eigenständig Nachbestellungen aus. Zudem ist das eigens entwickelte Prozessleitsystem Aprol in die IT-Architektur integriert und sammelt Produktionsdaten auf Linienebene, wertet diese aus und visualisiert sie, ergänzt der IT-Leiter.
Vor der Montage eines Industrie-PCs werden die notwendigen Platinen im Leiterplattenwerk des österreichischen Produktionswerks gefertigt. Auch hier geschieht fast alles automatisch: Zunächst werden die einzelnen Bauteile für die Platinen, etwa Kondensatoren und Widerstände, auf großen Rollen angeliefert, die wie alte Kinofilmrollen aussehen. Die Bauteile werden dann in sieben Linien automatisch auf den Leiterplatten platziert, festgelötet und anschließend einem hundertprozentigen Funktionstest unterzogen. 80 Millionen Bauteile werden in Eggensberg monatlich verlötet – damit produziert das Unternehmen 6,5 Milliarden Leiterplatten im Jahr.
Werker wird schrittweise mit Bildschirmanweisungen und Pick-by-Light bei der Montage unterstützt
Damit die Leiterplatten und die weiteren PC-Bauteile schnell montiert werden können, hat das ERP-System bereits nach Eingang der Bestellung dafür gesorgt, dass die erforderlichen Bauteile in Reichweite zu den Montagestationen verfügbar sind. Dort werden sie von den Werkern anhand von Bildschirmanleitungen zusammengebaut. Lichtsignale, auch Pick-by-Light genannt, zeigen dem jeweiligen Werker dabei an, welches Bauteil für den nächsten Arbeitsschritt benötigt wird.
Bereits während und nach der Assemblierung wird jeder Industrie-PC mehrfach getestet. Dabei werden die korrekte Montage sowie die Zuverlässigkeit von Prozessor und Arbeitsspeicher unter Belastung überprüft: „Unsere PCs durchlaufen die klassischen elektrischen (In-Circuit) Tests und werden sowohl in ihren einzelnen Bestandteilen als auch als fertiges Modul auf ihre Funktionalität getestet. Alle Testergebnisse und sonstige Schritte werden gespeichert und sind später jederzeit abrufbar“, sagt Raschhofer. Dabei erstreckt sich die Rückverfolgbarkeit über den gesamten Lebenszyklus: Anhand der Seriennummer des PC kann auch Jahre nach der Produktion jeder Funktionstest abgerufen und jede Teilkomponente eindeutig identifiziert werden.
„Industrie 4.0 funktioniert nicht ohne eine vollständig integrierte Logistik“
Wenn alle Tests positiv abgeschlossen sind, wird im ERP-System automatisch eine Freigabe für den Versand des PC gesetzt. Der fertige PC wird anschließend verpackt und entweder sofort verschickt oder zur Zwischenlagerung in das automatische Hochregallager im hauseigenen Logistik-Center transportiert. In sechs Gassen lagern hier rund 22 000 Paletten auf zwei Ebenen. Auch hier setzt das Unternehmen kein separates Lagerverwaltungssystem ein, sondern hat das Hochregallager an das ERP-System gekoppelt. So werden Routenführungen, Fahrbefehle oder Lagerplatzverwaltung ausschließlich über das SAP-System gesteuert. Denn Industrie 4.0 funktioniere nicht ohne eine vollständig integrierte Logistik, weiß der IT- und Supply-ChainManagement-Leiter.
„Viele Unternehmen nehmen Industrie 4.0 nach wie vor als Glaskugel wahr. Wir sehen in dem Trendthema ein klares Ziel: Nämlich unsere Produktivität und Qualität als international tätiges Automatisierungsunternehmen weiter zu steigern und Wartungsprozesse unserer Produkte zu verbessern“, erklärt Hermann Obermair, General Manager Sales Region Austria bei B & R.
Und das funktioniert: Seinen Industrie-PC-Fertigungsprozess konnte der Automatisierungshersteller deutlich reduzieren. Fünf Tage dauert es aktuell, bis ein individueller PC fertiggestellt ist und von Eggelsberg zum Kunden versendet wird. „Früher hat dieser Prozess rund sechs Wochen gedauert“, erinnert sich Obermair.

Factory-Tour des VDMA
Die Landesverbände der Regionen „Mitte“, „Bayern“ und „Österreich“ des Verbands VDMA haben im vergangenen Jahr die Erfahrungsaustausch-Reihe Factory-Tour gestartet. Hierbei können sich Interessierte gelungene Umsetzungsbeispiele aus der Praxis vor Ort ansehen und gemeinsam Hintergründe zur Umsetzung der Industrie-4.0-Anwendung diskutieren. Die Veranstaltungen richten sich an Geschäftsführer aus Unternehmen der Fertigungsindustrie und sind für Mitglieder des VDMA kostenlos.
Weitere geplante Termine sind:
  • 04.07.2017: Kuka, Augsburg
  • 05.10.2017: Bosch, Nürnberg
  • 15.11.2017: Siemens, Nürnberg
Mehr Informationen finden Sie unter: http://industrie40.vdma.org
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