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Das physikalische Verständnis bleibt elementar

25 Jahre SPS IPC Drives: Round-Table-Gespräch zur Zukunft der Automatisierung
Das physikalische Verständnis bleibt elementar

Automatisierung | Die SPS IPC Drives feiert ihren 25. Geburtstag. Zu diesem Anlass haben Vertreter von Ausstellerbeirat, Kongresskomitee, Mesago Messe Frankfurt, VDMA und ZVEI über die vergangenen und zukünftigen Entwicklungen in der Automatisierung gesprochen.

Herr Thoma, zunächst herzlichen Glückwunsch zum 25. Geburtstag der SPS IPC Drives! 1990 startete die Messe in Sindelfingen mit 63 Ausstellern, 2014 werden es in Nürnberg über 1600 sein. Das spricht für die Bedeutung der Automatisierung.

Thoma: Wir starteten ja zunächst als Kongress mit begleitender Ausstellung, heute ist es umgekehrt. In der Tat spiegelt der Erfolg der Messe mit stetig steigenden Zahlen wider, wie sich die Automatisierungsindustrie entwickelt hat. Angesichts der rund 1650 Aussteller und 60 000 erwarteten Besucher zeigt das, wie wichtig und mit wie viel Potenzial versehen diese Branche heute ist.
Professor Frey, wie erläutern Sie Ihren Studenten, was sich in den letzten 25 Jahren in dieser Branche getan hat?
Frey: Mit Blick auf die Steuerungstechnik gehen wir zunächst noch weiter zurück bis ins Jahr 1969, dem Geburtsjahr der SPS, und betrachten dann deren Entwicklungsschritte. Auf diese Weise landen wir dann beim Thema Software, das heute eine wesentliche Rolle in der Automatisierung spielt.
Welche technischen Meilensteine haben uns denn die vergangenen 25 Jahre gebracht?
Adolphs: Eine ganze Menge! Besonders herauszuheben ist sicherlich das Thema Feldbusse, das uns ja im Rahmen der SPS IPC Drives in den 90er und frühen 2000er Jahren sowohl auf dem Kongress als auch der Messe immer wieder beschäftigt hat. Bei genauer Betrachtung stellt man fest, dass dies auch der Einstieg in die Vernetzung über Ethernet war – also das, was wir heute unter dem Stichwort Industrie 4.0 diskutieren.
Bürger: Gerade das Thema der Ethernet-basierenden Bussysteme ist wie zuvor die Feldbusthematik insbesondere auch für den Maschinen- und Anlagenbau sehr wichtig. Für die nahezu 60 Prozent der Besucher, die aus dieser Branche kommen, bietet die Messe deswegen eine gute Gelegenheit zu erkennen, welche Technologien sich entwickeln und dann auch behaupten.
Huber: Ergänzend sei zudem die Entwicklung mit Blick auf die Programmierung der SPS genannt. Mit der IEC 61131 haben wir hier sicherlich einen großen Schritt in Richtung Standardisierung gemacht. Das wird uns nicht zuletzt auch bei der Diskussion um Industrie 4.0 helfen – denn auch hier müssen wir nun den nächsten Schritt machen und zu einheitlichen Standards kommen.
Was muss passieren, damit sich Industrie 4.0 sinnvoll einsetzen und nutzen lässt?
Frey: Industrie 4.0 ist ein relativ breites Feld. Technologisch sehe ich weniger Probleme. Es geht um viele Technologien, die bereits erdacht und entwickelt wurden, gelegentlich fehlt noch die Marktreife. Wichtig aber ist die Frage: Was macht man damit? Es fehlt gewissermaßen die „Killer-App“, die zeigt, warum sich eine Investition in die dahinterstehenden Technologien lohnt.
Technologisch wird sicherlich mit Blick auf die kommenden 25 Jahre wiederum die Ethernet-basierende Kommunikation eine wichtige Rolle spielen, oder?
Adolphs: So ist es, da die Entwicklung im Rahmen von Industrie 4.0 dazu führt, dass jeder Teilnehmer eines Automatisierungssystems mit jedem anderen kommunizieren kann. Da ist sicher eine Ethernet-Kommunikation besser geeignet als Feldbus-basierende Systeme. Allerdings führt dies zu zusätzlichen Problemen, etwa rund um die Security. Bei einer hartverdrahteten AS-i-Lösung – bei der ich letztlich durch die mechanische Vorgabe sage, wer mit wem sprechen kann – ist Sicherheit wesentlich einfacher zu erreichen. Ich denke, dass insbesondere dieser Widerstreit eine sehr wichtige Rolle spielen wird.
Welche Rolle wird die Automatisierungspyramide künftig spielen?
Adolphs: Natürlich wird uns die Automatisierungspyramide noch lange Zeit begleiten, denn sie hat ja immer noch ihre Berechtigung. Überall dort, wo allerdings im Rahmen von Industrie-4.0-Konzepten die direkte Kommunikation eines Teilnehmers mit einer Komponente zwei oder drei Ebenen höher Sinn macht, wird sie sich auflösen. Und genau an dieser Stelle kommen dann auch die Vorteile der Ethernet-Kommunikation zum Tragen.
Huber: Im Rahmen der Diskussion um Industrie 4.0 unterscheiden wir zudem zwischen Office- und Shop-Floor. Im Shop-Floor werden wir die Automatisierungspyramide durchaus weiter sehen. Schnelle Regelungen bedürfen auch in Zukunft eines Controllers oder einer SPS. Dass ein Software-System per Ethernet ein Ventil ansteuert, ist unwahrscheinlich. In anderen Bereichen, insbesondere denen, die weniger Geschwindigkeit benötigen, werden wir dagegen durchaus andere Kommunikationswege nutzen. Wir werden künftig Kombinationen sehen.
An welcher Stelle steht die Sensorik hier heute und was muss folgen?
Adolphs: In den letzten 25 Jahren hat die Sensorik sich extrem weiterentwickelt – schon dadurch, dass leistungsfähigere Controller-Bausteine bezahlbar wurden. Entscheidend wird sein, dass die Sensoren auch hochwertige Informationen in ein System einspeisen. Betrachtet man traditionelle Anlagen, werden häufig nur Schaltsignale abgefragt. Die in einem Messgerät vorliegenden, hochwertigen Informationen werden im Rahmen der Automatisierung oft gar nicht verwendet. Einer der Gründe dafür ist sicherlich, dass es teilweise sehr aufwändig ist, diese Information an die richtige Stelle zu transportieren. Die Sensorhersteller setzen hier die Hoffnungen auf Industrie 4.0. Denn damit sollte es leichter sein, hochwertige analoge Messwerte an die richtige Stelle zu liefern.
Huber: Die Sensorik wird sich in diesem Sinne auch klar in Richtung der Analytik entwickeln. Heute messen wir Umgebungsbedingungen wie etwa Temperatur oder Druck, weil wir die eigentliche Messgröße nicht erfassen können. Das wird uns aber mit Fortschritten in der Analysetechnik gelingen, was zu einer deutlich reduzierten, gleichzeitig aber hochwertigeren Instrumentierung führen wird.
Dennoch wird die Menge der Daten zunehmen…
Bürger: …weswegen das Schlüsselwort „Information“ heißt. Wir müssen die Frage beantworten, wie sich aus der Menge an Daten für den Anwender nutzbare Informationen gewinnen lassen. Hier werden völlig neue, mathematische Methoden notwendig sein, um aus der Masse an Daten genau diese relevanten Informationen zu generieren.
Frey: Um diese zu generieren, benötigt man zudem Know-how – es wird nicht genügen, rein auf datenbasierte Methoden zu setzen. Erst mit Wissen und entsprechenden Modellen lassen sich die vorliegenden Daten interpretieren – und speziell hier können wir noch sehr viel besser werden.
Huber: Die Frage, wie sich aus Daten Informationen gewinnen lassen, beeinflusst zudem stark das Ingenieurwesen. Während man in der Automatisierungstechnik noch klassisch nach V-Modell entwickelt, arbeiten die Software-Spezialisten bereits mit der Agilen Software-Entwicklung. Geht es nun um Themen wie Big Data, ist aus meiner Sicht auch ein Wandel in der Lehre erforderlich – sowohl Ingenieure als auch Informatiker betreffend. Nur so lassen sich zukünftig Aufgaben der Automatisierung lösen.
Inwiefern fordert das auch eine disziplinübergreifende Zusammenarbeit – wie beispielsweise die von Spezialisten der IT und Automatisierung?
Huber: Ich denke, dass dies vor allem ein Zeitproblem ist. Heute sind Automatisierung und IT noch unterschiedliche Disziplinen, die müssen erst zusammenkommen, was aber noch ein paar Jahre dauern wird. Sicher ist aber, dass wir uns gegenseitig verstehen müssen.
Bürger: Der Maschinenbau kommt ja auch zunehmend mit IT-Themen in Berührung. Genannt wurden bereits agile Entwicklungsmethoden, Security oder Big Data. Aktuell wird die Verbindung unter dem Dach der Unternehmen geschlossen, die Produkte entwickeln. Ich denke, dass in der Lehre ein Umdenken erfolgen und auch die Ausbildung in diese Richtung gehen wird.
Adolphs: Wenn man heute in Entwicklungsabteilungen blickt, arbeiten dort Physiker, Ingenieure und Informatiker gemeinsam an Projekten. Dass natürlich der „Wortschatz“ dieser Gruppen nicht ganz deckungsgleich ist, liegt in der Natur der Sache. Wir lernen gerade, miteinander umzugehen. Gewisse Eigenheiten werden die Disziplinen aber behalten. Der eine denkt mehr in Datenmodellen, der andere ist näher an der Physik.
Frey: Ziel kann sicher nicht sein, jemanden auszubilden, der „alles“ kann: Das würde dann ein Generalist, der zwar alles aber nichts richtig kann. Ziel muss sein, dieses Verständnis, das im Moment doch eher erst in den Abteilungen der Unternehmen im Laufe des Projekts zustande kommt, schon während des Studiums zu lehren.
Welche Rolle kann hier die SPS IPC Drives spielen?
Thoma: Die Messe konnte sicherlich schon in den zurückliegenden Jahren zur erfolgreichen Entwicklung der Automatisierung beitragen. Unser Ziel und Anspruch ist es deshalb auch, Anbieter, Anwender, Wissenschaftler sowie Verbände wie VDMA und ZVEI zusammenzubringen – im Sinne eines Ideenfestivals. Dabei bleibt die Automatisierung immer ein Treiber technischer Weiterentwicklung; sie ist eine Enabler-, eine Schlüssel-Technologie für mehr Energieeffizienz, Qualität und Produktivität. Und ihre Einsatzgebiete sind unzählig, die fortschreitende Digitalisierung wird hier noch mehr Möglichkeiten eröffnen.
Muss sich die Messe auch neuen Themen – etwa rund um Security – öffnen?
Thoma: Die SPS IPC Drives konzentriert sich natürlich auf die elektrische Automatisierung. Angesichts der vielen Facetten von Automatisierung, die wir hier bereits angesprochen haben, darf das aber kein starrer Rahmen sein. Die Veranstaltung muss sich natürlich den Anforderungen anpassen. Beispiele der jüngeren Vergangenheit sind etwa das Zusammenwachsen von Prozess- und Fabrikautomatisierung, die Bildverarbeitung oder eben die IT und die Rolle innerhalb der Automatisierung.
Huber: Messen unterliegen an dieser Stelle ja auch einem Wandel. Typischerweise liefert heute das Internet die klassischen Informationen rund um Produkte und Lösungen, nicht mehr eine Messe. Die Besucher einer Messe wollen heute Fragestellungen diskutieren, was für die Aussteller anspruchsvoller aber auch interessant ist. Messen entwickeln sich also weg von der Informationsbeschaffung hin zu einem Diskussionsforum, wo sich Aufgabenstellungen mit verschiedenen Herstellern diskutieren lassen.
Hat die zentrale SPS noch eine Zukunft oder sehen wir mehr und mehr verteilte Steuerungsarchitekturen?
Adolphs: Das wird sehr stark davon abhängen, wie die Engineering-Systeme solche Ansätze unterstützen. Noch erfolgt letztlich das Engineering separat für jede einzelne Komponente – koordiniert über eine Excel-Liste, um das mal etwas karikierend darzustellen. Der Anwender möchte nach wie vor die Gesamtsicht auf seine Automatisierungsanlage haben. Funktionen in dezentralen Controllern abzubilden, ist dann eine Unteraufgabe. Was sicherlich eine Frage sein wird ist: Reden wir dann noch von einer SPS oder sind das nicht alles PCs? Das ist ja fast schon eine philosophische Frage, da nur noch in wenigen Steuerungen solche enthalten sind. Der Industrie-PC hat sich hier durchgesetzt.
Bürger: Ich denke die Frage lässt sich einfach beantworten: Die SPS wird es auch in Zukunft geben. Das Spektrum der Anwendungen wird dagegen zunehmend getrieben durch die Anwender und Maschinenbauer, die die Modularisierung vorantreiben und variable, rekonfigurierbare Maschinen anstreben. Hier sind dann auch andere Lösungen gefragt, die dezentral in Maschinenkomponenten und Modulen funktionieren, aber durchaus wiederum SPS-Funktionen beinhalten. Hier treffen wir wieder auf die bekannte philosophische Diskussion: zentral versus dezentral. Beides gab es schon lange vor Industrie 4.0 und die Antwort lautet einfach: Es wird weiter beides geben.
Erforderlich ist also eine den Prozess steuernde zentrale Intelligenz, unter der sich autonome Teilprozesse gestalten lassen?
Frey: Ich sehe das so, würde es aber anders ausdrücken: Für mich ist die SPS vor allem ein Denk- und ein Programmiermodell – und zwar ein sehr erfolgreiches; die IEC 61131 wurde bereits eingangs angesprochen. Es ist zwar nicht das allerinnovativste Programmiermodell, aber es bietet den einzig stabilen Standard, den wir haben. Die Dynamik des IT-Bereiches wäre an dieser Stelle viel zu hoch. Das für den zyklischen Betrieb deterministische Denk-, das Ausführungs- und Programmiermodell werden wir wahrscheinlich noch relativ lange haben.
Welche besseren Ansätze könnte es geben?
Frey: Hinter dem Modell stehen vor allem Echtzeitfähigkeit und Determinismus – was fehlt ist der verteilte Gedanke. Der findet sich in der Erweiterung der IEC 61499, die sich aber noch nicht durchgesetzt hat. Von der Idee her ist dieses Modell ein zentrales. Zwar lassen sich im Sinne einer hierarchischen Verteilung Unterfunktionalitäten in Feldgeräte verlagern und abbilden; kooperierende Einheiten lassen sich aber nur schlecht abbilden. Das ist ein Manko.
Bürger: Den Standard der IEC-61131-Programmierung zu haben, ist sicherlich eine Stärke dieses Ansatzes. Wir sprachen allerdings zuvor auch von dem Zusammenbringen der unterschiedlichen Disziplinen: In der IT-Technik wird die IEC 61131 typischerweise nicht gelehrt, dort sind es eher die Hochsprachen – deswegen sehe ich auch die Chance, das zusammenzubringen. Lassen sich unter Sicherstellung des Determinismus Hochsprachen in das SPS-Denkmodell integrieren, können wir eine neue Generation von Anwendern an die SPS heranführen und Innovationsmöglichkeiten schaffen. Das reicht bis zu anderen Formen der Programmierung oder der Anbindung an Simulationstools.
Huber: Am Ende sehen wir deshalb wieder Kombinationen: Für den Regelkreis wird man weiterhin funktionale Sprache brauchen, weil sich damit der Regelkreis besser beschreiben lässt. Für andere Applikationen macht es aber Sinn, Hochsprachen zu verwenden – etwa mit Blick auf die Big-Data-Thematik. •
Das Gespräch moderierte Michael Corban, Chefredakteur, elektro Automation
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