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Hochzeitsplaner im Chip

RFID: Mehr Durchblick in der Produktion
Hochzeitsplaner im Chip

Hochzeitsplaner im Chip
Wie Rennpferde in den Startboxen stehen bis zu vier Montagewagen nebeneinander. Auf dem Bildschirm kann der Arbeiter bequem ablesen, in welcher Reihenfolge er die Aufträge abarbeiten muss Bilder: Wittenstein
Ob die Funktechnologie in der produzierenden Industrie sinnvoll eingesetzt werden kann, sollte das Projekt PRoFID zeigen. Am Beispiel der Fertigung beim Antriebshersteller Wittenstein stellen die Partner nun fest: Es lohnt sich.

Wenn Päckchen im Versandhaus von allein ihren Weg finden und Europapaletten sich selbst am Wareneingang anmelden, steckt meist RFID-Technik dahinter. RFID, die Radio-Frequency-Identification, also die Erkennung über Funk, hat sich in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Baustein der Logistik gemausert. Ware wird mit Funketiketten markiert, die sich aus der Distanz von einem Schreib-Lesegerät auswerten lassen. So kann man in Sekundenbruchteilen verpackte Pullover durch verschlossene Kartons hindurch registrieren oder große Bauteile in Fabrikhallen orten.

Bislang allerdings war RFID meist nur einer von vielen Bausteinen einer Logistikkette. Unter der Regie des Instituts für Integrierte Produktion Hannover (IPH) haben sich aber vor zwei Jahren vier Industrieunternehmen und ein weiteres Forschungsinstitut zusammengetan, um im Projekt PRoFID auszuloten, ob RFID-Technik das Zeug dazu hat, auch zentrale Produktionsprozesse aufzupeppen. In diesem vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt haben die Partner eine RFID-Lösung entwickelt, die die Montage von Bauteilen transparenter und planbarer macht. Dreh- und Angelpunkt ist die Wittenstein AG aus Igersheim, Mechatronikspezialist und Hersteller von Antriebstechnik für die Automobil-, Luft- und Raumfahrtindustrie oder die Medizintechnik: Dort wurde die RFID-Technik implementiert.
Das Unternehmen fertigt unter anderem kombinierte Motor-Getriebeeinheiten – etwa für Anlagen im Maschinenbau. Beide Komponenten werden in zwei verschiedenen Produktionslinien montiert und erst zum Schluss, so der Fachjargon, verheiratet. Bislang hatte man die Produktion zentral organisiert: Vom gewünschten Liefertermin des Kunden rechnete man zurück auf den Tag des Montagebeginns. Täglich spuckte das Warenwirtschaftsystem die aktuellen Montageaufträge aus. Daran orientierten sich dann die Werksmeister, die die eigentliche Arbeitsorganisation erledigten: Jedes Getriebe und jeder Motor wird auf einem eigenen Montagewagen durch den Prozess und mehrere Werkshallen geschoben.
Einmal in der Linie, ließen sich einzelne Aufträge kaum im Detail verfolgen. Trafen Eilaufträge ein, mussten die Meister erst im System abgleichen, welche Lieferungen zurückgestellt werden konnten. Ein weiteres Problem: Da sich je nach täglichem Auftragsvolumen häufig viele Montagewagen in der Fertigungslinie drängten, waren Material und Kapital gebunden. Früher stauten sich bis zu zehn Wagen, heute sind es maximal vier pro Platz. „Dank der RFID-Installation konnten wir den Bestand in der Fertigungslinie senken und zugleich die Liefertreue erhöhen“, konstatiert Markus Vogel, PRoFID-Verantwortlicher bei Wittenstein.
Kernidee des Projektes war es, die zentrale, ausschließlich durch den Werksmeister und die tägliche Auftragsanforderung gesteuerte Montage aufzubrechen und mit dezentralen RFID-Kontrolleinheiten, den so genannten Marktplätzen, zu versehen. Damit legt der Montagewagen nicht mehr einen langen Weg durch eine Produktions-Black-Box, sondern Etappe nach Etappe von Marktplatz zu Marktplatz zurück.
Die Marktplätze sind die zentralen RFID-Stationen. Hier stehen bis zu vier Montagewagen nebeneinander wie Rennpferde in ihren Startboxen. Auftragshefter stecken an ihrer Seite, auf die die kleinen RFID-Funketiketten geklebt sind. Leseantennen am Rande der Boxen nehmen Kontakt mit ihnen auf, sobald ein neuer Wagen in die Station geschoben wird. Automatisch wird so registriert, wo sich gerade welcher Auftrag befindet. Der Arbeiter kann auf einem Bildschirm neben den Boxen ablesen, in welcher Reihenfolge er die Wagen und Aufträge abarbeiten muss. Und bei einem Schnellschussauftrag wird die Reihenfolge nach Kundenanforderung aktualisiert und die Rangfolge geändert.
Da die Firma Wittenstein erst auf Anforderung produziert, ihre Produkte nicht lagert, sondern direkt an den Kunden verschickt, kommt es hier auf punktgenaue Produktion an. Erschwert wurde das in der Vergangenheit auch dadurch, dass manche Motoren für einen bestimmten Arbeitsschritt in ein externes Werk transportiert und zum „Verheiraten“ mit dem Getriebe anschließend wieder ins Stammwerk zurückgebracht werden müssen. Dank der aktuellen Funkidentifikation ist auch das jetzt kein Problem mehr. Jeder weiß sofort, wo sich die Komponenten befinden.
Die RFID-Technik, also Funktransponder, Antennensysteme und die Vernetzung, stammt von Siemens IT Solutions & Services; das Steuerungssystem, das die Reihenfolge der Aufträge überwacht und die dezentrale Produktion regelt, vom IPH und der Firma Seeburger, einem Spezialisten für die Integration von Geschäftsprozessen. „Das Besondere an der PRoFID-Lösung ist, dass sie sich in bestehende Systeme leicht integrieren lässt“, sagt Projektingenieur Matthias Elsweier vom IPH, das die Kooperationspartner zusammen mit dem International Performance Research Institute (IPRI) in Stuttgart akquiriert hat. „Darüber hinaus wurde sie so ausgelegt, dass sie sich auf verschiedene Branchen übertragen lässt.“
Derzeit werten die Projektpartner noch aus, wie sich die neue Technik auszahlt. Hierfür wurde vom IPRI eine Methode entwickelt, mit der sich die Wirtschaftlichkeit von RFID-Lösungen ermitteln lässt. „Der Fokus liegt dabei auf der Bewertung von monetärem und nicht monetärem Nutzen, wie beispielsweise den Auswirkungen einer gesteigerten Transparenz, einer höheren Flexibilität und Veränderungen der Kundenzufriedenheit“, sagt IPRI-Mitarbeiter Johannes Isensee.
Markus Vogel geht aber schon jetzt davon aus, dass das System in nächster Zeit auf andere Fertigungsbereiche bei Wittenstein übertragen wird. Und auch Jörg Bidlingmeier, Projektverantwortlicher bei Seeburger, ist von den Ergebnissen überzeugt. Er und seine Kollegen haben auf Basis einer selbstentwickelten Middleware das zentrale Softwaremodul entwickelt, in dem alle RFID-Signal zusammenlaufen, verrechnet und mit dem Warenwirtschaftssystem verkoppelt werden. Sein Fazit: „Zu Projektbeginn konnten wir kaum abschätzen, inwieweit die fertige Lösung von Interesse sein würde. Jetzt steht fest, dass ein System entstanden ist, das in vielen Bereichen benötigt wird.“
Tim Schröder Fachjournalist in Oldenburg
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