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Industrie 4.0 ist auf dem richtigen Weg

Roundtable-Gespräch
Industrie 4.0 ist auf dem richtigen Weg

Industrie 4.0 ist nicht mehr nur Trend, sondern beginnt bereits mit kleinen Schritten. Darin waren sich die Teilnehmer des Roundtable-Gesprächs zu Industrie 4.0 einig. Mit dem Rami-4.0-Modell hat sich ein Orientierungsrahmen für Unternehmen gefunden – nun muss dieser weiter mit Beispielen gefüllt werden.
Komplette Wertschöpfungsketten bis in die Nutzung moderner Produkte oder Maschinen sind inzwischen stärker in den Fokus der Industrie-4.0-Diskussionen getreten. Die Digitalisierung bietet vor allem die Chance zur Realisierung neuer Geschäftsmodelle, wie die Teilnehmer des 2. Roundtable-Gesprächs zu Industrie 4.0 der Zeitschriften elektro Automation und Industrieanzeiger betonen. Weiter bleibt es eine wichtige Aufgabe, die Standardisierung kontinentübergreifend voranzubringen – bis hin zu echtzeitfähiger Ethernet-Kommunikation.
Eine Erkenntnis unseres ersten Roundtable-Gesprächs 2013 war, dass sich mit Industrie 4.0 Fertigungseinrichtungen flexibel nutzen lassen und dass sich diese situationsabhängig anpassen können. Hat sich diese Perspektive inzwischen verändert?
Dumitrescu (Fraunhofer IEM): Sie ist immer noch ein wichtiger Bestandteil, aber das Thema Industrie 4.0 hat sich weiterentwickelt. Es geht jetzt darum, die gesamte Wertschöpfungskette zu digitalisieren – vom Entwurf über die Fertigung bis hin zu intelligenten Servicekonzepten, bei denen wir Daten der Produkte im Feld sammeln und nutzen.
Kalhoff (Phoenix Contact): Das kann ich nur bestätigen, denn in der letzten Zeit haben wir viel über die horizontale und vertikale Kommunikation gesprochen – und damit kommen wir automatisch zu Prozessketten. Die Produktion an sich hat einen Vorprozess und einen Nachprozess. Die Produkte selbst werden verwendet und es ergeben sich Möglichkeiten für Dienstleistungen – die Digitalisierung bildet hier das Bindeglied zwischen all diesen Prozessen. Ein gutes Beispiel ist die Engineering-Kette, in der viele Informationen zusammenfließen. An dieser Stelle sieht man schnell, dass es einfach zu klein gedacht ist, nur an die Produktion zu denken. Unsere Aktivitäten zielen deshalb darauf ab, zu erkunden, wie sich die verfügbaren Daten verwenden lassen, wie man damit eine Wertschöpfung entlang der Datennutzung vom Zulieferer über die Produktentstehung, die Produktion und die Produktverwendung erzielen kann und wie sich neue Geschäftsmodelle für unser Unternehmen, aber auch bei unseren Kunden umsetzen lassen.
Glaser (Pilz): Das Thema Industrie 4.0 ist in der Wertschöpfungskette der Automatisierungsindustrie angekommen. Vor rund vier Jahren begann alles mit einer Initiative der Bundesregierung und war zunächst auf die Forschung ausgerichtet. Heute wird verstärkt die Frage nach der Anwendbarkeit gestellt, zunehmend auch im internationalen Rahmen. Deswegen gehen Unternehmen, wie auch wir, dazu über, das Thema in den eigenen Fabriken stärker zu implementieren, um Erfahrungen der Anwendbarkeit zu sammeln – mit all ihren Facetten vom erwähnten Themenkomplex des Engineerings bis hin zu Instandhaltungskonzepten oder der Datenanalyse im Sinne der vorbeugenden Wartung.
Wie international wird das Thema inzwischen gespielt?
Lantermann (Mitsubishi Electric Europe): Industrie 4.0 hat sich zunächst von einem deutschen zu einem europäischen Ansatz weiterentwickelt – was ich für sehr wichtig halte. Darüber hinaus befördert der Wettstreit mit dem Industrial Internet Consortium in Amerika und der Robot Revolution Initiative aus Japan das Thema auf eine andere Ebene – nämlich ein Stück weit weg von der Industrie hin zur Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette. Kontinentübergreifend unterhält man sich über eine gemeinsame Kommunikationsstruktur und versucht, Gemeinsamkeiten zu finden. All diese Initiativen, letztlich auch China 2025, verfolgen aber die gleichen Ziele. Der deutsche Industrie-4.0-Ansatz, der sich zunächst nur auf die Industrie bezog, greift hier zu kurz.
Bevor wir uns der Zusammenarbeit mit dem Industrial Internet Consortium zuwenden noch eine Frage zur Sensorik: Genügt die inzwischen mögliche große Menge an Daten, die gewünschten verwertbaren Informationen zu generieren?
Müller (Sick): Wir gehen davon aus, dass Sensoren weiter die Augen und Ohren sind. Gefordert ist aber auch eine gute Anbindung an übergeordnete Systeme. Dort lassen sich die Daten dann auch verknüpfen, um einen Mehrwert zu generieren, wie zum Beispiel neue Geschäftsmodelle. Diese Themen bewegen uns derzeit am stärksten, obwohl wir natürlich weiter Sensoren für die Industriewelt entwickeln.
Werfen wir einen Blick auf die praktische Anwendung: Können Sie uns Beispiele nennen, in denen Industrie 4.0 bereits im Einsatz punktet?
Müller: Ja, das betrifft sowohl kundenindividuelle Lösungen als auch Optimierungen in der Produktion. Ich kenne etwa Beispiele, in denen durch die Datennutzung aus der Prozesskette bei gleichem Ausstoß 30 % Material eingespart werden konnte. Hinzu kommen die Fälle, in denen sich heute schon neue Geschäftsmodelle auszahlen, in denen man neue Services nutzen kann.
Lantermann: Ein typisches Beispiel ist auch das Energiemanagement. Dort lassen sich Ist-Daten besser erfassen und daraus können die richtigen Schlüsse gezogen werden. Eines ist dabei aus meiner Sicht wichtig: Es lohnt sich, in kleinen Schritten in die richtige Richtung zu gehen. Dann lassen sich schnell Erfolge beim Energiemanagement, der Vermeidung von Abfall oder auch schnellere Durchlaufzeiten erreichen. Daten, die heute schon vorliegen, lassen sich häufig bereits sinnvoll nutzen.
Dumitrescu: Das kann ich nur unterstreichen. Natürlich müssen wir die Vision im Auge behalten, dass wir in zehn Jahren vielleicht fertige Produkte auf Knopfdruck erzeugen können. Beginnen wir aber die Umsetzung mit dieser Vision, kommen wir nicht weiter. Kleinere Use Cases zeigen viel besser, wo sich wirklich Verbesserungen erreichen lassen. In der Plattform Industrie 4.0 haben wir deshalb 200 dieser Use Cases aufgesetzt – konkrete Beispiele, die es mehr oder weniger bereits gibt.
Blicken wir auf die internationale Einbindung von Industrie 4.0: Das Industrial Internet Consortium wurde bereits genannt – dort spricht man sowohl vom Industrial Internet of Things als auch vom Commercial Internet of Things. Welche Bedeutung hat das für die Industrie-4.0-Diskussion?
Glaser: Auf internationaler Basis sprechen wir sicher von einer gemeinsamen Physik und gemeinsamen Diensten – allerdings auch von anderen Nutzungsfällen. Das ist ein Punkt, den alle Automatisierer seit Längerem hervorheben: Das Internet ist nicht der Ersatz einer Automatisierungslösung. Es ist vielmehr der Träger bestimmter Dienste, die Automatisierungslösungen verbessern und den Datenaustausch mit anderen Instanzen optimieren können. Fragen der Echtzeitfähigkeit oder von Sicherheitsmechanismen – sowohl Safety als auch Security betreffend – lassen sich nicht nur datentechnisch beantworten, hier ist Ablauf- und Organisationswissen sowie Prozess-Know-how gefragt. Das ist ein wichtiger Unterschied der Automatisierer im Vergleich zu großen Internetkonzernen, die sich primär auf die Funktion der Datensammlung und anschließenden Analyse konzentrieren. Über ihr Prozess-Know-how können sich Automatisierer deutlich von IT- und Softwarehäusern differenzieren.
Dumitrescu: In der Tat nimmt die Diskussion bezüglich der Digitalisierungsschiene – also neuen Diensten und Services – bei uns erst Fahrt auf. Die Amerikaner sind da besser aufgestellt. Was in den USA aber fehlt ist das Detailwissen über Produktionsprozesse – hier punkten wir; läge dies bei Google oder Amazon, hätten die das Geschäft längst gemacht. Es wird also darauf ankommen, Geschäftsmodelle zu finden – und dafür ist die Zusammenarbeit mit dem Industrial Internet Consortium erforderlich.
Kalhoff: An dieser Stelle ist entscheidend zu definieren, wo die Daten liegen und wer sie verwenden darf – also die Diskussion um die selbstbestimmte Nutzung von Daten. Wir als international agierendes Industrieunternehmen müssen hier vor allem auch für Datenqualität und -integrität sorgen, sodass der Anwender seine Prozesse optimieren kann und Vertrauen zu den Daten und ihren Quellen erhält. Eine wichtige Rolle spielen dabei im technischen Umfeld Security und Safety; dabei geht es neben der Verfügbarkeit einer Anlage auch um deren sicheres und ressourcenschonendes Verhalten in Bezug auf Menschen, Material und Umwelt. Neben den kommerziellen Aspekten besprechen wir mit dem Industrial Internet Consortium also auch, wie sich mit Daten Mehrwertdienste schaffen lassen.
Blicken wir tiefer in die Ebene der Automatisierung, stoßen wir auf das ReferenzArchitekturmodell Industrie 4.0 der Plattform Industrie 4.0 – kurz Rami 4.0. Hier sind Aspekte der Automatisierungspyramide mit denen des Lebenszyklus-Managements von Anlagen und der IT-Sicht verknüpft. Lassen sich damit alle Aspekte von Industrie 4.0 abdecken?
Dumitrescu: Da ich nicht mitentwickelt habe, kann ich nur den Versuch einer Einschätzung wagen: Aus meiner Sicht ist das Modell Rami 4.0 konzeptionell richtig aufgestellt. Viele Unternehmen implementieren es allerdings noch nicht in dieser Art und Weise, weil es teilweise sehr abstrakt ist. Es ist ein Referenzmodell. Nun fehlt noch so etwas wie ein Applikationsmodell das den Unternehmen zeigt, wie sie es einsetzen können.
Herr Kalhoff, Phoenix Contact ist an der Entwicklung beteiligt. Wie sehen Sie das?
Kalhoff: Es ist ein Referenzmodell und dient der Orientierung. Ich denke, dass es einfach benutzt werden muss, um die derzeitigen Produkte und Wertschöpfungsketten einmal einzusortieren. Das machen wir auch bei uns im Unternehmen, um zu sehen, welche Rolle Produkte und Dienstleistungen spielen und an welchen Stellen noch ‚weiße Flecken‘ existieren, die es zu füllen gilt. Dafür kann ein solches Referenzmodell gut als roter Faden fungieren. Daneben ist solch ein Modell aber auch eine gute Abstraktionsebene, um mit anderen Konsortien zu sprechen; nicht nur in den USA, sondern auch in Asien und hier in Europa. Das dient ebenfalls dazu, dass man das gleiche Sprachmodell besitzt. Denn letztendlich werden auch in deutschen Maschinen europäische, amerikanische oder chinesische Dienste laufen. Die Interoperabilität muss gegeben sein.
Müller: Es ist allerdings nur ein Modell, keine Einführungshilfe – richte ich mich danach, kommt nicht automatisch Industrie 4.0 als Ergebnis heraus. Zudem hat man aus meiner Sicht vergessen, das Thema Security ausreichend zu verankern – Datenschutz ist so gut wie nicht enthalten…
Kalhoff: …es ist nicht explizit im Rami 4.0 sichtbar, aber dennoch überall mit dabei.
Müller: Mit Blick auf den Themenkomplex sichere Infrastruktur gäbe es allerdings einiges zu ergänzen: In der Summe ist Rami 4.0 auch nichts Neues, vielmehr eine schöne Weiterentwicklung, basierend auf vorhergehenden Aktivitäten.
Glaser: Rami 4.0 ist definitiv keine technische Entwicklungsspezifikation oder eine Codieranleitung, um standardisiert zu einer Industrie-4.0-Lösung zu kommen. Bedenkt man aber die Hintergründe der Entstehung, auch dass sich hier erstmals VDMA und ZVEI gemeinsam mit dem Bitkom zusammengeschlossen haben – Verbände, die zuvor eher weniger miteinander zu tun hatten –, ist die Schaffung eines solchen Rahmenmodells zu begrüßen. Letztlich dient das vor allem der Strukturierung und der Verortung bestimmter Themenfelder um zu sehen, wo genau wir uns derzeit mit den einzelnen Aufgaben befinden. Ein Beispiel ist etwa das Thema Verfügbarkeit: Ich kann keine Bewegungsregelung durchführen, ohne Antworten zur Echtzeitfähigkeit des Regelungsprozesses zu haben – ein laufender Virenscanner würde hier Probleme schaffen. Aber dies ist eine klare Aufgabe für eben diese maschinennahen Prozesse – und beispielsweise nicht für die Anbindung der Auftragsssteuerung in einer Enterprise Ressource Planning-(ERP) Software.
Kalhoff: Ergänzend kommt hinzu, dass das Referenzmodell nicht alleine steht. Hinzu kommt die Industrie-4.0-Komponente – aus meiner Sicht gehört beides zusammen. Auf der einen Seite ist Rami 4.0 ein Orientierungsmodell, das festlegt, an welcher Stelle der Kommunikation, Struktur und Wertschöpfung ich mich befinde. Auf der anderen Seite definiert die Industrie-4.0-Komponente die Datensicht, den digitalen Zwilling. Beides muss immer zusammen betrachtet werden, um den roten Faden zu erhalten, cyberphysische Systeme zu realisieren.
Eben tauchte der Begriff ‚digitaler Zwilling‘ auf. Welche Bedeutung hat dieser in der Industrie 4.0?
Lantermann: Eine sehr hohe. Die meisten Unternehmen verfügen über eine Sammlung von Informationen zu ihren Assets, aber es fehlt der Gesamtüberblick über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Das geht uns selbst nicht anders, weswegen wir nun zunächst für jedes unserer Assets – sei es eine SPS oder ein Roboter – alle Informationen sammeln und zusammenführen, um den virtuellen Zwilling mit Leben zu füllen. Das beginnt bei kommerziellen Informationen und reicht über Logistik- bis hin zu Produktionsinformationen. Diese ‚Administration Shell‘ bietet einen großen Vorteil, nicht zuletzt mit Blick auf den Datenaustausch zwischen den Engineerings-Tools. Denn der Anwender kann von mehreren Tools aus auf diese Administration Shell zugreifen. Das wird das Engineering zukünftig erleichtern.
Müller: Dieses Verwaltungsschalen-Modell ist aus meiner Sicht der wesentliche Teil des Verwaltungsmodells Rami 4.0 – dieses bietet den tatsächlichen Nutzen…
Kalhoff: …weil ich jetzt weiß, an welchen Stellen ich ansetzen muss und weil ich – aufgrund der ‚gleichen Sprache‘ – darüber auch mit amerikanischen oder asiatischen Kollegen reden kann. Diese Diskussion über Rami 4.0 und die Verwaltungsschale ist aber auch deswegen von Vorteil, weil man nun auch intern noch einmal die Prozesse analysiert. So erkennt ein Unternehmen etwa, wo sich die eigenen Produkte und Dienstleistungen befinden und wie sich das Unternehmen voranbringen lässt.
Dumitrescu: Spannend wird der digitale Zwilling vor allem dann, wenn wir nicht nur die Produktion, sondern die gesamte Wertschöpfung betrachten. Ein wichtiger Punkt ist dabei, dem Kunden nicht nur ein physisches Produkt zu geben, sondern auch noch die zugehörigen digitalen Daten. Hier muss aber vonseiten der Entwicklungsabteilungen ein Umdenken stattfinden beziehungsweise es müssen Modelle gefunden werden, mit denen ich Informationen kapseln kann – um dem Kunden die Daten mitzugeben, mit denen er etwas anfangen kann. Ein Beispiel ist die Inbetriebnahme einer Anlage, die dann zunächst virtuell erfolgen kann. Das müssen wir erreichen, wobei es auch seitens der Forschung noch einiger Arbeit bedarf; noch sind wir nicht so weit.
Kalhoff: Im Prinzip regt die Digitalisierung damit auch ein anderes Denken an – noch stärker von den Geschäftsmodellen her, zumal diese sich ja auch wandeln oder disruptive Änderungen hervorbringen.
Lantermann: Hinzu kommt: Industrieanlagen sind zwanzig bis dreißig Jahre in Betrieb, wir dürfen uns also nicht nur auf Neuanlagen fokussieren. Vielmehr geht es auch darum, existierende Anlagen besser zu nutzen. Wir müssen jetzt anfangen mit der Digitalisierung, sonst verpassen wir den Anschluss.
Am Tisch sitzen heute Vertreter, die einerseits die Datenkommunikations-Standards Profinet einsetzen, andererseits CC-Link IE. Anlässlich der vergangene Messe SPS IPC Drives haben die zugehörigen Partnerorganisationen Profibus & Profinet International (PI) sowie CC-Link Partner Association (CLPA) mit Blick auf Industrie 4.0 eine engere Zusammenarbeit beschlossen. Wie kann dieser Schulterschluss aussehen?
Lantermann: Unsere Kunden leben von Standards. Besitzen diese etwa einen Sensor mit Profinet-Anschluss, nutzen aber bevorzugt ein CC-Link-IE-Netzwerk, darf die Anwendung daran nicht scheitern – das ist nicht mehr zeitgemäß. Deswegen müssen wir zumindest Brücken schaffen, um von dem einen zum anderen Netzwerk zu kommen. Und da Profinet sicherlich in Europa die Nummer Eins ist, wie CC-Link IE in Japan, liegt eine Kooperation nahe. Wir brauchen eine einheitlich standardisierte Schnittstelle, mit der Daten digitalisiert und in die Enterprise-Welt gebracht werden können, um sie dort zu analysieren. Und das, ohne permanent zu überlegen, ob ich als Unternehmen das richtige Protokoll einsetze.
Kalhoff: Allerdings wird es weiter so sein, dass es eine bunte Welt von Netzwerken gibt – und an dieser Stelle kann wiederum Rami 4.0 von Vorteil sein. Schaut man sich das Modell mit seinen verschiedenen Ebenen an, lässt sich auf Applikationsebene eine Lösung finden, damit sich die Welten untereinander verstehen können. Entscheidend ist, diese Brücken zu schlagen, um verschiedene Systeme anzuschließen. Und um zusätzlich sicherzustellen, dass Neuanlagen ebenfalls noch zwanzig oder mehr Jahre betrieben werden können – das erwarten die Kunden von uns.
Müller: Unsere Sensoren können fast alle Sprachen sprechen, aber es ist natürlich wichtig, die richtige zu wählen. Zumal die Idee ist, dass der Sensor jederzeit mit der speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS) kommunizieren können muss. Da möglicherweise seine Daten auch in die Ethernet-Welt geschickt werden. Wir setzen deswegen auf rückwärtskompatible Systeme, die beides können. Auf der Ethernet-Seite ist dann die Protokollfrage spannend, wobei der Standard OPC UA den Vorteil bietet, dass sich damit eine Menge Protokollaspekte nutzen lassen. Allerdings steckt das Thema Echtzeit noch in den Kinderschuhen – da gibt es noch einiges zu tun.
Glaser: Da sich auf der physikalischen Ebene sicher Industrial Ethernet als Standard durchsetzen wird, kommt es in der Ausprägung vor allem wieder auf den Anwendungsfall an. Echtzeitfähigkeit und ERP-Anbindung von Kommunikationsdiensten sind komplett unterschiedliche Themenbereiche. Trotzdem müssen wir die Einheitlichkeit und Übergänge von Datendiensten diskutieren und benötigen auch mehr Dienstekompetenz in den Geräten. Wir müssen dabei nicht nur über ein Echtzeit-Ethernet-Protokoll für den Steuerungsdatentransfer reden, sondern auch über gemeinsame Prozessaufträge und einheitliche Funktionen. Hier bietet sich OPC UA an – aus unserer Sicht wird das der nächste Standardisierungsschritt in Richtung einheitlicher Datendienste sein. Können wir dann noch das Thema Echtzeitfähigkeit darauf abbilden, haben wir einen großen Schritt weiter in Richtung Standardisierung getan.
Lantermann: CC-Link IE ist durchaus schon heute in der Lage, in Echtzeit Ethernet-Kommunikation zu betreiben – und zwar auch bei härteren Anforderungen an die Echtzeit. Halten wir uns zudem das Mooresche Gesetz vor Augen, wird sich die Ethernet-Leistungsfähigkeit bei Geschwindigkeit und Datenvolumen in zwei Jahren verdoppelt haben – dann reden wir auch nicht mehr über Echtzeitfähigkeit.
Herr Dumitrescu, Ihre Fraunhofer-Kollegen in Augsburg halten eine Steuerung in der Cloud für realistisch. OPC UA kann zudem mittels des IEEE-Standards Time-Sensitive Networking (TSN) echtzeitfähig werden. Macht eine Steuerung in der Cloud Sinn?
Dumitrescu: Bei Fraunhofer, also nicht nur bei den Augsburger Kollegen, ist es eine der großen Strategien, auf Industrial Clouds zu setzen, auch über die Steuerung hinaus. Würden wir nicht glauben, dass dies der richtige Weg ist, würden wir es nicht machen. Auf der anderen Seite muss man festhalten, dass, was in Forschungslaboren funktioniert, noch ein Stück weit davon entfernt ist, in der Praxis unter realen Bedingungen zu funktionieren. Es wird sicherlich noch einige Jahre dauern, bis das in standardisierte Applikationen hineingeht.
Lantermann: Wir kennen mit der IEC-Spezifikation 61499 schon länger das Thema der verteilten Intelligenz und ich denke, dass es viele Fälle gibt, in denen eine Anwendung in der Cloud sinnvoll ist. In der Realität beim Kunden stehen aber derzeit noch andere Themen im Vordergrund, etwa die Frage des Vorcomputings. Dabei werden alle wesentlichen Daten der Produktion dort belassen. Beide Ansätze haben ihre Berechtigung. Vor Augen halten sollte man sich auch, dass schon heute viele Sensoren eine eigene Rechenleistung mitbringen, die nicht genutzt wird. Man sollte die Daten dort verarbeiten, wo sie am besten aufgehoben sind und sicher verarbeitet werden können – da gibt es viele Spielräume. Eine Safety-Steuerung wird darüber hinaus auch weiter ihre Berechtigung haben. Unabhängig davon versucht jeder herauszufinden, welches Potenzial die Cloud bietet.
Kalhoff: Im Prinzip orchestriert der Kunde sein Automatisierungssystem so, wie er es benötigt. Dabei können verschiedene Aspekte wie Verfügbarkeit, Datensicherheit, Mehrwertdienste oder Services einzelner Hersteller eine Rolle spielen. Eine Cloud kann außerhalb des Unternehmens zudem auch direkt an der Maschine sitzen – eine zentrale Steuerung ist letztlich ja auch eine Cloud für die Maschine.
Müller: Ich denke, dass die Cloud erst richtig interessant wird, wenn Fremddaten hinzukommen – ein Beispiel können Wetterdaten sein. Verknüpft man all diese Daten, kann die Cloud möglicherweise der richtige Ansatz sein.

Die Teilnehmer
  • Dr. Roman Dumitrescu, Direktor Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik (IEM)
  • Armin Glaser, Leiter Produktmanagement, Pilz
  • Johannes Kalhoff, Leiter Technology Management im Bereich Corporate Technology, Phoenix Contact
  • Thomas Lantermann, Senior Business Development Manager der Factory Automation Business Group, Mitsubishi Electric Europe
  • Bernhard Müller, Geschäftsleitung Sick
  • Moderation des Gesprächs: Michael Corban und Andreas Gees, beide Redaktion elektro Automation und Nora Nuissl, Redaktion Industrieanzeiger

Video-Hinweis
Ausschnitte dieses 2. Roundtable-Gesprächs sind auch als Video verfügbar unter: http://t1p.de/7u5q
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