Startseite » Technik » Automatisierung »

IO-Link als Enabling Technology für IP67

Vieles spricht für die dezentrale Automatisierung in hoher Schutzart
IO-Link als Enabling Technology für IP67

Automatisierung | Der Einsatz von IP67-Komponenten sollte die Automatisierung ins Feld verlagern und den Aufwand beim Steuerungs- und Schaltschrankbau reduzieren. Nun mehren sich jedoch die Stimmen, dass IP67 weit hinter den Erwartungen zurückbleibt. §

Autor: Axel Hahne, Andreas Gees (elektro AUTOMATION)

Die Erwartungen an IP67 in der Automatisierungstechnik waren groß: Noch vor wenigen Jahren sagten Prognosen einen Marktanteil von 20 bis 25 % für Komponenten mit Schutzart IP67 in der Automatisierung voraus. Erfüllt wurden sie bisher jedoch nicht: Derzeit stagniert der Anteil bei lediglich 10 bis 15 %. Nach Meinung von Oliver Merget, Leiter des Geschäftsbereichs Automation Systems bei Turck, sehen viele Anwender bisher schlicht noch keinen Kostenvorteil im Vergleich zu einer IP20-Installation im Schaltschrank. Seine Erklärung: „Oft wurden IP67-Lösungen ebenso starr und zentralisiert umgesetzt wie zentrale IP20-Aufbauten, sodass für den Anwender kein wirklicher Vorteil zu erkennen war.“ Zukünftig werde es aber durch den Einsatz neuer Technologien und Topologien einfacher sein, kleine Einheiten mit der idealen I/O-Verteilung nah an der Maschine zu montieren und zu vernetzen. Merget sieht deswegen den Markt für IP67-Komponenten stärker wachsen als den vergleichbaren IP20-Markt.

In der bisher weitaus größere Komponentenvielfalt und Flexibilität von IP20 sieht Ludwig Adelmann, Produktmanagement Automation bei Wago Kontakttechnik, einen weiteren Grund für das bisher noch eher mäßige Durchsetzungsvermögen von IP67: „In Verbindung mit dem bauartbedingt einfacheren Aufbau sind für Hersteller und Kunden Anwendungen leichter und kostengünstiger umsetzbar. Auch spielt die Vielfalt herstellerübergreifender IP20-Alternativen durch Zweitlieferanten eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung, in IP20 oder IP67 zu automatisieren“, erklärt er. Dennoch verzeichne sein Arbeitgeber derzeit ebenfalls ein deutliches Wachstum bei IP67.
Sehr optimistisch zeigt sich Marketing Leiter Janko Strauß von Murrelektronik. Seinen Angaben zufolge hat haben sich die Erwartungen der Automatisierer aus Oppenweiler erfüll: „Wir bei Murrelektronik sehen in diesem Markt ein großes Potenzial, um Maschinen effizienter zu fertigen. Immer mehr Firmen erkennen das Einsparpotenzial durch IP67-Komponenten. Wer traditionell per Klemmkästen und Reihenklemmen verdrahtet, benötigt Geduld und Fachwissen.“ Strauß hebt die deutlich schnellere Installation, oftmals bessere Diagnosemöglichkeiten, die klarere Struktur in der Anlage sowie ein geringeres Fehlerrisiko von IP67-Komponenten mit M8- und M12-Anschluss hervor.
Die Verbreitung von IP67-Installationstechnik ist direkt davon abhängig, ob die Komponenten ausreichend vorhanden sind. Albert Feinäugle, Leiter Marketing Intelligence bei Balluff, sieht hier durch den Markteintritt von IO-Link eine komplett veränderte Situation: „Mit IO-Link ist es erstmals möglich, auch komplexere Geräte ohne gesteigerten Aufwand in IP67 auszuführen. Wo bisher vielpolige Sondersteckverbinder und geschirmte Sonderleitungen an der Tagesordnung waren, wartet IO-Link mit einem 4-poligen M12 und einem schlichten Standard-Sensorkabel auf“, erklärt Feinäugle. „Beides ist hervorragend geeignet für IP67 bei gleichzeitig unschlagbarem Kostenvorteil. IO-Link ist damit geradezu die ‚enabling technology‘ für IP67 geworden.“ Feinäugle erwartet, dass sich der Markt dadurch signifikant in Richtung IP67 bewegen wird.
Feldbusboxen und komplette I/O-Systeme in IP67 sind in den verschiedenen Varianten und Ausführungen verfügbar. Was die Stromversorgung in IP67 angeht, scheint sich ein langsames, aber stetiges Wachstum abzuzeichnen: „Der Markt dafür entwickelt sich kontinuierlich mit steigenden Zuwächsen“, sagt Hilmar Kraus, Geschäftsführer von MTM Power Messtechnik. „Da es sich bei Stromversorgungen in IP67 für on-maschine-Applikationen um eine vollkommen neue Produktgruppe von industriellen Stromversorgungen handelt, ist MTM Power von Anfang an mit realistischen Erwartungen gestartet.“ Man sei davon ausgegangen, dass es eine längere Zeit benötige, bis sich derartige Systeme am Markt etablieren.
Hohe Schutzart kommt bei der Stromversorgung langsam in Schwung
Mittelfristig erwartet Kraus weiter einen zunehmenden Einsatz von IP67-Stromversorgungen. Dennoch würden auch in Zukunft Lösungen im Schaltschrank den Markt dominieren. Dass der Marktbedarf an IP67-Stromversorgungen zwar durchaus gegeben sei, findet auch Adelmann. Allerdings gebe es zurzeit nur wenige wirklich überzeugend umgesetzte Konzepte, sodass diese kaum eingesetzt würden. „Die Gründe hierfür liegen häufig in der fehlenden Wirtschaftlichkeit. Wenn der Preis dieser Stromversorgungen gleich hoch oder höher ist als eine vorverdrahtete IP20-Einheit aus Netzteil und Gehäuse, lohnt sich der Einsatz in der Regel nicht“, meint Adelmann. Daneben fehle aber auch die Flexibilität durch unterschiedliche Leistungsklassen und Anschlusstechniken – wie M23, 7/8 Zoll, M12 und M8 – in der Schutzart IP67.
Dagegen ist der Marktbedarf an IP67-Ansteuerungen für die Antriebstechnik eher gering, findet Adelmann. „IP20-Motoransteuerungen oder -Frequenzumrichter bieten hier reichlich Auswahl und werden zudem unterstützt durch direkt in den Antrieb integrierte Einheiten.“ Einen klaren Vorteil von AS-Interface (AS-i) gegenüber anderen, konkurrierenden Feldbussystemen sieht Key-Account-Manager André Hartmann des Sicherheitstechnik-Herstellers Bihl+Wiedemann: „Zum einen können bei AS-i Daten und Energie auf einer ungeschirmten zweiadrigen Leitung übertragen werden.“ Falls man für die Ansteuerung der Antriebe noch zusätzliche Energie braucht, könne diese beispielsweise bei den hauseigenen Motormodulen für Rollen- oder Drehstromantriebe einfach über ein zweites Kabel zugeführt werden, das parallel zum AS-i-Kabel verlegt werden könne. „Wenn sich an den Anforderungen an die Applikation etwas ändert, etwa, dass zusätzliche Module benötigt werden, lassen sich zum Beispiel Aktoren ganz einfach mit Hilfe der Durchdringungstechnik dort anschließen, wo sie gebraucht werden. So lässt sich auch bei Änderungen oder Erweiterungen der Verdrahtungsaufwand auf ein Minimum reduzieren.“
Anwendungen im Feld oft in Kombination mit IP20-Installationen
IP67 sollte den Aufwand für Schaltschränke reduzieren und mehr Konnektivität ins Feld bringen. Wegen ihrer fehlenden Flexibilität findet man die klassische IP67-Blockbauweise immer weniger im Einsatz. Stattdessen werden heute in der Regel IP67-Systeme bevorzugt, die ähnliche Funktionalitäten bieten, wie modulare IP20-Systeme. Dazu gehören zum Beispiel hohe Datenübertragungsraten, analoge Singalverarbeitung, detaillierte Diagnose, Update-Fähigkeit und Parametrierbarkeit. Zudem unterstützen diese Systeme meist Safety-Technik, IO-Link und speziellere Protokolle zur seriellen Motoransteuerung wie beispielsweise Movilink von SEW-Eurodrive. Typische Anwendungen sind dabei weit verzweigte Anlagen für die Lagerung, Förderung und Verteilung von Gütern wie zum Beispiel Verpackungsanlagen oder auch kompakte Bearbeitungszentren, die eine Belastung durch Staub, Wasser, Öle und Fette mit sich bringen (Holzbearbeitung und Werkzeugmaschinen).
Auch hier habe sich die Situation durch IO-Link drastisch verändert, so Feinäugle: „Es gibt keine Notwendigkeit mehr für Parallelverdrahtung. Geschirmte Leitungen, um Analogsignale zum Schaltschrank zu führen, entfallen.“ Generell werde mit IO-Link weniger verdrahtet, und nur noch steckfertig verbunden. „IO-Link hat geschafft, was auf der Ebene der Sensoren und Aktoren längst überfällig war, nämlich eine wirklich einheitliche und standardisierte Installation unabhängig von Typ und Komplexität des Feldgeräts“, sagt Feinäugle. Als Beispiele nennt er analoge Sensoren, die jetzt als IO-Link-Gerät keine geschirmte Leitung und keine Analogkarte mehr benötigen, Ventilinseln, die bisher parallel verdrahtet wurden und jetzt so einfach anschließbar seien wie ein binärer Sensor, oder eine Signallampe, deren Funktionalität in konventioneller Anschlussart undenkbar wäre.
IO-Link-Master als Universallösung bei Automotive und im Maschinen- und Anlagenbau
Die wichtigste Anschlusstechnik ist nach Meinung von Experten immer noch M12. Somit kommen bevorzugt I/O-Komponenten in 60 mm Baubreite zum Einsatz, die digitale Signale erfassen. Als wirkliches Universal-I/O stellen sich die IO-Link-Master dar. Applikationen für die Feldinstallation mit aktiven I/O-Komponenten in IP67 gibt es im Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Automobilbranche. „Diese Gewerke werden meist nicht als reine Applikation in IP67 ausgeführt, sondern als Kombination aus Komponenten der IP67-Feld- und der IP20-Schaltschrankinstallation“, erklärt Christian Gemke, Manager Market Management I/O Systems bei Phoenix Contact.
Im Maschinen- und Anlagenbau bestimmt die Modularität Engineering und Ausführung. Modulare Funktionseinheiten minimieren Ausfall- und reduzieren kostspielige Endmontagezeiten. „Die in IP67 und IP69K ausgeführten M12– und M23-Rundsteckverbinder unterstützen und ermöglichen diese Trends und sind ideal für Applikationen im Maschinen- und Anlagenbau“, sagt Produkt-Support-Managerin Jana Löpp von Weidmüller. Mit Sensor-Aktor-Interface-Modulen (SAI) lassen sich Stützpunkte in IP67 für eine Signalsammlung und -verteilung direkt vor Ort an der Maschine realisieren. Via Systemkabel oder Bussystem erfolgt die Anbindung an die Steuerung, welche sich im dezentral oder zentral angeordneten Schaltschrank befindet. „Die aufgezeichneten Applikationen und Konzepte sind Beispiele, in denen IP67-Komponenten ihre Leistungsfähigkeit im täglichen Einsatz unter Beweis stellen. Das gilt beispielsweise bei Industrie-Verkabelungen für den Maschinen- und Anlagenbau sowie bei Herstellern von Robotern“, erklärt Löpp.
Trend zu schnellen Ethernet-basierten Feldbussen setzt sich auch in IP67 fort
Bei den IP20-Feldbussystemen sorgt aktuell die Diskussion um Taktraten und Übertragungsgeschwindigkeiten – besonders bei Industrial Ethernet – für Aufmerksamkeit. Auch im Bereich der IP67-Verdrahtung spielt sie eine Rolle. Schließlich müssen immer mehr Signale verarbeitet werden. „Der Trend hin zu schnellen Ethernet-basierten Feldbussen wie Ethercat, Profinet IRT und Sercos wird sich auch in IP67 weiter fortsetzen“, prognostiziert Adelmann. „Dabei liegt der Schwerpunkt dieser Anwendung häufig im Umfeld der Antriebstechnik, wo eine große Datenübertragungsrate verbunden mit einer hohen Synchronität von Bedeutung ist. Hier sind Zykluszeiten im Mikrosekunden-Bereich systemweit erforderlich.“
Wenn ein IP67-System zu Einsatz kommt, muss dieses dieselben Anforderungen wie ein IP20-System erfüllen. Besonders kritisch sind die Zykluszeiten aufgrund der zum Teil weitläufigen Installation und der erhöhten Anzahl an Teilnehmern. Wichtig ist dabei, dass sich Hersteller und Anwender über die Topologie der Installation einig sind. Allerdings ist die hohe Performance längst nicht in allen Bereichen erforderlich. Im Gegenteil: Laut Hartmann sind hohe Taktraten höchstens in 5 % der Fälle wirklich ein Thema. „Die meisten Maschinenbauer oder auch Fördertechniker können mit einer Zykluszeit von beispielsweise 5 oder 10 ms sehr gut leben“, so Hartmann. Dies trifft aber nicht nur auf IP67-Verdrahtungen, sondern auch auf IP20-Systeme zu. •

IP67

3525630

Die Schutzart IP67 ist in der europäische Norm EN 60529:2000 zur Klassifizierung des Schutzes definiert. Ein Produkt, das diese Schutzart aufweist, ist vor dem Eindringen von Staub sowie gegen die Wirkung beim zeitweiligen Untertauchen in Wasser von bis zu 30 Minuten in maximal 1m Tiefe geschützt. Typische Situationen hierfür sind Reinigungsvorgänge an Gehäusen, beispielsweise in der Lebensmittelindustrie, in Abfüllbetrieben, beim Wertstoff-Recycling oder bei Automotive-Anwendungen. Produkte der Schutzart IP20 bieten dagegen lediglich Schutz gegen Eindringen von festen Fremdkörpern mit einem Durchmesser von mehr als 12,5 mm und sind in keiner Weise gegen Wasser geschützt.

Die aktuelle Situation von IP67 in der Automatisierung sowie die weitere Entwicklung war Thema eines Trendinterviews der elektro AUTOMATION, die wie der Industrieanzeiger im Konradin Verlag erscheint. Das vollständige Interview mit acht Experten aus der Industrie finden Sie unter: www.industrieanzeiger.de/ip67trend
Unsere Webinar-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Tipps der Redaktion

Unsere Technik-Empfehlungen für Sie

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de