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Kollege Roboter wird einfühlsam

Robotik: Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine
Kollege Roboter wird einfühlsam

Die Fabrik der Zukunft sieht anders aus, als lange vermutet. Menschenleere Produktionshallen mit tumben Robotern, die ewig das Gleiche verrichten, sind nicht das Ideal für eine wirtschaftliche und flexible Produktion, sondern die enge Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Doch dazu sind die heutigen Industrie-Roboter technisch nicht in der Lage. Forscher des Exzellenzclusters CoTeSys wollen das ändern.

Roboter sind derzeit noch dumm. Ihre Stärke ist, Tätigkeiten mit der ewig gleichen Bewegung exakt auszuführen, ohne Leistungsverlust, Tag für Tag. Allerdings wissen die stählernen Kollegen nicht, wofür sie es tun. Daher sind Roboter in der Industrie auch keineswegs ein Ersatz für Menschen. Denn der Mensch plant seine Handlungen und arbeitet zielorientiert. Wenn sich etwas ändert, reagiert er sofort und versucht, auf einem anderen Weg zum Ziel zu kommen. Ständige Wiederholung dagegen langweilt ihn schnell.

Menschen und Roboter haben unterschiedliche Talente und ergänzen sich ideal: Einerseits der Mensch, der die Richtung vorgibt, flexibel auf Überraschendes reagiert und mit seinem Fingerspitzengefühl und der Beweglichkeit seiner Hände auch feinste Arbeiten ausführen kann. Andererseits der Roboter, der nicht müde wird, ständig Handlangerdienste zu leisten, Bauteile zu reichen oder die fertigen Produkte auf Paletten zu stapeln. Beide wären ein tolles Team, aber für eine Zusammenarbeit sind Roboter heute noch zu dumm. Diese Situation wollen die Forscher des Exzellenzclusters CoTeSys (Cognition for Technical Systems) in den nächsten Jahren verändern. CoTeSys ist eine Zusammenarbeit von rund 100 Wissenschaftlern aus fünf Hochschulen und Forschungsinstituten im Raum München. Sie haben sich zusammengefunden, um Roboter selbstständiger zu machen, ihnen kognitive Fähigkeiten beizubringen, vom Erkennen ihrer Umgebung bis zum eigenständigen Wahrnehmen von Aufgaben. Die von der Technischen Universität München (TUM) koordinierte Kooperation wird im Rahmen der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern mit 28 Mio. Euro gefördert.
An den notwendigen Grundlagen für eine Zusammenarbeit von Mensch und Roboter arbeitet das Projekt Jahir (Joint Action for Humans and Industrial Robots). Hier geht es um die Fähigkeiten, die ein Roboter braucht, um Menschen direkt bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Das beginnt bei vorbereitenden Tätigkeiten wie dem Bereitlegen von Werkzeugen. Es führt weiter über die maßgerechte Montage, etwa beim Befestigen von Schrauben mit festgelegter Drehkraft, und endet bei der Fähigkeit der Maschinen, aus ihren Beobachtungen und Handlungen zu lernen. „Unser Ziel sind kognitive Roboter, die Hand in Hand mit Menschen zusammenarbeiten können, ohne Schutzzäune, wie sie heute noch notwendig sind“, schwärmt Professor Michael Zäh, Institutsleiter und Mitglied des CoTeSys-Vorstands. „Dazu müssen die Roboter wissen, was sie tun, sozusagen ein Bewusstsein ihrer selbst entwickeln. Sie müssen ihre Arbeit selbstständig ausführen, den menschlichen Partner aufmerksam beobachten, sich in seine Lage versetzen und flexibel an seine Handlungen anpassen.“
Die wichtigste Voraussetzung für eine fruchtbare Zusammenarbeit: Die Maschine darf den Menschen nicht gefährden. Der Roboter darf den Menschen bestenfalls berühren, wenn es für die Aufgabe notwendig ist. Zusammenstöße sind tabu. Dazu muss der Roboter seine Umgebung wahrnehmen können, eigene Positionsänderungen planen und im Idealfall sogar mögliche Bewegungen des menschlichen Partners vorausahnen. Aber wie bewegt sich ein Mensch? Wodurch kündigt er an, dass und wie er sich bewegen wird? Offensichtlich tut er das, denn wenn Menschen miteinander arbeiten, haben sie normal keine Probleme damit.
Menschen teilen ihre Absichten nicht nur durch Sprache mit. „Die computergestützte Erkennung nonverbaler Kommunikation ist bisher in der Wissenschaft noch nicht ausreichend erforscht worden“, erklärt Dr. Frank Wallhoff, Spezialist für Mensch-Maschine-Kommunikation und Projektleiter bei Jahir. Ein Forschungsfeld im Rahmen von CoTeSys ist daher, wie diese Kommunikation ohne Worte im Arbeitsalltag vor sich geht. Dazu sitzen im CoTeSys-Zentrallabor Probanden an Tischen und montieren elektronische Schaltungen. Sie werden aus allen Blickrichtungen von Kameras beobachtet, sind mit medizinischen Sensoren bestückt und werden von einem Forscher unterstützt, der den Roboter spielt. Bei diesem Versuch geht es darum, folgende Fragen zu beantworten: Wie bewegen sich die Menschen? Welche Signale senden sie bewusst oder unbewusst an ihren Partner, bevor sie etwas tun? Wie äußern sich Erfolg, Unzufriedenheit oder Absichten in ihrem Blick, in ihrem Gesicht und in ihren Gesten. Auch Blutdruck, Hautfeuchtigkeit und Wortwahl werden mit ins Kalkül gezogen. Die Wissenschaftler suchen nach menschlichen Signalen, die kognitive Roboter identifizieren und interpretieren sollen, um dann ihr eigenes Verhalten darauf einzustellen.
Kognitive Roboter, die nicht nur mit Menschen zusammenarbeiten, sondern auch selbstständig Aufgaben verstehen und in Handeln umsetzen, eröffnen der Industrie zusätzliche Flexibilität. In der Modellfabrik von CoTeSys arbeitet bereits ein regulärer Industrieroboter, der mit kognitiven Fähigkeiten ausgestattet wurde, mit den Forschern zusammen. Der Arbeitsplatz ist bestückt mit Kameras, die dem Roboter ein Bild von seiner unmittelbaren Umgebung vermitteln und auch vom Menschen, mit dem er zusammenarbeitet. Infrarot-Tiefenbildkamera, Videokamera und Laserscanner zeigen der elektronischen Steuerung, wo sich der Mensch befindet, was er mit seinen Händen macht, wo die Werkstücke auf dem Arbeitstisch liegen.
Eine Datenbrille auf dem Kopf des Forschers übermittelt, wohin er schaut. Ein Mikrofon nimmt gesprochene Anweisungen auf. „Der Roboter schließt daraus selbstständig, wie der Stand der Montage ist und welche Bauteile als nächstes gebraucht werden“, erklärt Martin Ostgathe, Doktorand und Projektleiter in der Modellfabrik. „Und er erkennt, ob sein menschlicher Partner vom Montageplan abgewichen ist.“ Die Maschine zieht Schlüsse, bereitet die nächsten passenden Teile vor oder greift zum Elektroschrauber. Damit schraubt er dann das Werkstück zu, sobald der Wissenschaftler es ihm hinhält.
Hinter der scheinbar so mühelosen Zusammenarbeit steckt ein hoher, technischer Aufwand. Allein Software und Computertechnik reizen die Grenzen des heute Machbaren aus. Denn alle Berechnungen, Abschätzungen und Steuerungen müssen in Echtzeit stattfinden. Pausen, die entstehen könnten, bis die Robotersteuerung gerechnet hat, sind nicht akzeptabel. Und selbst auf kleinste Veränderungen, etwa eine kurze Bewegung des Menschen, muss die Elektronik schon aus Sicherheitsgründen sofort reagieren. Zudem soll der Roboter lernen, aus neuen Situationen Regeln für künftiges Handeln zu gewinnen. Ein Nebeneffekt der kognitiven Fähigkeiten ist, dass die Programmierung des Roboters schneller geht, denn es muss nicht jede Eventualität im Arbeitsleben des Roboters mühsam vorausgedacht und programmiert werden.
Um Roboter zu Mitarbeitern des Menschen zu machen, sind viele wissenschaftliche Disziplinen gefordert. Diese reichen von der Elektrotechnik bis zur Hirnforschung, von der Arbeitsorganisation über den Maschinenbau bis zur Informatik. Hauptaufgabe des Exzellenzclusters ist es, die Disziplinen zusammenzuführen und auf das gemeinsame Ziel auszurichten.
Dr. Uwe Haass, Geschäftsführer CoTeSys, Technische Universität München

Neue Technologien
Roboter sind von Natur aus blind und dumm. Eine enge Zusammenarbeit mit dem Menschen wird erst durch einen hohen technischen Aufwand möglich: Mit Datenbrille, Kameras und Scannern werden dem stählernen Kollegen alle notwendigen Daten aus seiner Umgebung zugespielt. 100 Wissenschaftler aus fünf Hochschulen und Forschungsinstituten im Raum München haben sich das Ziel gesetzt, die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter voranzutreiben.
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