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Mobile Plattform mit Roboter als Alternative zur Portalfräsmaschine

Robotik
Mobile Plattform mit Roboter als Alternative zur Portalfräsmaschine

Für die Bearbeitung von Großbauteilen, wie sie in der Luftfahrt oder bei Windkraftanlagen vorkommen, werden üblicherweise Portalfräsmaschinen mit immensen Abmessungen genutzt. Mit einer flexiblen Alternative haben sich die Forscher vom Fraunhofer IFAM für den Robotics Award beworben und sind damit auf Platz zwei gelandet.

Uwe Böttger

Portalfräsmaschinen für Großbauteile sind teuer. Wer zum Beispiel Segmente aus der Luftfahrtindustrie oder Teile einer Windkraftanlage mit dieser Technik bearbeiten will, muss mit einer Investition im siebenstelligen Bereich kalkulieren. Außerdem braucht die Technik viel Platz in der Halle. Der Abstand zwischen den Säulen der Anlage beträgt in der Regel 5 m. Hinzu kommt ein Verfahrweg von 20 m oder mehr. Und nicht zu vergessen die Spezialfundamente, die im Vorfeld angelegt werden müssen.

Das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM hat zusammen mit Projektpartnern eine echte Alternative zu konventionellen Portalfräsmaschinen entwickelt. Die Idee: Man nehme eine mobile Plattform und stelle einen Roboter darauf, der mit einem Fräswerkzeug ausgestattet ist. Mit dieser frei beweglichen Maschine fährt der Nutzer einfach das Bauteil an, das zu bearbeiten ist. „Das Prinzip ist einfach“, sagt Christian Böhlmann, Mitarbeiter am Fraunhofer IFAM. „Aber bei der Umsetzung waren natürlich einige Hürden zu meistern.“

Die Praxistauglichkeit einer mobilen Bearbeitungsmaschine steht und fällt mit der Genauigkeit. Deswegen haben sich die Spezialisten aus Stade mit diesem Thema intensiv beschäftigt. Die Basis ist eine 4 m breite und 3,5 m tiefe, hochsteife Trägerplattform, die die Forscher zusammen mit dem Unternehmen Ludwig Schleicher entwickelt haben. Der Sondermaschinenbauer aus dem bayrischen Pressath hat die Plattform schließlich konstruiert und gebaut. Ausgestattet mit drei Rädern und drei Antrieben lässt sich die Basis frei in der Halle manövrieren und vor dem Bauteil positionieren, das bearbeitet werden soll. „Hat die Plattform die endgültige Position erreicht, werden die Antriebsräder eingezogen“, beschreibt Böhlmann den Ablauf. „Danach steht das System statisch bestimmt auf drei Füßen, die sich dem Untergrund anpassen.“ Mit einem Lasertracker lässt sich anschließend die Position der Plattform zum aufgespannten Bauteil auf 0,1 mm genau bestimmen. Lasertracker sind speziell für solche Messaufgaben konzipiert und bieten trotz des großen Messvolumens die erforderliche Präzision (siehe auch Kasten).

Der zweite Teil der Messtechnik sitzt im Roboter, der auf der Plattform steht. Die Maschine sieht aus wie ein gewöhnliches Industriemodell, ist jedoch ein hochgenauer CNC-Roboter, der in jedem Gelenk mit Messtechnik ausgestattet ist. Es handelt sich dabei um sogenannte abtriebsseitige Mess-Systeme. Im Gegensatz zur antriebsseitigen Messtechnik sitzen die Sensoren direkt an den Achsen der Maschine und liefern deswegen genauere Daten über die Position des Roboterarms im Raum. Es ist also dafür gesorgt, dass Plattform und Roboter genauestens positioniert sind, bevor die Maschine mit der Bearbeitung startet.

Natürlich ist auch bei der Bearbeitung des Bauteils Genauigkeit angesagt, weswegen die Forscher viel Know-how in die Roboterbahnen investiert haben. „Es ist nicht einfach, die Regler eines Roboters optimal einzustellen“, weiß Böhlmann aus Erfahrung. „Wenn der Fräskopf zum Beispiel eine Kreisbahn präzise abfahren soll, dann müssen wir alles aus den Reglern herauskitzeln.“ Industrieroboter sind gewöhnlich für Pick&Place-Anwendungen gedacht und auch dafür optimiert. In diesem Fall spielt der Pfad keine Rolle. „Bei unserem CNC-Roboter konnten wir die langjährigen Erfahrungen des Projektpartners Siemens nutzen, um die Bahn genau zu treffen“, verrät Böhlmann. Das funktioniert nach eigenen Angaben sehr gut, bis eben die Physik ins Spiel kommt. „Bei hochdynamischen Bewegungen kommt es immer wieder zu leichten Fehlern“, gibt der Forscher zu. „Bei der Bearbeitung von Großbauteilen haben diese allerdings keine Bedeutung.“

Bei der Fraunhofer-Lösung sind Spannfeld und Maschine nicht fest verheiratet

Im Vergleich zur klassischen Portalfräsmaschine bietet der Ansatz der Fraunhofer Forscher mehr Flexibilität. Das fängt bereits bei den Vorbereitungen an. Bei einer großen Anlage hängt das Bauteil zunächst am Kran und muss dann in einer gut ausgerichteten Lage im Spannfeld fixiert werden. Das geschieht meist mit Vakuumsaugern. Danach wird das Teil eingetaktet und eingemessen, was mehrere Stunden dauert kann. In dieser Zeit steht die Anlage in einer Parkposition, kann nicht arbeiten und kostet dem Betreiber nur Geld. „Mit der mobilen Plattform kann ich parallel an zwei Spannfeldern arbeiten“, argumentiert Böhlmann. „Im ersten kann ich das Bauteil eintakten und im zweiten mit der Bearbeitung beginnen. Wenn ich mit den Fräsarbeiten fertig bin, kann ich die Räder der mobilen Plattform ausfahren, verfahre sie zum anderen Spannfeld, das inzwischen fertig eingemessen ist, und setze dort die Bearbeitung fort.“ Spannfeld und Maschine sind also nicht fest miteinander verheiratet. Theoretisch könnte man auch bei Portalmaschinen so verfahren. Dann müsste der Betreiber allerdings zwei Anlagen hintereinander schalten, bräuchte noch mehr Stahlbau und noch größere Fundamente. „Der Aufwand würde die Kosten in unabsehbare Höhen treiben und in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen“, ist sich Böhlmann sicher.

Bei wirklich großen Bauteilen wie zum Beispiel dem Rotorblatt einer Windkraftanlage oder einer Tragfläche aus dem Flugzeugbau raten die Fraunhofer Forscher zum Einsatz von mehreren mobilen Plattformen, um so die Produktivität zu steigern. „Das ist auch das eigentliche Konzept“, so Böhlmann. Eine Plattform ist 4 m breit, diese Größe ist fix. Die Zahl der Plattformen ist theoretisch nach oben offen. Je größer das Bauteil, desto mehr Roboter können daran arbeiten. „Ich habe nicht nur einen Fräsvorgang, der so und so lange dauert, sondern fräse zum Beispiel mit zwei Robotern und brauche nur die Hälfte der Zeit“, argumentiert Böhlmann. „Ich kann sogar drei oder vier Plattformen vor ein Bauteil stellen, habe die dreifache beziehungsweise vierfache Produktivität und fahre trotzdem immer noch günstiger als mit einer Portalanlage“ (siehe auch Interview).

Auch mit dem Thema Routenplanung haben sich die Entwickler bereits beschäftigt. Im Moment wird der Fahrweg noch durch den Bediener vorgegeben: Fahre zu Bauteil A und nach der Bearbeitung zu Bauteil B. „In Zukunft soll sich die mobile Plattform selbstständig durch die Halle bewegen und die anstehenden Arbeiten eigenständig abarbeiten“, ist die Prognose von Böhlmann. „Und wenn die Plattform unterwegs auf ein Hindernis stößt, korrigiert sie dynamisch den geplanten Pfad und setzt danach den Weg zum Bauteil fort.“ Diese Aufgabe werden die Forscher aus Stade auch noch lösen. Soviel ist sicher.


Mit dem Lasertrackerauf Punktefang

Das Herzstück eines Lasertrackers ist ein Laserinterferometer, der einen Laserstrahl erzeugt. Dieser verlässt den Tracker am Kopfstück und wird über Planspiegel so umgelenkt, dass er stets in das Zentrum eines sogenannten Reflektors trifft, den der Anwender in der Hand hält. Egal, wie sich der Messtechniker bewegt – der Strahl folgt immer dem Reflektor. Gleichzeitig wird der Laserstrahl in sich zurückgeworfen und kann so im System ausgewertet werden. Diesen Reflektor legt der Benutzer an mehreren Stellen des Prüflings an und löst eine Messung aus. Auf diese Weise werden die Raum-Koordinaten des erfassten Punktes im System gespeichert.

Der Tracker arbeitet mit einem Polar-Koordinatensystem. Die Koordinatentripel der Messpunkte bestehen aus zwei Winkeln, die von der Stellung des beweglichen Kopfstück des Tracker abgeleitet werden. Die dritte Koordinate wird berechnet aus der Entfernung zwischen Tracker und Reflektor. Diese Distanz ist der sogenannte Arbeitsbereich des Messgeräts und kann bis zu 50 m betragen. Typische Anwendungen für Lasertracker sind Objekte mit großen Abmessungen wie zum Beispiel die mobile Plattform im Beitrag. Es lassen sich auch ganze Anlagen mit der mobilen Messtechnik prüfen.


„Wir haben den Bediener von Anfang an mit eingebunden“

Herr Böhlmann, was kostet eine mobile Plattform mit Roboter zum Bearbeiten von großen Bauteilen?

Das ist nicht so einfach zu beantworten. Soll man das Spannfeld mit reinrechnen, das bei einer Portalanlage mit dabei ist? Was ist mit der ganzen Messtechnik? Ohne die kommt man auch nicht aus.

Fangen wir mit den Grundkomponenten an.

Das ganze Anlagen-Setup, bestehend aus Roboter, mobiler Plattform, Spannfeld und Messtechnik, kommt etwa auf ein Fünftel der Summe, die für eine Portalfräsanlage fällig wäre. Ich könnte also vier mobile Plattformen mit Roboter betreiben, hätte demnach die vierfache Produktivität und würde immer noch günstiger fahren als mit einer Portalanlage.

Das ist ein Wort. Wie sieht es denn mit der Bedienung der mobilen Plattform aus? Muss man ein Spezialist sein, um mit ihrer Technik arbeiten zu können? Auf was muss sich der Nutzer einstellen?

Ein Anlagenkonzept mit mehreren mobilen Plattformen erfordert sicherlich ein Umdenken der Nutzer. Besonders beim Einrichten dieser Anlagen sind einige neue Arbeitsschritte notwendig. Um dieses in den Entwicklungen zu berücksichtigen, haben wir den Bediener von Anfang an mit eingebunden. Ein großer Vorteil der neuen Anlage ist es, dass wir anstatt einer speziellen Robotersteuerung eine Siemens Maschinensteuerung, die Sinumerik 840D, verwendet haben. Dieses ist die gängige Steuerung, welche auch bei Portalfräsanlagen oder Bearbeitungsmaschinen zum Einsatz kommt. Mitarbeiter, die in diesem Umfeld arbeiten, kennen die 840D und müssen sich beim Umstieg auf unsere Technik nicht umstellen. Des Weiteren lassen sich mit der Siemens-Steuerung die Regler besser einstellen und so die Bahngenauigkeit des Roboters optimieren.

Wie sieht es mit dem Arbeitsschutz aus? Fräsen ist nicht gerade eine saubere Arbeit und erzeugt viel Schmutz und Feinstaub.

Unsere Projektpartner der TU Hamburg haben eine spezielle Absaugung entwickelt. Diese ist Bestandteil der Plattform und sorgt dafür, dass die Menschen und die Umgebung nicht belastet werden.

Christian Böhlmann ist Gruppenleiter am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Stade
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