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Verbindungstechnik: Single Pair Ethernet für die smarte Feldebene

Verbindungstechnik
Single Pair Ethernet für die smarte Feldebene

Die Vision von industriellem Ethernet über alle Ebenen der Automatisierungspyramide hinweg, ist nicht neu. Single Pair Ethernet könnte diese Vision nun Wirklichkeit werden lassen. Ein Steckgesicht von Harting positioniert sich als globaler Standard.

Jonas Diekmann
Technischer Redakteur, Harting Electronics, Espelkamp

Von der Cloud bis an den Sensor ist ein Claim, den man in den letzten Jahren vermehrt im Automatisierungsumfeld hört. Damit ist die durchgängige TCP/IP-basierte Kommunikation auf Ethernet-Basis gemeint, die gegenwärtig meist von Cloud-Anwendungen bis in die Verteilebene einer Produktion reicht. Bisher bestand hier ein klassischer Bruch von Kommunikationssystemen aus Ethernet und BUS-Systemen. Nun bringen neue Komponenten schnelles Ethernet mit Übertragungsgeschwindigkeiten bis 1 GBit/s über nur noch ein verdrilltes Adernpaar bis an die kleinste Applikation.

Single Pair Ethernet (SPE) ermöglicht so erstmals den durchgängigen Einsatz des TCP/IP-Protokolls. Ob einfacher Zustandssensor oder modernes Vision-System aus hochauflösender Kamera, mit SPE wird das Internet der Dinge so Realität.

Uneinheitliche Steckgesichter für Single Pair Ethernet sorgen für Verwirrung

Doch bis sich diese Infrastruktur und das damit verbundene Potenzial in der Fläche durchgesetzt hat, ist es noch ein weiter Weg. Aktuell sind am Markt mehrere Lösungen und verschiedene Normen im Gespräch, die besonders die Schnittstellen für SPE im Blick haben. Anwender fragen zu Recht, ob Hersteller eine durchgängige und kompatible Lösung auf Grundlage eines einheitlichen Standards entwickeln, oder ob es mehrere Lösungen und inkompatible Steckgesichter geben wird.

Zentrale Rolle bei der Normierung dieser Steckgesichter nimmt das Gremium ISO/IEC JTC 1/SC 25/WG 3 ein. Hier werden, basierend auf den IEEE 802.3-Standards, die Verkabelungsnormen gemäß ISO/IEC 11801 erstellt und gepflegt.

IEC 63171 normiert SPE-Verbindungen

Der erste Steckverbinder-Normenentwurf für Single Pair Ethernet wurde bereits 2016 von Harting im IEC-Gremium SC48B eingereicht und als IEC 61076-3-125 bis zum CD-Dokument publiziert. 2017 wurde von der Firma CommScope ein weiteres Steckgesicht zur Normung eingereicht und anschließend vom Gremium beschlossen, für alle SPE-Steckverbinder die Normenreihe IEC 63171 zu erstellen. Die bis zu diesem Zeitpunkt bereits in Arbeit befindlichen Normen werden als in sich geschlossene Dokumente fertiggestellt und im Rahmen von Überarbeitungen in diese neue Normenreihe integriert.

Verkabelungsstandards für Single Pair Ethernet

SPE und dafür normierte Steckverbinder fließen in die aktuellen Verkabelungsstandards mit ein. International betrifft das die Normenreihe für strukturierte Verkabelung gemäß ISO/IEC 11801:2017 sowie die europäische Normenreihe im Cenelec gemäß EN 50173.

Die Implementierung von SPE in die ISO/IEC 11801-Dokumente ist deshalb so wichtig, da nur in dieser Norm die Verkabelungskanäle mit allen notwendigen Parametern (Länge, Anzahl Verbindungen, Bandbreite und das komplette Set an übertragungstechnischen Parametern einschließlich NEXT, FEXT, Schirmungseigenschaften) mit Relation zur Umgebung beschrieben werden und damit auch nach der Installation messtechnisch für den Anwender überprüfbar sind. Parallel dazu werden die Installationsstandards für die Industrie als Basis für die Verkabelung von Automatisierungslösungen gemäß IEC 61918 (IEC SC65C) entsprechend angepasst. Profinet International mit Profinet gemäß IEC 61784-5-3 und ODVA mit Ethernet/IP gemäß IEC 61784-5-2 werden sich aktiv an der Weiterentwicklung und Implementierung von Standards zu SPE beteiligen.

USA entwickeln eigene Normen

Für die Märkte USA einschließlich Kanada und Mexiko werden bei ANSI/TIA-568.5 und TIA TR42.7 Normen vorbereitet. In den TIA 42-Papieren wird das über das Addendum TIA-1005-A-3 aktualisiert.

Richtlinien für SPE-Verkabelungen

In Verbindung mit den Standards zu Steckverbindern und Kabeln liefern diese Verkabelungsnormen dem Anwender klare Richtlinien über die Struktur der Verkabelung, die einzusetzenden Komponenten zur Erreichung der Leistungsvorgaben und die Grenzwerte zur Überprüfung der Verkabelung. Somit sind sie das wichtigste Instrument zum Aufbau und Betrieb von Single-Pair-Ethernet-Verkabelungen. Gleichzeitig stellen sie über die Referenzen zu den Komponentenstandards die Kompatibilität zwischen Geräten und Verkabelung sicher. Das ist Grundvoraussetzung für die Funktion von Netzwerken und Verbindungen auf der Basis von SPE – und auch für IIoT. Der Einsatz anderer Verkabelungskomponenten, als in ISO/IEC 11801-3 Amd.1, ist zwar möglich, allerdings nicht mehr normkonform und birgt das Risiko von Inkompatibilitäten und Funktionseinbußen.

Weltweit einheitliche Steckgesichter

Anfang 2018 haben die beiden Normengremien daher internationale Auswahlprozesse zur Festlegung einheitlicher Schnittstellen gestartet. Am Auswahlprozess haben sich mehr als 20 globale Expertengremien beteiligten. Als Ergebnis haben sich zwei Steckgesichter durchgesetzt:

  • für die Gebäudeverkabelung das Steckgesicht gemäß IEC 63171-1: CommScope;
  • für die Industrie und industrienahe Anwendungen das Steckgesicht gemäß IEC 63171-6 (bisher IEC 61076-3-125): Harting T1 Industrial.

Zur Datenübertragung nutzt Single Pair Ethernet eine Vollduplex-Verbindung über ein differenzielles Adernpaar mit einer Impedanz von 100 Ω. Um eine geringere Störempfindlichkeit insbesondere für den Einsatz in Elektrofahrzeugen zu realisieren, wurde für SPE eine geringere Kodierung mit PAM3 bis 1000BASE-T1 und PAM4 für 2,5/5/10GBASE-T1 gewählt. Dadurch erhöht sich im Vergleich zu „Mehrpaarigen Ethernet-Standards“ (MPE) der Bandbreitenbedarf enorm.

Symmetrischer Aufbau des Steckgesichts erforderlich

Damit steigen außerdem auch die HF-Anforderungen an die Kabel- und Verbindungstechnik, was wiederum einen sehr symmetrischen Aufbau der Steckverbinder erfordert. Der von Harting entwickelte T1-Industrial-Steckverbinder ist dementsprechend symmetrisch im vollständig geschlossenen Schirmgehäuse angeordnet. So sind die Koppelkapazitäten und -induktivitäten beider Leiter zur Schirmung oder der Leiterplatte identisch und die differentielle Datenübertragung wird nicht gestört. Beide Kontakte sind zudem parallel zur Leiterplatte und nebeneinander angeordnet. Dadurch ist der Signalweg in beiden Leiterwegen identisch und Signallaufzeitunterschiede werden vermieden.

Migration von mehrpaarigen Verkabelungen aus SPE

Hohe Datenraten über ein Adernpaar – dabei stellt sich die Frage: Warum nicht quasi 4-paarige Verkabelungen für SPE mittels „cable sharing“ benutzen? In Sonderfällen ist das zwar möglich, aber nicht wirklich sinnvoll. Zum einen erfordert die Kommunikation über SPE höhere Bandbreiten, für die auch das Kabel ausgelegt sein muss. Zudem gibt es im direkten Vergleich zu MPE mit 100 m Übertragungslänge, bei SPE erst kürzere Übertragungslängen von 40 m bei 1000BASE-T1 für geschirmte Kabel. Selbst wenn das alles optimal passt, kann man mit SPE 4x 1 Gbit/s übertragen, wobei diese Cat. 6 A Verkabelungsstrecken heute mit 10 Gbit/s MPE genutzt werden können.“

Der Anwender muss in diesem Migrationsszenario die installierten Verkabelungen Strecke für Strecke neu für SPE überprüfen. Damit ist auch die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit solcher Nutzungskonzepte fraglich. Multipair Ethernet bleibt daher wohl eher als bewährte und bestehende Infrastruktur bis oberhalb der Feldebene erhalten. Ab hier kommt dann die neue, schlanke und für eine Vielzahl von Feldteilnehmern sinnvolle SPE-Infrastruktur zum Einsatz.

SPE auch gut mit TSN kombinierbar

Der Ethernet-basierte Standard Time Sensitive Network (TSN), ist ein Paket von Erweiterungen der IEEE 802.1-Ethernet-Standards zur Datenübertragung mit sehr geringer Reaktionszeit und hoher Verfügbarkeit. Mögliche Anwendungsbereiche sind konvergente Netzwerke mit Echtzeit-Audio/Video-Streams sowie insbesondere Echtzeit-Steuerungen (Controllstreams), wie sie in hochauflösender Kameraüberwachung Verwendung finden. Viele Automatisierer sprechen sich mittlerweile für TSN und OPC-UA als künftiges Kommunikationssystem aus. SPE kann in Verbindung mit TSN Ethernet flächendeckend in die Feldebene bringen.

SPE vor allem für Transport- und Robotikanwendungen interessant

Die Vorteile von SPE liegen nicht nur in der Erschließung weiterer Bereiche der industriellen Feldebene. Besonders im Bereich Transportation spielt geringes Gewicht eine große Rolle, was mittels der Kabelreduktion bei SPE gegeben ist. Ursprünglich stammt Single Pair Ethernet aus dem Automotive-Bereich. Aber auch in der Bahntechnik wird zunehmend Verkabelung für Bordelektronik und Unterhaltungssysteme verbaut, wobei auch das Gewicht der Steckverbinder und Kabel möglichst niedrig sein sollte.

Auch in der Robotik spielt das Gewicht von Verkabelung eine Rolle. Entscheidender ist jedoch die Torsionsstabilität von Kabeln: Je dünner ein Kabel ausgelegt ist, desto robuster ist es gegenüber Biege- und Torsionsbelastungen. So können künftig die gleichen Datenraten über dünnere SPE-Kabel angeschlossen werden, die zusätzlich deutlich mehr Arbeitszyklen eines Roboters aushalten, bis sie vorsorglich getauscht werden müssen oder ausfallen.


Normen SPE-Steckgesichter

Folgende Normenprojekte für SPE Steckgesichter sind derzeit in Arbeit:

  • IEC 63171 – Basisnorm mit allen notwendigen Spezifikationen und Prüfsequenzen (CD in Vorbereitung)
  • IEC 63171–1 – Vorschlag der Firma CommScope auf Basis der LC Verriegelung für M1I1C1E1 Anwendungen (CDV verfügbar)
  • IEC 63171–2 – Vorschlag der Firma Reichle & De-Massari für M1I1C1E1 Anwendungen (CD verfügbar)
  • IEC 63171–3 – Vorschlag der Firma Siemon basierend auf einem Paar des bekannten Tera Steckverbinders für M1I1C1E1 Anwendungen (NP verfügbar)
  • IEC 63171–4 – Vorschlag der Firma BKS für M1I1C1E1 Anwendungen (NP verfügbar)
  • IEC 63171–5 – Vorschlag der Firma Phoenix Contact basierend auf dem IEC 63171–2 Steckgesicht für M2I2C2E2 und M3I3C3E3 Anwendungen (CD verfügbar)
  • IEC 63171–6 (bisher IEC 61076–3–125) – Vorschlag der Firmen HARTING, Hirose und TE Connectivity für M2I2C2E2 und M3I3C3E3 Anwendungen (CDV verfügbar, FDIS in Vorbereitung und finale Veröffentlichung 2019)
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