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Spritzgießer müssen ihre Hausaufgaben machen

Energieeffizienz: Das ernüchternde Ergebnis einer VDI-Umfrage
Spritzgießer müssen ihre Hausaufgaben machen

Die Energiekosten sind ein zentraler Wettbewerbsfaktor für die kunststoffverarbeitende Industrie. Eine Umfrage des VDI unter 150 Firmen zeigt, dass dies den wenigsten Herstellern bewusst ist. Gerade mal 7 Prozent haben sich bis dato intensiv mit dem Thema Energieeffizienz beschäftigt.

Energie ist ein kostbares und kostspieliges Gut. Trotz der Liberalisierung des Energiemarktes vor zehn Jahren sind die Energiekosten deutlich gestiegen. So haben sich die Strompreise für Industriekunden in den letzten neun Jahren mehr als verdoppelt. Waren 2000 noch 4,38 Cent pro kWh zu zahlen, sind es aktuell knapp zehn Cent pro kWh. „Diese Kostensteigerung kann die Kunststoffindustrie nicht eins zu eins an ihre Kunden weiter geben“, versichert Professor Ansgar Jaeger, Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Spritzgießtechnik in Düsseldorf. „Damit sinken die Margen – es sei denn, die Unternehmen federn die steigenden Energiepreise mit Effizienzsteigerungen ab.“ Der sparsame Umgang mit Energie ist daher zentral wichtig.

In einer Umfrage zum Thema „Energieverbrauch und Einsparpotenziale“ durch den VDI und das VDI Wissensforum haben nahezu zwei Drittel der Teilnehmer das Thema mit hoher oder sogar höchster Priorität eingestuft. Überraschenderweise sehen aber noch immer 10 Prozent das Thema für sich als weniger bedeutend. Bereits die Hälfte der Teilnehmer sagen, dass sie das Thema für ihr Unternehmen analysiert haben. Deutlich geringer ist allerdings die Zahl derer, die auch bereits konkrete Maßnahmen daraus abgeleitet haben. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass es in vielen Betrieben keinen Verantwortlichen für Energieoptimierung gibt. Bei knapp 40 Prozent der Betriebe ist dies der Fall.
Begonnen hat die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Energieverbrauch mit dem zunehmenden Angebot vollelektrischer Maschinen seit etwa Mitte der 90er Jahre. Besonders die Spritzgießmaschinenhersteller haben damit die Diskussion zusätzlich angeheizt oder überhaupt erst initiiert. Die Betrachtung war allerdings zu diesem Zeitpunkt und auch lange später noch deutlich auf die Maschinen alleine konzentriert. Dennoch hat sich das Maschinenkonzept bis heute hier nicht signifikant durchsetzen können. Der Anteil elektrischer Maschinen am europäischen Gesamtmarkt stagniert seit Jahren bei 10 bis 13 Prozent. Das ist umso überraschender, da sich in der Umfrage zum Thema „Energieverbrauch und Einsparpotenziale“ durch den VDI klar die Produktionsanlage als Hauptverbraucher betrachtet wird. Aber ist das wirklich so?
Es gibt heute bereits eine Vielzahl von Ansatzpunkten den Energieverbrauch von Einzelelementen in der Herstellkette zu reduzieren. Auf Seiten der Maschinen sind das nicht nur die vollelektrischen Maschinen, sondern auch verbesserte hydraulische Systeme mit Regelpumpen, drehzahlgeregelten Elektromotoren, Antriebsabschaltung bei Pausenzeiten oder auch die Nutzung von Abbremsenergie für Parallelbewegungen. Deutliche Reduktion der Gewichte bei den beweglichen Massen und leichtere Führungen der bewegten Maschinenkomponenten tragen ebenso dazu bei. Zweifelhaft ist allerdings der Einsatz von Wärmedämmungen am Plastifizierzylinder, wie er immer wieder diskutiert wird. Denn aus verfahrenstechnischer Sicht ist es bei vielen technischen Materialien wichtig, die einzelnen Zylinder- und Schneckenzonen individuell zu heizen, um den Aufschmelzvorgang materialschonend und konstant führen zu können.
Auch bei der Peripherie gibt es Potential im Bereich des Vortrocknens und auch des Temperierens oder Kühlens. Moderne Temperiergeräte kommen mit sehr geringen bewegten und erwärmten Wassermengen aus und reduzieren damit den Energieverbrauchs. Die größten Energieverbraucher sind nach Auffassung der Anwender, wie es die Umfrage zeigte, vor allem die Wärme- und Stromerzeugung. Die Druckluft und Kälte werden hier etwas unterschätzt, da deren Erzeugung die mit Abstand Verlustreichste ist. Realistischer wird das bei der Frage nach den Potentialen zur Energiereduktion. 30 % sehen bei der Drucklufterzeugung das größte Potential im Unternehmen.
Die Optimierung der Einzelkomponenten ist bei den Anlagen- und Gerätelieferanten in vollem Gang und führt bereits zu messbaren Ergebnissen. Dennoch ist es zu kurz gesprungen, wenn man sich ausschließlich auf die Einzelkomponenten beschränkt. Vielmehr muss mehr das wirkungsvolle Zusammenspiel aller Komponenten betrachtet und optimiert werden. Erst die energetische Betrachtung der Prozesskette von der Formteil-idee bis zur Produktion birgt die möglichen Potentiale zur Energiereduktion vollständig und ist die zukünftige Aufgabe aller Marktteilnehmer miteinander.
In diesem Zusammenhang ist interessant, dass viele der Umfrageteilnehmer die Wärmerückgewinnung als eine Möglichkeit mit dem größten Potential zur ganzheitlichen Energiekostenreduktion sehen. Hier gibt es gute Ansätze. Es stellt sich in diesem Zusammenhang aber auch Fragen: Ist die Trennung von Wärme- oder Kühlkreisen für die individuelle Produktionsaufgabe sinnvoll? Müssen Maschinenkühlung und Werkzeugkühlung immer aus einem Kreis fahren? Gleiches gilt für die Druckluftkreisläufe: Kann man nicht das Druckluftniveau in der Fertigung reduzieren und nur dort, wo auch hohe Drücke benötigt werden, diese lokal mit Druckerhöhungspumpen erzielen?
Einen anderen Punkt lässt man heute noch völlig außer Betracht. „Bereits die Formteilkonstruktion legt frühzeitig die Grenzen des möglichen Energieverbrauchs und deren Reduktion fest“, weiß Professor Jaeger. Sind das Formteil und auch das Werkzeug mit seiner Temperierung richtig ausgelegt, um die kürzesten Zykluszeiten zu erreichen? Längere Zykluszeiten führen auch bei energetisch optimierten Maschinen letztlich wieder zu höheren Verbräuchen. Wurden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, mit Hilfe anderer Techniken den Gesamtprozess energetisch effektiver zu machen?
Das physikalische Schäumen zum Beispiel setzt sich nur sehr zäh am Markt durch, obwohl bei der Materialaufbereitung, der Werkzeugkühlung und auch bei der Zykluszeit klare wirtschaftliche Vorteile nachweisbar sind. Gleiches gilt für die Mehrkomponententechnik, die bei ausreichend großen Stückzahlen das fertige Formteil sicher oft günstiger produzieren kann. Hierzu gehören auch viele Prozessintegrationen beim Spritzgießen, die in den vergangenen Jahren das klassische Spritzgießen ergänzt haben. Die Umfrage zeigt, dass heute erst 7 % der Befragten die Prozesstechnik selbst als Energieeinsparpotential sehen.
20 % der befragten Betriebe haben sich mit dem Thema „Energieeffizienz“ anscheinend noch gar nicht befasst. Diese Betriebe sollten umdenken, denn ohne eine energieeffiziente Produktion gefährden sie ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die kunststoffverarbeitende Industrie muss ihre Energieverbräuche analysieren und daraus Maßnahmen ableiten.
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