Italien im März 2020: Während der Corona-Krise drohten im Krankenhaus der lombardischen Stadt Brescia wegen defekter Ventile die Beatmungsgeräte zu versagen. Aufgrund der enormen Nachfrage konnte der Hersteller keinen Ersatz liefern. Schließlich sprang eine kleine lokale 3D-Druck-Firma ein und stellte auf Basis der Herstellerdaten die lebensrettenden Ventile im additiven Verfahren vor Ort her.
Dieses Beispiel zeigt: Durch additive Fertigungsprozesse im 3D-Druck-Verfahren lassen sich Produktionsketten wesentlich effizienter und zielgerichteter gestalten – nicht nur in Krisenzeiten. Bestimmte komplexe geometrische Bauteile können überhaupt erst im additiven Verfahren realisiert werden, etwa in der Luft- und Raumfahrtindustrie. Zudem lassen sich Einzelfertigungen sowie Kleinserien kosteneffizienter herstellen und auf Kundenwünsche anpassen, was bereits in der Medizintechnik zur Anwendung kommt.
Heutige additive Verfahren sind Industrie 4.0 „in a nutshell“. Je frühzeitiger sich Unternehmen jetzt damit beschäftigen, umso leichter können sie später die Prozesse hochskalieren und umso größer sind ihre künftigen Marktchancen. Wirtschaftsforscher erwarten jährlich zweistellige Wachstumsraten und eine Vervierfachung des Marktvolumens bis 2022.
3D-Druck ist Schlüsselthema für sämtliche Branchen und Unternehmen
Bereits 2017 hat sich der Bundestagsausschuss für Technikfolgenabschätzung in einem umfassenden Bericht mit den Vorteilen des 3D-Druck-Verfahrens beschäftigt und weist besonders auf die Effizienz hin: „Die Bauteilkomplexität übt so gut wie keinen Einfluss auf Dauer und Kosten des additiven Herstellungsprozesses aus, während sie in der konventionellen Fertigung zu einem exponentiell steigenden Kosten- und Zeitaufwand führt.“ 3D-Druck ist daher ein Schlüsselthema für sämtliche Branchen und Unternehmen.
Innovationen durch Sicherheit und wirtschaftlich sinnvolle Lösungen voranzutreiben, ist bei TÜV Nord seit über 150 Jahren Bestandteil der „Unternehmens-DNA“. Im Bereich additiver Fertigung entwickelt das Dienstleistungsunternehmen daher ein umfassendes Qualitätssicherungsprogramm entlang des gesamten Produktentstehungsprozesses von der Konstruktion über die Fertigung bis hin zur zerstörungsfreien Prüfung. Das soll künftig eine konforme und unabhängig zertifizierte Serienfertigung ermöglichen.
Von der Prüfungen des Metallpulvers bis zur Qualitätssicherung des fertigen Bauteils
Zunächst bietet TÜV Nord insbesondere für digitale Bauteilentwürfe und die Datenvorbereitung für den 3D-Druck profundes Ingenieurswissen und prozessorientierte Prüfkonzepte. Entscheidend für die Qualität und Sicherheit eines Bauteils sind – neben dem eigentlichen Druckvorgang – vor allem die Prüfungen am Beginn und Ende des Produktionsverfahrens, also die Eigenschaften des verwendeten Metallpulvers sowie die Qualitätssicherung des fertigen Bauteils. Hier hat TÜV Nord in Pilotprojekten gemeinsam mit Industriepartnern Lösungen entwickelt, die für die Marktfähigkeit von Produkten entscheidend sein können. Da eine harmonisierte Norm zum 3D-Druck noch fehlt, muss ein qualifiziertes Prüfunternehmen in der Lage sein, diese Lücke durch die Anwendung geeigneter Standards auszufüllen.
In Kooperation mit Industrieunternehmen entwickelte TÜV Nord die notwendigen Prüfgrundlagen und -verfahren für die verwendeten Metallpulver. Ziel war ein generisches Prüfprodukt, um die Eigenschaften von Vormaterialien zu charakterisieren. Entscheidend für den stabilen industriellen 3D-Druck sind konsistente Metallpulvereigenschaften und prozessfähige Legierungen. Besonders Augenmerk liegt auf der Fließfähigkeit und auf dem Vermeiden von Schwankungsbreiten in der Partikelgröße. Sie können im Druckprozess dazu führen, dass sich im Produkt Poren bilden.
Alle Ergebnisse einer Materialprüfung in einer Datenbank dauerhaft abrufbar
Die Inhalte einer Materialprüfung umfassen in einem strukturierten Prozess: Probenentnahme, chemische Analyse, Feuchtigkeit des Pulvers, Partikelgrößenverteilung, Fließfähigkeit, Schüttdichte, Klopfdichte und Partikelmorphologie. Für den Prüfablauf wurde die bewährte Vorgehensweise nach EN 10204 3.2 (Abnahmeprüfzeugnisse) zugrunde gelegt. Zur langfristigen Qualitätssicherung werden alle Ergebnisse erfasst und sind in einer Datenbank dauerhaft abrufbar.
Auch wenn eine Prüfung des Metallpulvers im Vorfeld stattfand, ist am Ende eine Qualitätssicherung des fertigen Bauteils unverzichtbar – besonders wenn es in sicherheitskritischen Bereichen, wie etwa der Luft- und Raumfahrttechnik, verbaut werden soll. Möglich ist dies nur mit Röntgenverfahren oder einer Computer-Tomografie, wodurch eine Prüfung zerstörungsfrei verläuft (siehe Bilder). So kann Schicht für Schicht aus jeder denkbaren Perspektive und jedem Schnittwinkel die Beschaffeneinheit im Inneren eines Bauteils erfasst werden. TÜV Nord hat dieses Verfahren gemeinsam mit der Hydac Technology GmbH an komplexen Werkstücken für die additive Fertigung weitentwickelt und erprobt. Dadurch konnten im Endprodukt kleinste Anomalien, wie etwa Poren und Risse sichtbar gemacht werden. Gleichzeitig lassen sich produktionsbedingte Schrumpfungen genau erfassen und vorausberechnen.
Wichtige Prozessschritte des 3D-Drucks in Prüfverfahren abgebildet
Damit können bereits wichtige Prozessschritte des 3D-Drucks in Prüfverfahren abgebildet werden. Der letzte Lückenschluss erfolgt ebenfalls durch TÜV Nord nach Abschluss weiterer Pilotprojekte, womit dann auch der additive Fertigungsprozess selbst, etwa in Bezug auf die Fertigungsstabilität, neutral und unabhängig geprüft wird. Damit die Praxistauglichkeit von vornherein sichergestellt ist, lädt der Dienstleister weitere Industriepartner ein, um gemeinsam die Prüfverfahren im Bereich Additive Manufacturing weiterzuentwickeln.
Für eine verlässliche Marktreife und weltweite Verfügbarkeit additiv gefertigter Produkte ist die nachgewiesene Konformität durch eine akkreditierte Stelle wie TÜV Nord eine Grundvorsetzung. Entscheidend für den Erfolg wird aber sein, dass Produkte und Produktionsprozesse unter den Bedingungen additiver Fertigung ein Höchstmaß an Qualität bieten und konform mit den normativen sowie gesetzlichen Rahmenbedingungen sind. Qualität und Sicherheit sind immer die Grundvoraussetzung für das Vertrauen in eine neue Technologie – sowohl im B2B-Bereich als auch in den B2C-Beziehungen.
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