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Desinfektionsmittel können Beschichtungen schädigen

Serie Oberflächentechnik
Desinfektionsmittel contra Beschichtungen

Die Pandemie wird auch in der Technik zum Problem: Das häufige Desinfizieren kann Materialien und Beschichtungen schädigen – nicht nur bei Konsumgütern und im Auto, sondern auch bei Industriegeräten und Betriebsmitteln. Im ersten Teil unserer neuen Industrieanzeiger-Serie Oberflächentechnik greifen die Experten vom Fraunhofer IPA das heikle Thema auf.

» Dr. Volker Wegmann, Michael Nazar Bogdan M.Sc. und Philipp Rittlewski M.Sc. vom Fraunhofer IPA in Stuttgart

Bereits vor über zehn Jahren berichtete die Queen-Mary-Universität London über die exorbitant hohe Keimbelastung von Lenkrädern, die im Schnitt neunmal höher liegt als die Belastung öffentlicher Toilettensitze. Bei genauerer Überlegung ist das eigentlich auch nicht verwunderlich. Denn öffentliche Toiletten werden von einem speziell geschulten Personal mindestens täglich gereinigt. Die meisten Autonutzer führen dies in ihren Fahrzeugen wahrscheinlich wesentlich seltener durch.

Die Corona-Krise hat hier allerdings einiges geändert: Vor allem in Fuhrparks, die von mehreren Fahrern genutzt werden, ist tägliches Desinfizieren der Innenflächen oft zum neuen Standard geworden. Ob Dienst- beziehungsweise Mietwagen oder Carsharing, viele Anbieter setzen zur Sicherheit ihrer Kunden und Nutzer auf großzügige Flächendesinfektion. Neben den Fahrzeugen werden auch vermehrt diverse Industriegeräte, wie zum Beispiel Bedienpanels und Touchpads, aber auch die Haushalts- und Büroartikel des täglichen Bedarfs desinfiziert.

Kaum ein Produkt entgeht dem Desinfizieren

Kaum ein Artikel entgeht dieser Prozedur, ob es Kleinelektrogeräte (Tastaturen, Toaster, Kaffeemaschinen, Lampen), Möbel (Sofas, Küchenschränke, Büromöbel) oder Maschinen und Anlagenteile sind. Im Internet findet man leicht diverse Videos und Anleitungen zur Desinfektion zu jedem erdenklichen Produkt. Die Londoner Studie würde bei einer erneuten Analyse heute wohl zu einem deutlich anderen Ergebnis kommen, eigentlich eine gute Nachricht.

Nach zwei Jahren Pandemie kommt allerdings die Ernüchterung. Vielen Anwendern ist es gar nicht bewusst, dass die Desinfektionsmittel aggressive Medien gegenüber Kunststoffen, Beschichtungen und Leder beinhalten können. Deswegen ist ein verstärktes Auftreten von Schadensfällen zu beobachten. Es treten unter anderem folgende Schadensbilder zu Tage: Anquellen, Verfärbungen oder Risse. Einige Kunststoff- und Lederoberflächen sind bestimmten Desinfektionsmitteln offenbar nicht gewachsen.

Desinfektionsmittel sollen verträglich sein

Die Automobilhersteller fordern zur Freigabe von verbauten Materialien eine ganze Reihe von Nachweisen zur Verträglichkeit gegenüber bestimmten Alltags- und Reinigungsmedien sowie Betriebsstoffen. Auch industrielle Produkte werden diesbezüglich vermehrt untersucht. Allerdings haben die meisten nicht damit gerechnet, dass seit 2020 einige Produkte fast täglich starken Desinfektionsmitteln ausgesetzt sind.

Im nach DIN EN ISO/IEC 17025:2018 akkreditierten Prüflabor der Lackiertechnik des Fraunhofer IPA in Stuttgart wurden und werden hierzu stichprobenartig verschiedene Materialien auf die Verträglichkeit gegen die drei gängigsten Desinfektionsmittelformulierungen überprüft. Mit unterschiedlichen Verfahren konnten dabei Veränderungen wie Anquellen, Farbveränderungen und Erweichen der Oberflächen nachgestellt und nachgewiesen werden.

Mid-Soft-Laserlacke sind sensibel für Desinfektionsmittel

Die meisten getesteten Oberflächen zeigen glücklicherweise keine Schäden. Allerdings können bei der Berücksichtigung der Menge der verwendeten unterschiedlichen Materialien vereinzelte Schadensbilder nicht ausgeschlossen werden. Das Fraunhofer IPA hat eigens ein internes Forschungsprojekt ins Leben gerufen, um diese Zusammenhänge zu erforschen. Zum Beispiel zeigen Mid-Soft-Laserlacke teilweise Unverträglichkeiten gegenüber Desinfektionsmitteln auf alkoholischer Basis.

Aus diesem Grund empfiehlt das Fraunhofer IPA die zukünftige Berücksichtigung der Desinfektionsmittelverträglichkeit in die Anforderungen der Automobil- und Industriehersteller zu integrieren. Somit könnten beispielsweise Produzenten und Zulieferer schon zuvor die Beständigkeit Ihrer Materialien gegen ausgewählte Desinfektionsmittel von unabhängigen Laboren bestätigen lassen.

Fraunhofer IPA empfiehlt gezielte Prüfungen

Für die sich bereits im Serieneinsatz befindlichen Produkte müssen schnellstmöglich umfassende Untersuchungen aller verbauten Materialien nachgeholt werden, um die Nutzer über eventuelle Unverträglichkeiten zu informieren oder zu warnen. Oft besteht die Möglichkeit, auf andere Desinfektionsmittel auszuweichen um Schäden zu vermeiden, eine grundsätzliche Vorhersage kann allerdings derzeit noch nicht geschlussfolgert werden.

Zur Sicherheit empfehlen die Fraunhofer-Wissenschaftler auf spezielle Pflegemittel mit desinfizierender Wirkung für den jeweiligen Einsatzbereich zurückzugreifen. Diese werden in der Regel für die darin vorkommenden Materialien entwickelt und getestet. Somit sind Unverträglichkeiten unwahrscheinlich.

Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
Beschichtungssystem- und Lackiertechnik
Nobelstr. 12
70569 Stuttgart
Tel.: +49 711 970–1090
www.ipa.fraunhofer.de/beschichtung


Neue Serie

In Industrieanzeiger 04 beleuchten die Oberflächentechnik-Experten des Fraunhofer IPA das Thema Simulation


Fachabteilung am Fraunhofer IPA

Die Abteilung Beschichtungssystem- und Lackiertechnik am Fraunhofer IPA umfasst mehr als 60 Mitarbeitende und hat die gesamte Beschichtungstechnik im Fokus. Die Wissenschaftler kümmern sich um den kompletten Prozess von der Entwicklung neuer Lacke und Lackrohstoffe über die Lackapplikation bis zum Entwickeln, Modellieren und Simulieren von produktionsgerechten Beschichtungsprozessen und -anlagen einschließlich Umsetzung. Mit diesem Leistungsangebot und den vorhanden Anlagen hat das Institut ein Alleinstellungsmerkmal in Europa. Am Fraunhofer IPA werden außerdem Analysen und Prüfungen unter produktionsnahen Bedingungen durchgeführt. Die Schwerpunkte:

  • Analytik und Stoffprüfungen
  • Lackchemische Anwendungstechnik
  • Pigmente und Beschichtungen
  • Lackierprozessentwicklung
  • Nassapplikations- und Simulationstechnik
  • Pulverapplikationstechnik

Kontakt:
Dr. Volker Wegmann,
Tel. +49 711 970-1753,
Volker.Wegmann@ipa.fraunhofer.de
www.ipa.fraunhofer.de/beschichtung

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