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Wasserstoffaffine Innovationen bieten Zulieferern Perspektiven

Wasserstoffaffine Innovationen bieten Zulieferern Perspektiven
Die Karten werden neu gemischt

Mehr als 20 Jahre wurde geplant, entwickelt, diskutiert – aber die Wasserstoffwirtschaft kam einfach nicht in Schwung. Jetzt, so scheint es, wird der Schalter umgelegt. Die EU und Deutschland haben Wasserstoffstrategien verabschiedet und stellen Fördermittel bereit. Die Marktchancen für Maschinenbauer und ihre Zulieferer sind immens.

» Gerald Scheffels M.A., Fachjournalist in Wuppertal

Das chemische Element mit der Ordnungszahl eins im Periodensystem ist Gegenstand zahlreicher kleiner und großer Projekte, und beinahe täglich werden es mehr. Zum Beispiel baut Linde demnächst am Chemiestandort Leuna den weltweit größten Elektrolyseur zur Wasserstofferzeugung. Thyssen Krupp plant, die Hochöfen künftig mit Wasserstoff zu „befeuern“ und so klimaneutralen Stahl zu erzeugen. Der Hafen Duisburg (Duisport) arbeitet an einer europaweiten Wasserstoff-Infrastruktur für Binnenschiffe, Siemens Energy kombiniert im Sinne der Sektorenkopplung Elektrolyseure mit Windrädern und erzeugt damit „grünen“ Wasserstoff. Porsche investiert – wiederum gemeinsam mit Siemens Energy und weiteren Partnern – in die Produktion von synthetischen Kraftstoffen, so genannten E-Fuels, mit grünem Wasserstoff. Das Pilotprojekt wird in Chile errichtet.

Neben diesen Großprojekten gibt es eine Vielzahl an kleineren Initiativen, die Projekte zum Erzeugen, Speichern, Verteilen und Nutzen von Wasserstoff ins Leben gerufen haben. Befeuert wird die Entwicklung durch Milliarden an Fördermitteln – und die feste Absicht der EU sowie der Bundesregierung, der Wasserstofftechnologie (endlich) zum Durchbruch zu verhelfen. Zu den treibenden Kräften gehört natürlich auch die Einsicht, dass neue Technologien zur Energieerzeugung und -nutzung nötig sind, um die selbst gesetzten CO2-Emissionsziele zu erreichen.

Vernetzung ist gefragt – und das richtige Geschäftsmodell

Die Voraussetzungen sind also besser denn je, aber noch ist der Durchbruch nicht geschafft. Was muss passieren, damit die vielen Projekte und Initiativen gestärkt werden? Die Managementberatung Porsche Consulting hat den (Zukunfts-)Markt analysiert und mit vielen Akteuren gesprochen. Christian Dittmer-Peters, Partner von Porsche Consulting: „Jetzt kommt es auf drei wesentliche Faktoren an: Transparenz, zum Beispiel über die Herkunft und die aktuell verfügbaren Mengen an Wasserstoff, klare Regularien etwa zum Handel des Gases und – am allerwichtigsten – eine Vernetzung der Beteiligten. Wasserstoff wird nur dann auf breiter Basis zum Einsatz kommen, wenn sich ein Netzwerk mit entsprechenden Geschäftsmodellen etabliert.“

Große Chancen für die Industrie

Allerdings: An vielen Stellen fehlt es noch an der Infrastruktur. Genau das kann für Industrieunternehmen eine gute Chance sein, sich frühzeitig in diesem Markt zu positionieren und nicht nur entsprechende Produkte zu entwickeln, sondern – gemeinsam mit Partnern – auch neue Geschäftsfelder zu erschließen.

Dass die Wasserstoffwirtschaft hier mehr als genug Potenzial bietet, zeigt eine Studie des VDMA. Sie geht davon aus, dass sich für den weltweiten Maschinen- und Anlagenbau ein Marktpotenzial von über 300 Mrd. Euro pro Jahr ergibt, wenn die Unternehmen gezielt „grüne“ Technologien entwickeln. Das entspricht 12 bis 15 % des weltweiten Gesamtumsatzes in der Branche – oder dem aktuellen Gesamtumsatz des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus. Wasserstoffaffine Innovationen, so die Studie, bieten hier sehr großes Potenzial.

Empfehlung: Jetzt einsteigen!

Maschinenbauer, Fahrzeugbauer und Zulieferer sind also gut beraten, nach Ideen für die Wasserstoffwirtschaft zu suchen. Ein kurzer Blick auf vier aktuelle Projekte kann vielleicht Anregungen geben.

  • Mehrere Projektpartner – darunter Anlagenbauer Hille Engineering und Roboterhersteller Kuka – haben eine Wickelanlage für Kunststoff-Druckbehälter von Brennstoffzellen gebaut. Die mit Bundesmitteln geförderte Anlage ist im Technikum des IKV Aachen in Betrieb.
  • Automobilzulieferer ElringKlinger kooperiert mit Airbus bei der Entwicklung von Brennstoffzellen für die Luftfahrt.
  • Flurförderzeug-Hersteller Still hat frühzeitig in die Entwicklung von Brennstoffzellen-Staplern investiert und fertigt sie bereits in Serie. Der größte Einzelauftrag: 138 Flurförderzeuge verschiedener Bauarten, alle mit Wasserstoffantrieb, für die französische Supermarktkette Carrefour.
  • Der Bahntechnikhersteller Alstom hat am Standort Salzgitter einen Personenzug mit Wasserstoffantrieb entwickelt und gebaut, der bereits im Linienverkehr in Österreich unterwegs ist. Der Zughersteller sieht auch in Deutschland großes Marktpotenzial für diese Technologie. Zum Beispiel in Frankfurt: Hier liefert der Industriepark Hoechst mit einer eigens dafür gebauten H2-Tankstelle den Treibstoff für die Brennstoffenzellenzüge von Alstom – eine Symbiose, die für alle Beteiligten neues Geschäft bedeutet.

Diese Beispiele zeigen: Der Markt bietet Perspektiven für den Maschinen- und Fahrzeugbau und viele Anzeichen sprechen dafür, dass sich die Technologie jetzt (endlich) durchsetzt. Christian Dittmer-Peters rät Industrieunternehmen, die Chancen zu ergreifen, die der Markt in diesem Stadium bietet: „Beim Ökosystem Wasserstoff werden die Karten neu gemischt. Angestammte Rollen gelten nur bedingt. Jetzt gilt es, die eigene Positionierung neu auszuloten und entsprechend unternehmerisch zu handeln“.

Statt auf den Aufbau zentraler Infrastruktur zu warten, sollten Unternehmen für ihre Wasserstoffprodukte selbst den Weg bahnen, indem sie gemeinsam mit Partnern für dezentrale Infrastrukturlösungen sorgen, so der Berater. Damit erschließen sie sich neues Know-how und Geschäft und positionieren sich ideal in einem vielversprechenden Markt

Marktidee: Dezentrale Energiespeicherung mit Wasserstoff

Eine weitere Marktidee ist die Entwicklung von kleineren Elektrolyseuren und Brennstoffzellen, die dezentral dort zum Einsatz kommen, wo regenerative Energie produziert wird – zum Beispiel durch Industrieunternehmen mit Solar- oder Windkraftanlagen auf dem Firmengelände. So kann erzeugte Energie direkt vor Ort gespeichert werden. Solche Technologien, die das Energienetz flexibler machen, werden nach Einschätzung von Porsche Consulting künftig gefragt sein. Denn aktuell diskutiert die Bundesregierung die Möglichkeit, bei einer Überlast von Stromnetzen gezielt Verbraucher vom Netz zu nehmen. Gleichzeitig wurden 2020 rund 1,3 Mrd. Euro an Entschädigungen an Erzeuger nachhaltigen Stroms gezahlt, die wegen Überkapazitäten ihre Anlagen drosseln oder vom Netz nehmen mussten. Das Problem liegt hier in der schwankenden Verfügbarkeit von grünem Strom, gepaart mit Nachfragespitzen. In beiden Fällen kann die dezentrale Energiespeicherung in Form von Wasserstoff helfen.

Perspektiven auch für die Zulieferer

Von der nationalen Wasserstoffstrategie können Maschinenbauer profitieren, die Anlagen für die Wasserstofftechnik entwickeln und bauen und sich damit einen neuen Markt erschließen. Ebenso bietet dieser Markt Zukunftschancen auch für die Zulieferer, vor allem aus der Prozesstechnik. Das betrifft unter anderem die Hersteller von Komponenten wie Pumpen, Ventilen, Verdichtern, Rohrleitungen, Dichtungen, Abfüll- und Verladeanlagen sowie von entsprechender Automatisierungstechnik.

Der Markteintritt dürfte ihnen aus technischer Sicht keine großen Hürden bereiten. Expertise im Explosionsschutz ist allerdings hilfreich, denn Wasserstoff ist zündfähig. Und Kompetenz in der Dichtungstechnik wird ebenso gefordert: Als Element mit der Ordnungszahl eins ist das Wasserstoffmolekül sehr klein.

Und natürlich sind produzierende Unternehmen auch aufgerufen, sich mit der Nutzung von Wasserstofftechnologien zu beschäftigen und damit einen Schritt auf dem Weg zur nachhaltigen, CO2-neutralen Produktion zu gehen. Marktreife Möglichkeiten wie etwa Wasserstoff-betriebene Flurförderzeuge stehen ihnen zur Verfügung, und wenn deren Hersteller – wie Porsche Consulting es empfiehlt – in Netzwerken denken und neue Geschäftsmodelle erproben, liefern sie die H2-Tankstelle gleich mit.


Perspektiven

Unternehmen sollten für ihre Wasserstoffprodukte selbst den Weg bahnen, indem sie gemeinsam mit Partnern für dezentrale Infrastrukturlösungen sorgen.


Gelegenheit zum Netzwerken

 


Die Farben des Wasserstoffs

Als Element ist Wasserstoff grundsätzlich gasförmig und farblos. Die Herkunft des Energieträgers wird aber anhand eines Farbensystems ausgewiesen. Das sind die wichtigsten drei:

Grün: wird durch Elektrolyse von Wasser erzeugt, mit Strom aus regenerativen Energiequellen – nur so gewonnener Wasserstoff ist CO2-neutral.

Grau: wird aus fossilen Energiequellen gewonnen – sein Einsatz kann für eine Übergangszeit sinnvoll sein.

Blau: wird zunächst als grauer Wasserstoff gewonnen, wobei bei der Erzeugung im CCS-Verfahren (Carbon Capture and Storage) CO2 abgeschieden und gespeichert wird.


Japan: Mehr als fünf Millionen Brennstoffzellen bis 2030

Als Leitbild für die Umsetzung von Wasserstoffstrategien kann Japan dienen. 2017 setzte sich die Nation das Ziel, bis 2030 eine vollständige Liefer- und Abnehmerkette der Wasserstoffwirtschaft aufzubauen – mit 800.000 Brennstoffzellenautos, 1200 Bussen und 10.000 Gabelstaplern. Die Gebäudetechnik ist schon in Teilen umgestellt: Seit 2009 wurden rund 300.000 kleine Blockheizkraftwerke auf Brennstoffzellenbasis installiert, bis 2030 sollen es mehr als fünf Millionen sein. Sie liefern Wärme und Strom für Haushalte, aber auch für die beliebten „konbini“. Das sind Mini-Supermärkte, die rund um die Uhr geöffnet sind und konstanten Bedarf an Energie in Form von Wärme und Strom haben – eine ideale Anwendung für Brennstoffzellen.

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