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Duro- und Thermoplast aus einer Maschine

Composites: Großserien aus nur einer Fertigungszelle
Duro- und Thermoplaste zum Leichtbauteil verheiratet

Die im Projekt Opto-Light erzielten Ergebnisse sind ein Präzedenzfall für das, was künftig möglich wird: Verarbeiter produzieren Leichtbauteile in Großserie, die ein Maximum an Funktionsintegration und Stabilität bringen. Es handelt sich dabei um hybride Kunststoffteile aus Carbonfaser-verstärkten Duro- und Thermoplasten.

David Vink
Freier Fachjournalist in Mettmann

Worauf die Akteure bei Projektstart vor vier Jahren abzielten, ist schnell gesagt: Die spezifischen Stärken von faserverstärkten Duroplasten und Thermoplasten sollen in einem einzigen Leichtbauteil vereint werden, komplett produziert in einer einzigen Fertigungszelle – und zwar in Großserie. Der Anteil des gepressten Duroplasten macht das Bauteil starr und kriechfest, der spritzgegossene Thermoplast sorgt für eine kostengünstige Funktionalisierung in komplexen Geometrien.

Doch die dafür benötigten Technologien sind so vielfältig, dass das Vorhaben einer Expedition auf den Mont Blanc glich – von der Liste der Expeditionsteilnehmer her ebenso wie von der Geräte- und Technikliste her. Krauss Maffei zum Beispiel brachte maschinentechnisches Know-how ein und strebte als Projektziel an, die Ergebnisse in schlüsselfertige Anlagetechnik für Teileproduzenten umzusetzen. Die Münchner übernahmen die Koordination des Projekts.

Der Begriff „Opto“ steht dafür, dass optische Systeme eine wichtige Rolle spielen in der Fertigungszelle, und „Light“, dass leichte Teile produziert werden. An den Fügestellen sorgen Laser dafür, dass aus dem Carbonfaser-verstärkten Duroplasten (zunächst Epoxidharz, später eventuell auch Polyurethan) und dem Carbonfaser-verstärkten Polyamid 6 ein 2K-Bauteil wird. Auch für die prozessintegrierte Messtechnik spielen optische Systeme eine Rolle.

Drei Jahre arbeiteten die Teilnehmer an dem Projekt, das ein Finanzvolumen von 3,95 Mio. Euro umfasste und vom BMBF zu 53,8 % gefördert wurde. Durchgeführt wurde Opto-Light am Aachener Zentrum für integrativen Leichtbau AZL der RWTH Aachen mit Unterstützung der Aachener Institute IKV (Institut für Kunststoffverarbeitung) und Fraunhofer IPT (Institut für Produktionstechnologie) – sie sind auch auf der Messe Fakuma in Halle B4, Stand 4404, präsent.

Der Ablauf des Projekts gleicht in der Tat einem Expeditionsbericht. Die Ergebnisse gliedern sich in viele Einzelaspekte auf, die sich erst in der fertigen Fertigungszelle zu einem Ganzen fügen und den neuen Prozess gelingen lassen. Ein Kernstück ist das Vorbereiten der Fügestellen: Laser tragen Polymermaterial an der Oberfläche des bereits gepressten Duroplastteiles ab und legen so Carbonfasern frei. Als einen weiteren Prozessschritt strukturieren sie die offen gelegten Faserbahnen, damit der angespritzte Thermoplast besser haften kann.

Laser dienen auch zum Schneiden und Entgraten in der Zelle

Laser werden in der Fertigungszelle auch zum Schneiden und Entgraten verwendet. Einen ersten Überblick über den integrierten Prozess gibt das Video, das die Aachener auf ihrer Website zum Projektabschluss ins Netz gestellt haben: http://hier.pro/AYnx3

Vorversuche machte das IKV durch Überspritzen eines Epoxidharzsystems (Epikote 05475 von Momentive Performance Materials) mit 30 % Glasfaser-verstärktem, strukturviskösem Polyamid 6 (Durethan BKV30 H2.0 901510 von Lanxess). Anschließend wurde die erzielte Scherkraft der Verbindung gemessen, abhängig von den Laserstrahl-Geschwindigkeiten und PA6-Schmelztemperaturen (optimal: 8000 mm/s und 310 °C). Das IKV führte die Untersuchungen auf einer Spritzgießmaschine von Sumitomo (SHI) Demag mit 800 kN Schließkraft durch.

Optische Systeme überwachen und regeln das Verfahren. Sie erforderten die Expertise weiterer Projektteilnehmer, zum Beispiel der Firma Steinbichler Optotechnik, die seit 2015 als Zeiss Optotechnik GmbH zu Carl Zeiss Industrielle Messtechnik gehört. Von Steinbichler stammt das Scangerät, das die Inline-Bauteilprüfung übernimmt.

Auch BMW war im Opto-Light-Projekt involviert: Das Demo-Bauteil stammt aus einem i3-Fahrzeug. Der OEM war daran interessiert, die Bauteile auf ihre Steifigkeitspotenziale hin zu untersuchen und das neue Fertigungskonzept gegebenfalls bei künftigen Fahrzeugen anzuwenden.

Laut des AZL dürfte für Autobauer besonders von Vorteil sein, dass sich durch selektiv angespritzte, thermoplastische Verstärkungsrippen der Gehalt an teuren Carbonfasern oder die Wandstärken reduzieren lassen. Alternativ könnte das Bauteil steifer gestaltet werden, ohne die Wanddicken oder den CF-Gehalt erhöhen zu müssen. Die Verstärkungsrippen bieten darüber hinaus zusätzliche Funktionalität an. Sie können Schraubdorne mit metallischen Einlegeteilen in sich integrieren, die vor dem Überspritzen Laser-strukturiert wurden.

Das AZL spricht von einem Kostensenkungspotenzial von 24 % für den Automobilhersteller BMW. Im Vergleich zum aktuellen Nasspresspressverfahren mit anschließendem „Onsert-Kleben“ von Funktionselementen wird der Prozess vor allem beschleunigt. Die Zykluszeit beträgt nur noch 3 Minuten: 70 s dauert das Teilaushärten des Epoxidharzes und 85 s das Spritzgießen. Zur Zeit- und Kosteneinsparung trägt auch bei, dass auf CF-Gewebe verzichtet wird und stattdessen Epoxidharz-vorimprägniertes CF-„PrePreg“ zum Einsatz kommt, das verschnittfrei ist. Es wird durch direktes Tapelegen erzeugt.

Das AZL sieht für die Opto-Light-Technologie außer im Automobilbau auch Potenziale in Luftfahrt, Maschinen- und Anlagenbau, Energie und Umwelt. Die in Aachen installierte OptoLight-Fertigungszelle wurde im Juli 2017 geliefert und besteht aus einer „SpinForm“-Spritzgießmaschine CXW 200/380/180 von Krauss Maffei Technologies mit 2000 kN Schließkraft. Um mit ihr auch Verbundwerkstoffe (Composites) herstellen zu können, hat der Hersteller sie modifiziert. Sie enthält eine HPCM-Einheit zum horizontalen Duroplast-Pressen (HPCM = High Pressure Pre Preg Compression Moulding) und eine konventionelle Thermoplast-Spritzgießeinheit. Beide Einheiten arbeiten mit demselben Wendeplatten-Werkzeug.

Die Herausforderung: Ein Werkzeug für zwei unterschiedliche Prozesse

Hierin lag eine besondere Herausforderung für das AZL: Formen für Duroplaste und Thermoplaste in ein und demselben Werkzeug unterzubringen. Im September 2017 erhielt das AZL den Innovationspreis des Verbands AVK – der Industrievereinigung Verstärkte Kunststoffe in der Kategorie Forschung & Wissenschaft (erster Platz) für Opto-Light.

Noch einmal zum entscheidenden Prozessschritt: Die Laser-Bearbeitung der Duroplast-Fügestelle übernimmt ein 3D-Scankopf, den die Arges GmbH unter dem Namen „Chameleon“ eigens für das Aachener Leichtbauzentrum entwickelt hat. Geführt wird der Scankopf durch einen Kuka-Industrieroboter KR90 mit 90 kg Traglast und 3,1 m Reichweite. Er nutzt einen Kurzpulslaser, montiert auf einer 3D-Strahlablenkeinheit, und wird unterstützt durch einen ASC3-Controller und eine „on-axis“-Sensorik.

Der Chameleon-Scankopf nutzt zwei unterschiedliche Laserstrahlquellen und lässt sie simultan arbeiten. Bearbeitungsschritte und Prozessüberwachung werden entweder unmittelbar hintereinander oder parallel ausgeführt. Beim Bearbeiten des Duroplasten erfolgt zuerst der Polymer-Abtrag und dann das Strukturieren der freigelegten CF-Faser, um die Haftfestigkeit mit dem noch anzuspritzenden Thermoplasten zu erhöhen.

Der Polymer-Abtrag ist nicht ohne Herausforderung und muss überwacht werden. Die Abtragungstiefe erfasst und kontrolliert das CHRodile 2 IDM (In-Process Depth Meter) von Precitec mithilfe einer chromatisch-konfokalen Abstandsmessung mit Kurzzeit-Kohärenz-Interferometrie. Die laterale Auflösung beträgt 1 µm, die Messfrequenz reicht bis zu 70 kHz.

Die AZL-Wissenschaftler haben entschieden, die Duroplastkomponente nicht vollständig in der Form aushärten zu lassen. Eine gewisse Rest-Reaktivität bleibt erhalten als Beitrag für eine hohe Haftfestigkeit, wenn in der anderen Formseite der Wendeplatte der Thermoplast hinterspritzt wird. Die Duroplast-Komponente kann danach vollends aushärten.

Sensoren überwachen die Aushärtung

Für diesen Prozessablauf war es wichtig, den Aushärtegrad des duroplastischen Polymers in beiden Wendeplatten-Seiten durch berührungslose Temperaturmessung zu bestimmen. Hierzu dient eine Thermographie durch ein High-Speed-Teilstrahlungspyrometer des Typs Metis H318 von Sensortherm. Das H318 ist mit einem InGaAs-Detektor ausgerüstet und erzielt eine Erfassungszeit von 20 µs – dies entspricht 50.000 Messungen pro Sekunde. Eine LED-Anzeige visualisiert die aktuelle Temperatur, eine Sensor-Tool-Software erzeugt die Temperatur-Grafik.

Innovativer dielektrischer Sensor

Kurz vor Projektende nahmen die OptoLight-Wissenschaftler noch zusätzlich ein dielektrisches Sensorsystem in das Werkzeug auf: Das Prinzip des Sensors wurde am Lehrstuhl für Experimentalphysik der Universität Augsburg speziell für CF-verstärkte Kunststoffe entwickelt, um genauere Ergebnisse über lange Produktionszeiten zu bekommen. Konventionelle Sensoren müssen demgegenüber wegen der Leitfähigkeit der CF-Fasern im Werkzeug mit einem Patch abgedeckt werden – eine eher provisorische Lösung mit zeitlich begrenzter Wirksamkeit. Das neue System ermöglicht es nach Angaben der Uni Augsburg, im Blick auf Viskosität, Aushärtegrad, Gel-Punkt und Glasübergangstemperatur die Qualitätssicherung schon während der Fertigung zu betreiben. So lassen sich wiederum Zeit und Kosten einsparen.

Die positiven Erfahrungen mit dem neuen dielektrischen Sensor im OptoLight-Projekt führten sogar dazu, dass Netzsch-Gerätebau die Technik in einem neuen Produkt umsetzte, dem jüngst eingeführten System DEA 288 Iconic. DEA steht dabei für „Dielelektrische Analyse“.

Zum System gehört ein Tool Mount Sensor (TMS), der in die Werkzeuge integriert wird. Bei Netzsch entstand daraus das neue Geschäftsfeld „Process Analytics“. Dessen Leiter ist Alexander Chaloupka, der die dielektrische Sensorik bei der Universität Augsburg entwickelt hatte. Netzsch-Gerätebau hat sich zum Ziel gesetzt, derartig „plug-and-play“ integrierbare Messsysteme für Composite-Großserienprozesse anzubieten. Chaloupka spricht darüber am 5. November in Stuttgart auf der International Composites Conference (ICC 2018).


Laser auch bei Organoblechen

Auf der Messe Composites Europe 2017 zeigten das Fraunhofer IWS, Dresden, und die Universität Chemnitz eine Durchlade aus „Organoblechen“ – Platten aus Glasfasergewebe-verstärktem PP, die sich formen lassen. Auch hier legt der Laser selektiv Glasfasern frei, um die Haftung von angespritztem Thermoplastmaterial zu erhöhen. Bei einem Referenzteil erhöhte ein kontinuierlicher Laser die Haftfestigkeit von 0,73 Mpa auf 2,81 MPa, ein Pulslaser sogar auf 3,95 MPa.


Composites für alle

Für die Faserverbundtechnik ist die Zeit gekommen, in die Breite der Kunststoffverarbeitung vorzudringen. Über kurz oder lang werden sich immer mehr Kunststoffverarbeiter in die Lage versetzen können, auch mit Composites zu arbeiten, Organobleche zu verarbeiten und zu funktionalisieren. Dies zeigen die Projekte, über die wir hier lesen. Eine neue Technik erobert die Welt – und eröffnet Chancen für ambitionierte Spritzgießer.

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