Startseite » Technik » Entwicklung »

Bringen Nano-Teilchen den Kunststoff-Kotflügel?

Leichtbau: Additive machen Kunststoffe automobilfähig
Bringen Nano-Teilchen den Kunststoff-Kotflügel?

Dass Kunststoff-Kotflügel irgendwann zum Standard gehören werden, ist heute keine Frage mehr. Eher, wie die Industrie dies erreichen kann. Viel erwartet wird von beizumischenden Nanoteilchen. Daimler und Sabic Innovative Plastics gewähren Einblicke in den Stand der Arbeiten.

Für die Gepflogenheiten der Automobilhersteller und ihrer Zulieferer ist es äußerst ungewöhnlich, dass Entwickler aus der laufenden Entwicklung plaudern und Zwischenergebnisse bekannt geben – insbesondere, wenn es um Richtungsentscheidungen mit großer Tragweite geht. Doch im Falle von Kotflügeln und anderen Karosserieteilen, die künftig aus leichten Thermoplasten statt aus Metallen bestehen sollen, ist es geschehen: Dr. Erich Lehner von der Daimler AG und Dr. Rudolf Nuss von Sabic Innovative Plastics referierten auf dem Mannheimer VDI-Kongress „Kunststoffe im Automobilbau“ über Ergebnisse auf dem Weg zur Kunststoff-Karosserie. Gelingt es Nano- oder anderen Füllstoffen, dafür die Thermoplaste auf Vordermann zu bringen?, war ihr Thema. Dabei bezogen sie sich auf gängige PPE/PA-Blends von Sabic Innovative Plastics.

Die wichtigsten Ergebnisse vorneweg: Sieht man die Frage als einen Wettkampf zwischen Nanomaterialien und alternativen Füllstoffen, so hat die Nanotechnologie vorerst das Rennen verloren. Am besten schneiden augenblicklich alternative Füllstoffe ab. Sie führen zu Verbesserungen bei Steifigkeit, Wärmeausdehnungsverhalten und sogar bei der Zähigkeit, wenn sie im richtigen Füllanteil verwendet werden. Dabei handelt es sich nicht um die so genannten Nanoclays (Schichtsilikat-Füllstoffe im Nanometerbereich), von denen man sich so gute Ergebnisse erhoffte.
Doch damit ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Auch die Nanotechnologie bietet ein großes Potenzial, zumindest dann, wenn sie geballt eingesetzt wird: Anhand von ersten Ergebnissen an Prüfkörpern fanden die Entwickler heraus, dass eine Füllstoff-Kombination aus Nanoclays und Kohlenstoff-Nanoröhrchen (Carbon Nanotubes, CNT) „zu einer weiteren Steigerung des Eigenschaftsniveaus im Vergleich zu alternativen Füllstoffen führt“. Beide Wege – alternative Füllstoffe wie auch CNT/Nanoclays – werden weiterverfolgt, erklärten Dr. Lehner und Dr. Nuss in Mannheim. Im Falle der alternativen Füllstoffe arbeiten die Partner an einer Kommerzialisierung, die Patentierung läuft bereits.
Hintergrund der Anstrengungen ist die Notwendigkeit, Automobile leichter zu machen. Ein besonders hohes Potenzial im Karosserie-Außenbereich bieten thermoplastische Kunststoffe aufgrund ihrer geringen Dichte und der Möglichkeit zur Funktionsintegration. Anwendungen wie Stoßfänger- und Schwellerverkleidungen oder Seitenschutzleisten gibt es bereits in größerer Zahl. Doch der Trend geht verstärkt hin zu großflächigen Kunststoff-Anbauteilen wie Kotflügeln oder Seitentür-Beplankungen. Probleme mit abweichenden Farbtönungen von Kunststoff- und Stahlpartien können die Autobauer dabei kostengünstig umgehen, wenn sie die gesamte Karosserie gemeinsam lackieren. Bei dieser so genannten Online-Lackierung durchlaufen auch die Kunststoffteile den Gesamtprozess einschließlich kathodischer Tauchlackierung (KTL), bei der kurzzeitig Maximaltemperaturen oberhalb 200 °C erreicht werden können – wofür sich die meisten Thermoplaste nicht eignen. Online-fähige Thermoplaste benötigen also neben guten mechanischen Eigenschaften eine extrem hohe Wärmeformbeständigkeit, eine niedrige thermische Längenausdehnung und eine ausreichende elektrische Leitfähigkeit. Denn wenn sie leitfähig sind, eignen sie sich ohne Vorbeschichtung für das elektrostatische Lackieren (ESTA), das die Kosten für Material, Personal und Logistik senkt.
Blends aus Polyphenylenether und Polyamid (PPE/PA) bieten bereits gute Voraussetzungen für die Online-Lackierung. Weitere Optimierungen werden aber angestrebt. Gute Ansatzpunkte dafür versprechen nanoskalige Füllstoffe mit Nanoclays oder CNT, so heißt es in der Fachwelt. Vor diesem Hintergrund initiierte Daimler 2005 ein vom Bundesforschungsministerium BMBF gefördertes Verbundprojekt mit dem Thema „Leichtbau mit thermoplastischen Nanocomposites“. Vier Kooperationspartner beteiligten sich, unter ihnen die Rüsselsheimer Niederlassung von Sabic Innovative Plastics. Referenzmaterial war der Serienwerkstoff Noryl GTX 979, ein PPE/PA-Blend des niederländischen Kunststoff-Herstellers.
Projektziel war es, im Rahmen der Leitinnovation „NanoMobil“ kostengünstige, online-fähige Nanocomposites mit unterschiedlichen Füllstoffen zu entwickeln. Nanoclays sollten mit dem E-Modul die Steifigkeit deutlich erhöhen und zusätzlich die Wärmeausdehnung verringern. Von alternativen Füllstoffen (die keine Produkte der Nanotechnologie sind) erhoffte man sich ebenfalls eine verringerte Wärmeausdehnung. Und CNT sollten die Kunststoffe leitfähig machen, ohne die mechanischen Eigenschaften zu verschlechtern, wie dies die traditionell verwendeten Rußpartikel tun.
Für Daimler stand dabei die Beurteilung der Serientauglichkeit in Vordergrund. Dafür stellte Sabic Innovative Plastics großflächige online-lackierte Demonstratorbauteile und Kunststoff-Kotflügel her, die umfangreichen Tests unterzogen wurden. Zu ihnen zählten mechanische und lacktechnische Prüfungen, funktionelle Pendelschlag- und Kopfaufschlagprüfungen sowie Tests auf Dimensionsstabilität.
Als Ergebnisse legten Lehner und Nuss „Reifegradaussagen“ in einer Bewertungsmatrix vor – ein Hinweis darauf, dass allen Ansätzen ein Potenzial zugetraut wird, selbst wenn sie jetzt nicht weiterverfolgt werden. So zeigten Nanoclay-Verstärkungen der PPE/PA-Blends die erwarteten Verbesserungen, reduzieren aber entgegen den Erwartungen die Zähigkeit deutlich. Hier sehen die Forscher noch Bedarf, nach den Ursachen zu suchen – möglicherweise eine Agglomeratbildung. Sie haben aber Hinweise darauf, dass eine rein physikalische Einarbeitung des Füllmaterials zu besseren Ergebnissen führen könnte als das bisher praktizierte Verfahren, das eine chemische Modifikation einschließt.
Vorerst siegreicher Ansatz ist daher das erwähnte Einarbeiten von alternativem Füllstoff. Damit lässt sich sogar die Zähigkeit steigern, sofern der Anteil bei etwa 10 % liegt (während höhere Anteile die Duktilität wieder reduzieren). An diesem Ansatz wird mit Hochdruck gearbeitet. Parallel verfolgen die Partner den Ansatz der Füllstoff-Kombination aus CNT und Nanoclays weiter, der sich ebenfalls als vielversprechend erwiesen hat, allerdings bisher nur im Labormaßstab.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 5
Ausgabe
5.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de