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Carbonfasern gleiten wie auf einem Luftpolster

Texmer setzt Topocrom-Oberfläche ein: „Vom Ersatzteilhersteller zum Abroll-Spezialisten“
Carbonfasern gleiten wie auf einem Luftpolster

Teebeutel-Fäden, Alu-Fäden für Banknoten oder Taue für Bohrplattformen – diese Produkte werden mit Hilfe von Abroll-Gattern hergestellt. Ein kleines, unscheinbares Unternehmen in Neuhof bei Fulda managt nun auch das schonende Auf- und Abwickeln von Carbonfasern mit Hilfe der Oberfläche Topocrom.

Wir denken beim Begriff Gewebe meist zuerst an Tuch, Samt oder Leinen, welche von der Bekleidungsindustrie weiterverarbeitet werden. Die sogenannten technischen Textilien gehören ebenfalls zu den Geweben. Diese werden aus chemischen Fasern wie zum Beispiel Glas, Kohlenstoff, Metall oder Basalt hergestellt. Technische Textilien dienen als Basis für verschiedenste Werkstoffe.

Die Texmer GmbH & Co. KG hatte ursprünglich die Zielsetzung, Präzisionsteile für die Textilindustrie herzustellen und zu vertreiben. Das Unternehmen war rein auf die Ersatzteilbeschaffung für Textilmaschinen aller Art spezialisiert. Im Laufe der letzten Jahre änderte sich dies. Zunächst wurden Spezialgatter für die Reifencordindustrie gebaut und dann wurde das Portfolio immer stärker erweitert. Heute stellt Texmer Gatter für alle Medien her, die abgerollt oder abgezogen werden können. „Es kamen Kunden auf uns zu und fragten, ob wir auch ein Gatter herstellen können, dass dies und jenes kann“, erinnert sich Bernhard Hahner, Geschäftsführer der Texmer GmbH & Co. KG. Das führte dazu, dass das Portfolio umgekrempelt wurde – heute habe die ursprüngliche Ersatzteilelieferung nur noch einen Anteil von 10 bis 15 % am Gesamtumsatz. So wurde der Bereich „Gatter“ nach und nach weiter ausgebaut.
Bis 2005 lieferte Texmer ausschließlich Spulengatter für den tangentialen Abzug (die Fasern werden abgerollt) zum Weben von Gummiträgergewebe. Heute bietet der 14-Mann-Betrieb auch Gatter mit radialem Abzug (Fasern werden über Kopf abgezogen) an. „90 Prozent unserer Gatter haben nichts mehr mit Autoreifen zu tun“, erklärt der Geschäftsführer. Es handle sich um Gatter, die für neue Produkte gekauft werden. „Oftmals wissen wir nicht, was der Kunde damit macht, erzählt Hahner süffisant. Der Geschäftsführer, der zugleich für den Außendienst verantwortlich ist, erklärt, dass sich der Textilbereich sehr wohl vom Automobil- und Maschinenbau unterscheide. „Es geht bei uns nichts über Erfahrung und den Versuch“.
Denn beispielsweise die Neigung eines Gewebes zur Faltenbildung ist schwer im Voraus berechenbar. Hier sei es immens wichtig, zu wissen, wann und wie viele Fasern bei einer bestimmten Belastung und Biegegrad brechen. Denn Carbonfasern sind extrem empfindlich. „Etwa 60 Prozent der Gatter, die wir momentan liefern, haben irgendetwas mit Kohlefasern zu tun“, stellt Hahner die gestiegene Bedeutung der Verarbeitung des Leichtbau-Materials heraus. Hier entstand ein Problem, denn Kohlefasern sind extrem empfindlich. „Beim Abzug der Kohlefaser ist maximale Materialschonung oberstes Gebot“, so Hahner. So sei es wichtig, so wenig Berührungspunkte wie möglich zu haben. Jedes Gatter wird nach spezifischen Kundenwünschen gebaut und kostet oftmals mehr als die Maschine, die damit bedient wird.
Hier kommt eine spezielle Oberfläche ins Spiel. Ein Kunde von Texmer empfahl „Topocrom“ der Stockacher Topocrom GmbH. Durch Gespräche und einen Vor-Ort-Besuch beschäftigte sich Hahner tiefer mit dieser speziellen Oberflächentechnik. Der mehrschichtige Aufbau dieser Oberfläche ist ein galvanischer und elektrochemischer Beschichtungsprozess um strukturierte Chromschichten zu erzeugen. Früher wurden die Fadenführungen aus Keramik oder geschliffenem Edelstahl eingesetzt. Die vermeintlich glatten Edelstahloberflächen weisen jedoch je nach Korngröße des Schleifmittels mehr oder minder große Grate in der Oberfläche auf. Laut Hahner ist dies fatal für die extrem feinen Carbonfaser-Filamente. Die Carbonfasern bestehen aus 3000 bis 50 000 Filamenten pro Faden. Die Topocrom-Oberfläche verhält sich im Vergleich zu geschliffenen oder Glasperlen-gestrahlten Oberflächen genau umgekehrt. Der mehrschichtige Aufbau verfügt über eine kugelförmige Oberfläche. Dieser Aufbau wird in einem einzigen, kontinuierlichen Arbeitsschritt, dem geschlossenen Reaktorverfahren, abgeschieden. Laut dem schwäbischen Unternehmen erlaubt dieses Verfahren eine sehr viel exaktere Steuerung der Beschichtungsprozesse im Vergleich zu offenen Bädern. Das Verfahren erlaube die Herstellung von strukturierten Topocrom-Schichten in nur einem Arbeitsschritt. „Wir können nun unseren Kunden jede gewünschte Oberfläche bieten“, erklärt Hahner die Vorzüge dieser Beschichtungstechnologie. Auf dieser Topografie, die völlig frei von scharfen Kanten ist, bildet sich ein Luftpolster, welches zu Gleiteffekten führt und so die verschiedenen Fasern nicht beschädigt. Zusätzlich soll es über eine hohe Verschleiß-, Korrosions- und Abrasionsfestigkeit verfügen. Durch Topocrom wurde Kontakt zum Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart aufgenommen und weiterer Rat hinzugeholt bis man sich schließlich für den Einsatz der Topocrom-Oberfläche auf den Abrollspulen der Gatter entschloss.
Eine weitere Entwicklung des kleinen Unternehmens ist eine elektronisch geregelte Abspuleinheit (EGA), die bereits in den Gattern eingesetzt wird. Diese Geräte sind dafür bestimmt, Faden und fadenähnliche Fasern, Garne, Zwirne sowie Carbon-Filamente in Form von Rollen oder Spulen mit definierter Fadenspannung abzuwickeln. Laut Hahner wird unabhängig vom Durchmesser die gewünschte Fadenspannung von jeder EGA nahezu konstant gehalten. Der Clou dieser neuen Spule sei, dass die Kontrolle der Fadenspannung völlig berührungslos abläuft. So würden keine zusätzlichen Auflage- und Reibungspunkte auf dem verwendeten Material entstehen. Durch die integrierte Funktion „Einziehen“ wird der Fadendurchhang beim abrupten Beschleunigen oder Bremsen der einziehenden Anlage verhindert. Die EGA soll abhängig vom Gewicht dabei nicht nur als Bremse fungieren, sondern bei entsprechend niedriger Fadenspannung auch als Antrieb dienen. Die Abspuleinheit kann Geschwindigkeiten von 1 – 180 m/min fahren.
Unternehmer Bernhard Hahner ist seit 25 Jahren selbstständig und immer offen für neue Herausforderungen: „Wenn nicht wir, wer sonst?“ Der Geschäftsführer der Hahner-Unternehmensgruppe, zu der ein Stahlbau-Betrieb, zwei Metallbau-Betriebe und ein Photovoltaikbetrieb gehört, erzählt von den verschiedensten Projekten die durch die Gruppe verwirklicht wurden. Von Spezialpaletten die für den Abwurf über Krisengebieten konstruiert wurden über Transportvorrichtungen für schwere Flugzeugteile bis zur Planung und Realisierung eines Solarcarports. Dieser Carport dient als Stromlieferant, zur Beleuchtung, als Design-Objekt und natürlich als Unterstellmöglichkeit für Elektrofahrzeuge. Rund um Texmer wird es nicht langweilig: Aufgrund der guten Auftragslage ist derzeit ein Umzug auf ein größeres Gelände geplant.
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