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Energieeffizienz: Smart Energy – made in Südchina

Energieeffizienz
China strebt nach Innovationsführerschaft in Zukunftsfeldern

Nach Plänen der chinesischen Regierung soll eine neue Seidenstraße die Welt – auch die Welt der Energie – vernetzten. Zugleich plant das Reich der Mitte konsequent den Ausstieg aus fossiler Energie, peilt elektronisches Wirtschaften an und setzt auf Energieeinsparung. Alle diese Bereiche sind Teil eines engagierten Gesamtkonzepts.

Dr. Thomas Kiefer
Freier Journalist in Aumühle

Das Reich der Mitte bestimmt durch seine schiere Masse immer mehr die globale Zukunft. Die Einkommen haben sich seit Beginn der Reformpolitik Anfang der 1980er-Jahre mehr als verhundertfacht. Dies führt zu mehr Energieverbrauch und mehr Konsum. Mit 1,4 Mrd. Menschen hat China fast dreimal so viele Einwohner wie die EU. Wie im Großraum Peking und Shanghai ist in Guangdong ein Cluster entstanden, in dem durch Hochgeschwindigkeitszüge und ein ausgefeiltes Nahverkehrssystem 100 Mio. Menschen in einem Einzugsgebiet von nur einer Stunde leben. Allein dies entfesselt eine ungeheure Dynamik.

Für Chinas rasanten Aufstieg steht die südchinesische Metropole Shenzhen. Anfang der 80er-Jahre lebten dort etwa 30.000 Menschen in ärmlichen Verhältnissen. Heute liegt die jährliche Wirtschaftsleistung pro Kopf in Shenzhen mit seinen jetzt 13 Mio. Einwohnern bei rund 50.000 US-Dollar. Etwa 4 % der Wirtschaftsleistung fließen in Forschung und Entwicklung. Zum Vergleich: Deutschland investiert 2,9 %. Schon ziehen vom Silicon Valley mehr und mehr Informatiker nach Shenzhen, wo die digitale Zukunft entsteht.

China fährt elektrisch

In der Heimat des weltgrößten Elektroautobauers BYD fahren alle der mehr als 16.000 Stadtbusse elektrisch. Das ist fast die Hälfte aller deutschen Stadtbusse, von denen jedoch erst einzelne in teuren Pilottests elektrisch unterwegs sind. Ab August werden in Shenzhen nur noch vollelektrische Fahrzeuge (EV) neu zugelassen, und bis Jahresende sollen alle Taxis strombetrieben fahren. Die Umstellung ist ohne astronomisch hohe Fördergelder geplant. „In der Anschaffung sind zwar die Elektrobusse viel teurer, aber durch die Aufladung in der Nacht mit günstiger elektrischer Energie haben wir diese Kosten schnell eingefahren und sparen dann mit jedem Kilometer“, erläutert Zhen Jingyu von der Shenzhener Verkehrsbehörde.

„Wir stellen hier in Shenzhen den gesamten Autoverkehr auf alternative Antriebe um. Wenn jedoch nach Feierabend alle Autobesitzer ihre Fahrzeuge in etwa zur gleichen Zeit aufladen möchten, führt das sofort zum Blackout des herkömmlichen Stromsystems. Daher forschen wir hier am intelligenten Stromsystem der Zukunft“, erklärt Alexander Wang, President Wireless des Shenzhener Elektronikriesen Huawei.

Bei der Elektromobilität und Batteriezellenproduktion sind chinesische Konzerne führend und kommen jetzt mit ihrer Technologie nach Europa. Die Contemporary Amperex Technology Co., Ltd. (CATL) aus Ningde baut eine Batteriezellproduktion in Erfurt. Abnehmer ist BMW, der über seinen chinesischen Beteiligungspartner Brilliance auch eine Beteiligung bis zu 64 Mio. Euro an Amperex sondiert. „Es ist ein qualitativ neuer Schritt, wenn ein chinesisches Unternehmen mit einer Technologie kommt, die wir in Europa zurzeit nicht besitzen“, erklärte Kanzlerin Angela Merkel nach ihrem Treffen mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang. Bislang müsse sie zur Kenntnis nehmen, dass es aus der europäischen Industrie keine Bereitschaft gebe, in die Batteriezellfertigung zu investieren, so Merkel. Kritiker warnen vor einer Abhängigkeit von China. Doch sind diese Abhängigkeiten in einer globalen Wirtschaft wechselseitig und auch die finanzielle Beteiligungen über die Kontinente, die nicht nur bei BMW ausgebaut werden, macht aus deutschen und chinesischen Konzernen internationale Unternehmen.

Lokal: Smart City

Die Umstellung auf E-Mobilät ist in Ballungszentren nur in einem leistungsfähigen Smart-City-Konzept zu machen. Mit besseren Mobilitätslösungen wie intelligenter Verkehrssteuerung, mit Echtzeitinformation in einem integrierten Personennahverkehr und Smart Parking lässt sich die tägliche Pendelzeit im weltweiten Durchschnitt um 20 % verringern, so eine Studie von McKinsey. China ist dabei Vorreiter. Nach Daten der Beratungsfirma Deloitte gibt es gegenwärtig weltweit etwa 1000 Smart-City-Pilotprojekte, davon die Hälfte in China. Derzeit bedient etwa der Elektronikriese Huawei mit seinen Smart-City-Lösungen über 120 Städte in mehr als 40 Ländern. In Deutschland vereinbarten die Stadt Duisburg und Huawei eine strategische Zusammenarbeit zur Schaffung der „Rhine Cloud“ und planen, ein Joint Smart City Innovation Center in Duisburg zu errichten. Die Smart-City-Lösung von Huawei beinhaltet Cloud-, Netzwerk- und Plattformtechnologien sowie zuverlässige Sicherheitsfunktionen, so ein Unternehmenssprecher.

Huawei bietet ein sicheres Cloud-Rechenzentrum, das auf einer offenen Architektur basiert. Leitungsgebundene und drahtlose Breitbandnetze ermöglichen einen flächendeckenden Breitbandempfang, damit die Öffentlichkeit überall mühelos auf Dienstleistungen zugreifen kann. Besonders bei offenen Systemen sind der Datenschutz und die Sicherheit des jeweiligen Subsystems entscheidend. Huawei schützt Smart Citys mit sechs Sicherheitsmaßnahmen: Verfahren für die physische Sicherheit, Netzwerk- und Host-Sicherheit sowie für Anwendungs- und Datensicherheit. Sicherheit und Zuverlässigkeit werden mithilfe von proprietären Chipsätzen und Quellcodes gewährleistet.

Die enorme Innovationskraft Huaweis, bei dem fast die Hälfte der 180.000 Mitarbeiter mit Forschungsaufgaben befasst sind, und das im Vorjahr noch vor Siemens die meisten Patente in Europa angemeldet hatte, kommt nicht nur aus dem Unternehmen selbst. Der Elektrokonzern arbeitet auch mit vielen Start-ups zusammen, von denen jedes Jahr in Shenzhen Tausende entstehen. „Diese Jungunternehmen sind meist schneller, flexibler und oft innovativer als unser Riesenkonzern“, betont der Leiter einer Huawei-Entwicklungsabteilung deren Vorteile.

Auch andere chinesische Konzerne haben bereits Smart-City-Konzepte umgesetzt. Auf der Hannover Messe 2018 zeigte ZTE eine Modellstadt, in der alle Energieerzeuger und Energieverbraucher detailliert erfasst sind. „Es geht hier auch um Umweltschutz, um saubere Luft. Wenn wir beispielsweise in Echtzeit sehen, dass ein Kraftwerk für Grenzüberschreitungen der Luftschadstoffe verantwortlich ist, können wir das von hier aus der Zentrale abschalten“, erklärte ein Techniker von ZTE.

Global: Neue Seidenstraße

Dieses Rennen um Energieeinsparungen gleicht jedoch dem Wettlauf zwischen Fuchs und Hase. Zukünftige Energiespitzen bei einer noch einmal um mehrere Milliarden Menschen wachsenden Erdbevölkerung sind damit nicht auszugleichen. „Wir brauchen dazu ein globales Stromnetz“, erklärt Liu Zhenya, Chef der State Grid Corporation, dem weltweit zweitgrößten Konzern. Innerhalb des großen chinesischen Staatsgebietes haben die heimischen Energiefirmen in kurzer Zeit Gewaltiges geleistet, die Energieübertragung aus den wind- und solarreichen Landesteilen effizient aufgebaut und die Übertragungssysteme digitalisiert. Zudem ist der Weg in eine CO2-freie Wirtschaft vorgegeben. Der Kohleverbrauch ist im vergangenen Jahr nach vorläufigen Zahlen der amtlichen Statistik um weitere 4,7 % zurückgegangen. Die eingesparte Menge entspricht um einiges mehr als der gesamte Kohlebedarf von Großbritannien.

Jetzt möchten die chinesischen Konzerne zusammen mit ausländischen Partnern ein interkontinentales Stromnetz entwickeln und in den Ländern entlang der Seidenstraße effiziente und ökologische Energiesysteme schaffen. Dies soll in drei Schritten geschehen: Bis 2020 sollen die regionalen Netze, bis 2030 die erneuerbaren Energien und bis 2050 schließlich die interkontinentalen Verbindungen ausgebaut werden. Chinas Präsident Xi Jingping hatte bereits im September 2015 vor den Vereinten Nationen für ein globales Energienetz geworben. China wolle dabei keinesfalls die Energiewelt dominieren. Der Plan sei notwendig für eine bessere Wohlstandsverteilung und auch ein Beitrag zum Weltfrieden, so Xi. Der Besitz eines weltweiten Stromnetzes würde die State Grid Corporation nicht interessieren, ergänzte Liu Zhenya.

Seit 2013 haben sich die State Grid Corporation (SGCC) sowie andere chinesische Firmen jedoch mit rund 123 Mrd. US-Dollar in Stromnetze weltweit eingekauft, berichtet das Washingtoner Beratungsunternehmen RWR Advisory. Dabei sei die SGCC unter anderem in Chile, Brasilien, Russland, Portugal, Nigeria, Südafrika, Pakistan, Australien und auf den Philippinen aktiv geworden.

Auch in Deutschland strebte der Konzern eine Beteiligung an und versuchte, 20 % des Berliner Übertragungsnetzbetreibers 50 Hertz zu übernehmen. Nach Intervention der Bundesregierung wird jetzt die staatliche Förderbank KfW „aus sicherheitspolitischen Erwägungen“ den 20-%-Anteil übernehmen.

„Langsam wachen viele Länder auf und stellen fest, dass die Chinesen nichts zu verschenken haben. Die fragen sich jetzt: Bedeutet one belt, one road auch gleichzeitig one way?“, erklärt Jörg Wuttke, der frühere Präsident der EU-Handelskammer. Kurzfristig sollen Überkapazitäten der chinesischen Baukonzerne einfach exportiert werden, sagt Jan Gaspers vom Mercator Institut für China-Studien (Merics). „China will auch wirtschaftliche Abhängigkeit anderer Staaten schaffen und damit politische Abhängigkeit erreichen“, sieht Gaspers die langfristige Strategie. Jedoch könnten EU-Staaten in Zukunft von Seidenstraßen-Projekten auch profitieren, etwa durch eine Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern auf Drittmärkten, gibt das Mercator Institut zu bedenken.

Chancen und Risiken

Die Machtposition ist jedoch durch die schiere Einwohnerzahl und den steigenden Wohlstand Chinas gegeben. Das Problem ist nicht, dass China diese gewaltigen Pläne hegt, sondern dass Europa kaum einen Plan für die Zukunft einer strombasierten, CO2-freien Energieversorgung hat und nicht einheitlich auftritt. Viele europäische Konzerne verlegen bereits ihre Forschungszentren für Zukunftstechniken nach Südchina.

Die globalen Konzerne sondieren jetzt trotz aller Kritik ihre Chancen für Projekte innerhalb der Seidenstraßen-Initiative. Siemens unterzeichnete im Rahmen des „Belt and Road International Summit“ in Peking mehr als zehn Kooperationsvereinbarungen mit chinesischen Partnern. „Als langjähriger und etablierter Partner Chinas und seiner Industriezweige unterstützen wir die Belt-and-Road-Initiative und leisten nun einen weiteren soliden Beitrag zur umfassenden Fortentwicklung unseres Engagements“, sagte Siemens-Chef Joe Kaeser bei der Unterzeichnung der Abkommen in Peking.

Damit zählte Siemens zu den ersten Weltkonzernen, die eine Kooperation mit chinesischen EPC-Anbietern eingingen, die international Fuß fassen wollten. „Die zentralen Themen der Belt-and-Road-Initiative sind Infrastruktur und der symbolische Brückenschlag. Ein Brückenschlag, der Gesellschaften, Volkswirtschaften und Kulturen verbindet, aber auch die physische Infrastruktur und die digitale Welt“, sagte Cedrik Neike, Mitglied des Vorstands der Siemens AG.

Grundsätzlich ist die chinesische Initiative ein Thema, das für ganz Deutschland große Bedeutung hat, erklärt Dr. Volker Treier, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des DIHK: „Die Belt-and-Road-Initiative hat weit über Asien hinaus einen Modernisierungsschub ausgelöst. In nur zehn Jahren werden 90 % des weltweiten Wachstums außerhalb Europas stattfinden. Eine Beteiligung an Projekten im Rahmen der Neuen Seidenstraße zwischen Peking, Duisburg, Jakarta und Dar es Salaam sollte für deutsche Unternehmen kurzfristig interessant sein. Mittel- bis langfristig rückt dann auch die Erschließung dieser neu verbundenen Märkte in den Fokus.“

„Von einem größeren Kuchen können sich alle ein größeres Stück abschneiden“, versucht der Leiter der Wirtschaftsabteilung der chinesischen Botschaft, Wang Weidong, Bedenken zu zerstreuen, China strebe eine Vormachtstellung an. Die Rechnung ging in den vergangenen Jahren auf. Ein hundertmal höheres Pro-Kopf-Einkommen schuf für viele deutsche Konzerne erst einen nennenswerten Markt in China. Das Konzept, Entwicklung nach Plan durch Infrastruktur, möchte China auf andere Länder übertragen. Dies kann jedoch nicht mit CO2-emitierender Energie erfolgen. Auch im Alleingang lässt sich dies nicht realisieren. Eine gute Zukunft ist nicht westlich oder asiatisch. Sie ist global und vernetzt.

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