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Der Maschinenbau kann Composites…

Branchenverband VDMA positioniert sich für Faserverbund-Komponenten
Der Maschinenbau kann Composites…

Maschinenelemente | …und braucht sie auch, nicht nur um Trägheitsmomente zu reduzieren. Das ist das klare Votum einer VDMA-Tagung, die neben Vorteilen auch die Schwierigkeiten beleuchtete. §

Autor: Olaf Stauß

Mit Carbonfaser-verstärktem Kunststoff (CFK) lasse sich um 80 % bis 65 % leichter bauen als mit Stahl. „Und die 65 Prozent sind unserer Erfahrung nach immer zu schaffen“, sagte Professor Helmut Schürmann auf der VDMA-Tagung „Maschinenkomponenten aus Composites“. Der Leiter des Fachgebiets „Konstruktiver Leichtbau und Bauweisen“ (KLuB) der TU Darmstadt setzte damit gleich zu Beginn der Maschinenbauer-Konferenz ein Signal für das hohe Potenzial von Composite-Komponenten. Doch ihm geht es um mehr als nur um Gewichtseinsparung.

Schürmann präsentierte die Konstruktion einer CFK-Spindelachse im Vergleich zu einer Stahlausführung mit einer um 55 % niedrigeren Masse und einem um 43 % verringerten Massenträgheitsmoment. Hinzu kommt: Die Composite-Variante dehnt sich nur noch ein Drittel so stark thermisch aus und ihre Eigenfrequenz liegt um 56 % höher – die Maschine gewinnt an Präzision und/oder Dynamik.
Um die Chancen durch die neue Werkstoffgattung zu verdeutlichen, führte Schürmann eine Parade weiterer Anwendungen vor. Sie gipfelt in dem Hubschrauber Eurocopter EC 135, der seit 1996 als erster mit einem gelenk- und lagerlosen Rotorkopf fliegt. Sämtliche Gelenkfunktionen ebenso wie das frühere Drehlager zur Blattwinkelverstellung übernimmt bei diesem Rotorsystem der so genannte Flexbeam. Dabei handelt es sich, vereinfacht gesagt, um eine Art Biegegelenk aus Glasfaser-verstärktem Kunststoff (GFK). Der Flexbeam ersetzt den höchst aufwändigen klassischen Rotorkopf mit Gelenken, Lager, Steuerhebeln und -stangen sowie Hydraulikelementen. Er macht den Hubschrauber nicht nur leichter, sondern auch wendiger. Unter anderem spart die GFK-Konstruktion die 60 kg des Titanrotorkopfes ein, der im älteren Modell BO 105 noch eingesetzt wurde.
Konstrukteurstalente sind gefragt
Der Rotorkopf ist in der Tat ein Paradebeispiel, an dem die Chancen und Schwierigkeiten des Composite-Einsatzes deutlich werden, gerade auch für den Maschinenbau: Die Faserverbundtechnik hat das Zeug, die Leistungsfähigkeit von Komponenten dramatisch zu verbessern. Sie kann die Konstruktion und Fertigung einer Komponente enorm vereinfachen – nicht aber den Aufwand für ihre Entwicklung. Die Konstruktion des Flexbeam etwa ist ein Geniestreich. Solche Entwicklungen setzen großes konstruktives Geschick und profundes Know-how voraus. Ein Punkt, auf den Prof. Schürmann immer wieder hinweist: „Nur mit einer optimalen Konstruktion können wir das Beste aus dem Material holen. Und dafür brauchen wir Konstruktionstalente. Dies kommt mir in der augenblicklichen Diskussion zu kurz.“
Dass Kostenreduktionen von rund 40 % durch verbesserte automatisierte Fertigungsprozesse zu erreichen sind (laut einer für den VDMA angefertigten Roland-Berger-Studie), zweifelt Schürmann nicht an. Mit gutem Grund forciert der Automobilbau derzeit die Prozessentwicklung für Serienfertigungen mit großen Stückzahlen. Stückzahlen allerdings, die der Maschinenbau nicht hat.
Immer geht es dabei um den Leichtbau. Weitere Nutzenaspekte, die für den Maschinenbau ebenso interessant sind, rücken aus dem Scheinwerferlicht und werden gerne übersehen. Sie sind auch seltener ein Forschungsthema. Doch gerade für sie gibt es außerhalb der Zwänge großer Serienfertigungen eine gute Aussicht auf erfolgreiche konstruktive Umsetzung. Eine Chance für den Maschinenbau: Wo versierte Konstrukteure die Sache in die Hand nehmen, können sie mit Composites erstaunliche Maschinenkomponenten erzielen. Die Beispiele, die Schürmann und seine aus dem Maschinenbau angereisten Ingenieurskollegen präsentierten, gewährten vielversprechende Einblicke und ließen die VDMA-Tagung zum Plädoyer für „Maschinenkomponenten aus Composites“ werden.
„Der Business-Case für die Anwendung von CFK im Maschinen- und Anlagenbau erschließt sich nicht auf den ersten Blick, es lohnt sich jedoch eine genaue Analyse“, sagte etwa Dr. Markus Lang, Geschäftsführer von Voith Composites, Tochter des Papiermaschinenherstellers. Neben Leichtbau und Steifigkeit nennt er Korrosionsbeständigkeit, einstellbare Wärmeausdehung, elektrische Leitfähigkeit oder Isolation, Abrasionsbeständigkeit, Integrieren von intelligenten Komponenten und Gradienteneigenschaften als Zielkriterien, die sich mit Composites erfüllen lassen.
Lang berichtet zum Beispiel von einer Walze in der Papierherstellung, die gegen einen 120 °C heißen Trocknungszylinder mit 5 bis 6 m Durchmesser läuft. Da dieser sich verformt, muss sich die Walze anpassen. Die Voithsche „Flex Walze“ schafft dies durch ihren präzisen und zugleich flexiblen GFK-Mantel mit innen laufender Hydraulikaktorik. Eine andere Voith-Anwendung sind präzise Drahtführungsrollen aus Carbon, die fast gar keine Temperaturausdehnung aufweisen. Sie dienen dazu, die Schneiddrähte in Wafer-Schneidanlagen exakt aufzuspannen.
Die Karl Mayer Textilmaschinenfabrik baut CFK-Komponenten bereits seit 2004 in eigene Maschinen ein. Das erste Bauteil, ein schnell oszillierender Maschinenhebel, halbierte die Massenträgheit der zuvor verwendeten Aluminium-Komponente – und war nicht einmal teurer. Anstelle eines teuren Sonderlagers kommt ein Standardlager zum Einsatz, dessen niedrigerer Preis die CFK-Mehrkosten kompensiert. Eine weitere Komponente aus CFK, ein Nadelbarren, steigert seit 2007 die Produktivität von Karl-Mayer-Textilmaschinen um 15 %, weil sie den erlaubten Temperatureinsatzbereich nach oben und unten um je 5 K erweitert. Der Textilmaschinenbauer gehört zu den Pionieren der Faserverbundtechnik. „Es gibt viele Wege zum Werkstoff. Denn der Werkstoff entsteht beim Herstellen des Bauteils“, erklärt Tilman Richers, Vertriebsleiter Composite Parts. Ein Kernsatz, der Prof. Schürmanns Ruf nach mehr Composites-bewanderten Konstrukteuren unterstreicht. Denn als Ausgangsmaterial hat der Entwickler keinen fertigen Werkstoff zur Verfügung, sondern diverse Typen von Faserwerkstoffen und Matrixkunststoffen zur Auswahl. Daraus konzipiert er ein Bauteil – und damit zugleich den Prozess, der Fasern und Matrix zum Bauteil und Werkstoff fügt.
So hat Karl Mayer das „Schlauchblasverfahren“ entwickelt, um CFK-Profile herzustellen. Ein Schlauch presst die Laminate unter Druck an die Formwände. Auf diese Weise entstehen die Profile nacharbeitsfrei mit direkt aus CFK „gebackenen“ Nuten und Kammern, inklusive Fügeelementen für Anbauteile und bei Bedarf mit integrierten Aluminium-Profilschienen. In einem weiteren Entwicklungsschritt ist es gelungen, Funktionsschichten in die Laminate einzubauen, um das an sich schon sehr gute Dämpfungsverhalten der CFK-Profile noch weiter zu verbessern.
Der Einstieg in die Composites-Technik ist für jedes Maschinenbau-Unternehmen eine Herausforderung. Karl Mayer arbeitete zunächst mit externen Know-how-Trägern zusammen und ließ extern produzieren, bevor die Technik dann ins Haus geholt wurde. „Das können wir für den Einstieg auch nur empfehlen“, sagt Richers. Heute bietet sich das Unternehmen selbst als Dienstleister an. Das liegt ganz auf der Linie von Prof. Schürmann. Er schlägt den Unternehmen vor, die Konstrukteure frühzeitig für das Thema zu begeistern und zu schulen und parallel mit der Hilfe von Externen in die Faserverbundtechnik einzusteigen.
Eine Garantie für einen erfolgreichen Einstieg gibt es nicht. Trumpf führte zum Beispiel eine Potenzialanalyse bei Laserschneidanlagen durch, fand dabei aber nur wenig sinnvolle Ansatzpunkte. Allerdings lautete die Vorgabe, die Konstruktionsumgebung dafür nicht zu verändern.
Spannmittel-Hersteller Hainbuch hingegen erkannte die Konstruktion der eigenen Drehfutter als „ideal“ für Carbon, weil die Kraftumlenkung über einen Spannhebel ohne eigenes Getriebe erfolgt. Die Marbacher entwickelten CFK-Spannfutter, die das bisherige Massenträgheitsmoment um mehr als die Hälfte verringern. Sie lassen sich sogar 1:1 eintauschen. Zum eingesparten Gewicht kommen weitere Vorteile hinzu.
Bei großen Serienfertigungen amortisieren sich die Carbon-Spannfutter schnell aufgrund der kürzeren Hochlaufzeit. Dennoch scheuen viele Kunden den doppelt so hohen Preis – auch solche Probleme muss die neue Technologie bewältigen. Hainbuch sucht jetzt nach Wegen, den Herstellprozess zu automatisieren, um mit niedrigeren Preisen bessere Verkaufsargumente zu haben. •
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