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Die CFK-Nachfrage wächst – die Branche braucht Standards

Dachorganisationen und Verbände ringen um gemeinsame Anstrengungen der Industrie
Die CFK-Nachfrage wächst – die Branche braucht Standards

Der Markt für Faserverbundwerkstoffe wächst jährlich um rund 6 %. Beim Hightech-Material CFK ist sogar von 13 % und mehr die Rede. Doch als zunehmend hinderlich wirkt sich das Fehlen von Standards und Normen aus. Branchenvertreter sind alarmiert und packen das Problem jetzt an.

Nicht, dass es keine Richtwerte und Designempfehlungen für Carbonfaser-verstärkte Kunststoffe (CFK) gäbe. Doch sie sind vielfach das Know-how von Firmen, nur speziellen Anwendern zugänglich oder untereinander nicht vergleichbar.

Professor Ralph Cuntze, 73, befasst sich in der Industrie seit 1970 mit CFK. Als Co-Autor und Obmann hat er an zahlreichen Standardisierungsvorhaben mitgearbeitet. Zum Beispiel am „Handbuch für Strukturberechnung“ (HSB) der Luftfahrt, „mit dem wir uns vor Boeing nicht verstecken müssen“, wie er sagt. Doch das HSB zielt primär auf luftfahrtspezifische Anwendungen und Verbundwerkstoffe, es ist nicht allgemein zugänglich. Und selbst die Weiterentwicklung dieses wichtigen Standardisierungswerks wird schwieriger, weil die Unternehmen sich aus Kosten- und Wettbewerbsgründen zunehmend zurückhalten.
Für ein „robustes Design“ sind Standards jedoch eine Voraussetzung, erklärt Ralph Cuntze. Mit seiner Expertise für Werkstoffmodellierung und -simulation engagiert er sich als Leiter zweier Engineering-Arbeitskreise des Carbon Composites e.V. (CCeV) – dem CFK-Netzwerk, dem inzwischen fast 200 Mitglieder aus Wirtschaft und Forschung angehören. „Damit wir verlässlich entwerfen und dimensionieren können, benötigen wir Vereinbarungen entlang der gesamten Prozesskette“, betont er. „Das gilt nicht erst für die Produktion, sondern beginnt ganz vorne bei den Fasern und Preforms und gilt ebenso für die Vorschriften zur Werkstoffprüfung.“
Sonst könne es beispielsweise passieren, dass teure Fertigungen zu Ausschuss führen, nur weil der Faserhalbzeug-Produzent den Lieferanten wechselte – bei vermeintlich identischen Faser-Kennwerten. Oder dass eine Faser im Harzverbund plötzlich ein anderes Verhalten zeigt, nur weil der Lieferant die „Schlichte“ modifizierte, den Überzug. Alles Erfahrungen, die aus der Praxis stammen.
Sollen der Engineering-Aufwand und mit ihm die CFK-Prozesskosten sinken, so braucht es ein Mehr an Standardisierung. So sieht es Prof. Cuntze. Und auch Patrick Markert, Geschäftsstellenleiter des Kompetenznetzwerks CFK-Valley Stade e.V., sieht es so. „Wir haben aus vielen Einzelgesprächen herausgehört, dass die Industrie hier einen Bedarf identifiziert“, sagt Markert. Unternehmen sehen sich meist bei Design, Auslegung und Berechnung von Komposits vor Herausforderungen gestellt, weil es dafür wenig Normen gebe. Ein Problem, obwohl in Stade genügend Know-how vorhanden ist. Das CFK-Valley arbeitet unter anderem eng mit Airbus zusammen. „Dort ist man sehr weit, weil in den letzten 30 Jahren sehr aktiv konzerninterne, transnationale Normen erarbeitet wurden“, betont Markert. „Aber darauf kann nur zugreifen, wer in einem vertraglichen Zulieferverhältnis mit Airbus steht.“
Wissenschaftler, die selbst an der Weiterentwicklung der CFK-Prozesse mitarbeiten, können mit der dünnen Normenlage leben. Denn die Technologien verändern sich schnell. Zur Zeit liegt der Fokus auf der Automatisierung. „Bestimmte Prozesse sind einfach noch nicht so weit, dass sie als standardisiert betrachtet werden könnten“, sagt Martina Bulat. Sie promoviert am Institut für Flugzeugbau (IFB) der Uni Stuttgart im Bereich CFK. Mit einem Atemzug kann sie erklären, wie komplex die Verfahren sind: „Es gibt ganz verschiedene Faserarchitekturen. Die Anzahl der Lagen, die Schlichte, der Fasertyp und schließlich das gewählte Harzsystem variieren je nach Anwendungsfall.“ Und an allen Ecken und Ende wird geforscht und entwickelt. Das vereinfacht Standardisierungsbemühungen nicht gerade. Dessen ungeachtet engagiert sich die Forscherin dafür, die CFK-Technologie auf ein breites Fundament zu stellen. Nebenberuflich organisiert sie im Auftrag des CCeV eine hochschulübergreifende Trainee-Ausbildung von Ingenieurstudenten.
Es gibt genügend Gründe, warum Vereinbarungen und Normen nur schleppend voran kommen: Die Technologie verändert sich schnell, die Akteure sind mit der Weiterentwicklung beschäftigt, der Wettbewerbsgedanke rückt in den Vordergrund und für den Standardisierungsprozess müssten die Firmen nicht zuletzt Zeit und Geld investieren.
Doch auch das Fehlen von Standards kostet Geld und hemmt die Entwicklung. Das zeigt ein Blick in die industrielle Praxis. Die CG Tec GmbH in Spalt produziert Rohre, Stäbe, Profile, Platten und sogar maßgeschneiderte Antriebswellen aus CFK, GFK und anderen faserverstärkten Kunststoffen. Als Technologien kommen die Pultrusion, die Prepreg-Wickeltechnik und die Presstechnik zum Einsatz. Dass Rohre und Stäbe teils auch ab Lager erhältlich sind, ist außergewöhnlich in der CFK-Branche. Die dafür zum Download angebotenen Datenblätter sieht Geschäftsführer Oliver Kipf ein Stück weit als ein Erfolgsgeheimnis – obgleich er für das exakte Einhalten der Werte nicht garantiert. „Wir können nur überschlägige Werte abliefern, weil es immer zu Schwankungen der Fasern und Faservolumenanteile kommt.“ Dass die Daten bisher trotzdem immer stimmten, erreicht Kipf so: Er lässt Prepregs und Fasern jedes Lieferanten einmalig durch ein Prüflabor zertifizieren und addiert einen Sicherheitszuschlag, um auf der sicheren Seite zu sein. Durch den Sicherheitszuschlag wird natürlich Material vergeudet. Kipf: „Hätten wir verlässlichere Materialkennwerte, müssten wir nicht überdimensionieren.“
Die Hufschmied Zerspanungssysteme GmbH in Bobingen steht am Ende der Prozesskette. Sie liefert Präzisionswerkzeuge für CFK-Bauteile – um sie passgenau zu machen, Nuten und Löcher zu setzen. Ralph Hufschmied erhält selten zuverlässige Angaben darüber, mit welcher Art von Composites-Material er es eigentlich zu tun hat und welche Komponenten es enthält. Entweder rückt der Kunde nicht damit heraus oder es bleibt unklar, welche Prüfmethoden hinter den mitgelieferten Werten stecken. Also muss gemessen werden. „Wir haben mehrere Mitarbeiter, die täglich Proben nehmen nach intern standardisierten Verfahren – und bei jedem Bauteil fangen wir mehr oder weniger von vorne an.“ Den Aufwand schätzt der Firmenchef auf rund ein Viertel des gesamten Arbeitspensums – ein Aufwand, „der sich mit vernünftigen Standards sicher halbieren ließe.“
Und wie? „Könnte man CFK wenigstens in Werkstoffklassen einteilen, dann würden wir unsere Werkzeuge darauf hin trimmen“, meint Ralph Hufschmied. Eine Idee, die er im Hinterkopf behalten wird, wenn er demnächst die neue Arbeitsgruppe „Standard und Normen“ innerhalb von MAI Carbon leitet.
MAI Carbon ist eine Initiative des CCeV und hat vor einem Jahr den Zuschlag des Bundes zum Spitzencluster erhalten. Für die beteiligten Unternehmen und Institute bedeutet dies, dass sie an geförderten Projekten teilnehmen können, die dem übergeordneten Ziel dienen, den Werkstoff CFK großserienreif zu machen. Die Zielgebundenheit übt Druck aus, drängende Aufgaben abzuarbeiten. Rainer Kehrle, Geschäftsführer von MAI Carbon und Clustermanager, sieht daher gute Chancen, „Cluster-Standards“ zu etablieren, die später einmal zur Vorlage für Normen werden könnten. Die interne Arbeitsgruppe will jedoch ganz ohne Fördermittel auskommen. „In der 1. Phase sammeln wir, welche Kennwerte und Daten wir entlang der Prozesskette benötigen und welche Methodiken wir vereinheitlichen sollten“, erläutert Ralph Hufschmied. In der 2. Phase beginnt dann die eigentliche, nicht-triviale Standardisierungsarbeit.
Wie Standards aussehen könnten, erläutert Kehrle anhand von Wareneingangs- und Warenausgangsprüfungen, wie sie in der Luftfahrttechnik üblich sind: Faserhalbzeug-Anbieter könnten die Güte ihres Produktes beispielsweise dadurch nachweisen, dass ihr Halbzeug mit einem definierten Referenzharz eine bestimmte Leistungsklasse erreicht. Für die Wahl des Harzsystems durch den Kunden hätte dies keine Bedeutung. Umgekehrt könnten auch die Anbieter von Harzsystemen verfahren. Eventuell werden sich auch kombinierte Faser-Matrix-Systeme über Leistungsklassen spezifizieren lassen – so ähnlich, wie Hufschmied eine Werkstoffklassifizierung im Blick auf die Zerspanbarkeit vorschlägt.
Ein Nachteil dieser Cluster-Standards könnte sein, dass sie von den Bedürfnissen der Cluster-Mitglieder geprägt sind und zunächst nur für MAI Carbon gelten. Deswegen sind noch weitere Initiativen am Start: Auf der Messe Composites Europe im Oktober gab es ein einvernehmliches Gespräch zwischen Vertretern aller Composites-Dachorganisationen, berichtet Patrick Markert vom CFK-Valley Stade. „Wir sind gerade dabei, zusammen mit AVK, VDMA und CCeV unsere Mitglieder zu Normungsaktivitäten zu befragen“, so Markert. Im Februar wurde dazu ein Fragebogen verschickt, der auch dem Industrieanzeiger vorliegt. Markert erhofft sich davon nicht zuletzt ein „starkes Commitment aus der Industrie, dass man sich beteiligt“. Man darf gespannt sein.
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