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Die Mechatronik hat eine Heimat: Linz

Oberösterreichisches Mechatronik-Cluster vernetzt 323 Firmen und Institute
Die Mechatronik hat eine Heimat: Linz

Gefühlvolle Roboter, Radar-Abstandssensoren, lagerlose Motoren, Automation, Energy Harvester: Aus Oberösterreich sprudeln mechatronische Erfindungen. Entscheidend dafür ist die Uni als Keimzelle und ein sehr reges Netzwerk.

Wer in Passau die Grenze überquert und südöstlich in Richtung Alpen fährt, braucht zwei Stunden, bis es richtig aufwärts geht. Technologisch aber ist er gleich auf der Höhe. Oberösterreich ist spitze in Technologien. Den Slogan „Arbeiten wo andere Urlaub machen“ braucht das Bundesland nicht zu bemühen, um Industrie anzulocken. Es meldet mit Abstand die meisten Patente in Österreich an – 2010 waren es 814 vor Wien mit 534. Oberösterreich stellt 17 % der Bevölkerung, hat aber einen Anteil von 25 % an der Industrieproduktion und von 27 % am Export. Und es bietet eine Infrastruktur, die Unternehmer zum Investieren einlädt. „Will sich ein Betrieb schnell ansiedeln, dauert es von den ersten Gesprächen bis zum Spatenstich drei Monate“, sagt Dr. Werner Auer, Prokurist der Technologie- und Marketinggesellschaft TMG. Für solche Zwecke hat sich die TMG durch Optionsverträge eine Gesamtfläche von etwa 275 ha reserviert, die ohne langes Verhandeln genutzt werden könne.

Oberösterreich ist traditionell Industrieland. Zum Mechatronik-Standort ist es aber in erstaunlich kurzer Zeit geworden. Vor 20 Jahren richtete die Johannes Kepler Universität Linz (JKU) den ersten Mechatronik-Vollstudiengang überhaupt ein. 2003 wurde der Mechatronik-Cluster mit 20 Partnern gegründet, heute umfasst er 323 Mitglieder – darunter 39 Institute, der Rest sind Unternehmen. Was ist das Geheimnis dieser Entwicklung? Einen Hinweis gibt die Erfolgsgeschichte der fünf Jahre jungen FerRobotics GmbH aus Linz. Mit ihren gerade mal 15 Mitarbeitern hat sie den dritten Platz beim Robotics Award 2011 der Hannover Messe belegt.
Befragt nach der preisgekrönten Entwicklung, zeigt Dr. Ronald Naderer im Labor in Linz auf einen Stäubli-Roboter, der den neuesten Stand der Technik repräsentiert. „Dieser Roboter hat nur ein Problem“, erklärt der Geschäftsführer, „er hat kein Gefühl.“ Das bekommt er durch den „aktiven Kontaktflansch“ von FerRobotics. Der „ACF“ wird zwischen Roboter und Werkzeug eingebaut. Beim Anfahren einer Oberfläche spürt er den Widerstand und reagiert darauf kraftgeregelt mit internen Pneumatikzylindern. So kann der Robot schleifen, polieren, drücken oder weiche Gegenstände wie Würste oder Fasergewebe gefühlvoll anfassen, fast wie ein Mensch. „Die Roboteranbieter sehen in unserem kontaktsensitiven Tuning-Kit die ersehnte Lösung für die Automatisierung von Handarbeit“, konstatiert Naderer. Was die Lösung leicht zugänglich macht: Die ACF-Steuerung muss nicht in die Robotersteuerung integriert werden. Sie operiert autark.
Interessanterweise liefert die Steuerungselektronik für den ACF die Keba AG, ebenfalls aus Linz und ein Gründungsmitglied des Mechatronik-Clusters (MC). Und auch mindestens einen potenziellen Kunden hat FerRobotics über das Netzwerk gefunden. Der MC organisierte ein Kooperationsprojekt mit FerRobotics, der JKU und der etwa 60 km entfernten SPG GmbH. Ziel war der Bau eines Entladeroboters, der weiche und bis zu 8 m lange, unterschiedliche Kunststoffprofile aus Extrusionsmaschinen entladen und automatisch palettieren kann – eine Aufgabe, die ohne Greifergefühl nicht zu erledigen ist.
Nicht weniger interessant ist, dass die FerRobotics GmbH ein Spin-off der JKU ist. Ihre innovativen Ideen stammen also aus dem Dunstkreis der Uni. Zwei wichtige Erfolgsfaktoren für den Mechatronik-Standort OÖ werden daran deutlich: aktive Netzwerk-Arbeit und universitäre Forschung als Keimzelle für Innovationen und Ausgründungen. Diese Funktion erfüllt die Uni, weil sie in der Vergangenheit zielstrebig Brücken zur Industrie geschlagen hat.
So ist die JKU Mitbegründerin der Linz Center of Mechatronics (LCM) GmbH und zugleich ihr Mehrheitseigner. Die 80 Mitarbeiter des LCM führen jährlich rund 100 Projekte mit Kunden durch, vom KMU bis zum Großkonzern. Sie begleiten die Entwicklungen von der Idee bis zur Übergabe in die Serie, „was den Vorteil hat, dass wir beim Serienstart auch gleich die Verbesserungspotenziale kennenlernen“, wie LCM-Chef Gerald Schatz anmerkt.
Seit 2007 erfährt das LCM eine Ergänzung durch die Grundlagenforschung. Und zwar über das Austrian Center of Competence in Mechatronics (ACCM), gegründet als Tochtergesellschaft. Das ACCM beschäftigt 160 Mitarbeiter und wird zu 50 % gefördert. Für Firmenpartner des LCM gilt die Regel: Sie müssen einen Beitrag zur Finanzierung des ACCM leisten. So befruchten sich grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung gegenseitig. Aus dem Konstrukt LCM/ACCM entspringen bahnbrechende Entwicklungen. Aktuelle Beispiele sind ein „Energy Harvester“, der Strom aus Vibrationen generiert und den die Bahn nutzen will, um eine Art Reiseprotokolle für ihre Frachtgüter zu erstellen. Oder lagerlose Motoren oder adaptronische Systeme zur aktiven Schwingungsdämpfung.
Auch die Linzer F+E-Firmen, die heute mehrheitlich zu Infineon (DICE) und Intel (DMCE) gehören, sind ursprünglich ein Spin-off der Johannes Kepler Universität. Die DICE GmbH entwickelt miniaturisierte Sende- und Empfangschips für künftige Radar-Abstandssensoren in Mittelklassefahrzeugen. Die DMCE GmbH konzipiert Transceiver-Mikrochips für Mobilfunk-Telefone, die in millionenfacher Stückzahl in alle Welt gehen. Beide rekrutieren ihr Personal primär von der JKU. „Sonst ließe sich das gar nicht organisieren“, räumt DMCE-Geschäftsführer Martin Wahl ein.
Wirkt die Hochschullandschaft als Keimzelle für den Standort OÖ, so ist der Mechatronik-Cluster (MC) ein unverzichtbarer Moderator. Das siebenköpfige MC-Team, angestellt bei der Clusterland Oberösterreich GmbH, netzwerkt. Es initiiert Themen, Projekte, Workshops, Foren, Kongresse und besucht die Mitglieder. Bisher hat es 44 Kooperationsprojekte auf den Weg gebracht. Und der MC wächst. „Wir wollen uns vor allem qualitativ erweitern und zum Kooperations-Kompetenzzentrum in Österreich werden“, sagt Cluster-Manager Christian Altmann. Eine erste Kooperation hat er vor einem Jahr mit dem MC Niederösterreich geschlossen.
Ihre großen Erfolge erzielen Cluster-Arbeiter oft auf der Beziehungsebene. Wer nach Linz fährt, kann etwas davon erleben. Nennen wir es „Cluster-Erlebnisse“. In zentralen Hotels auf andere Cluster-Gäste zu treffen, ist leicht möglich. Zum Beispiel Dr. Clement De Meersman vom belgischen Kunststoff-Netzwerk, das seit einem Jahr existiert. Er kommt nach Linz, um sich Anregungen zu holen – und damit stellt er der hiesigen Arbeit ein erstklassiges Zeugnis aus. Die Belgier starten jetzt erste Projekte. Eines haben sie schon umgesetzt: Extrudierte Dachziegel mit integrierter Photovoltaik, die durchs Verlegen wie von selbst verschaltet wird ( www.smartroof.be). Chapeau!
Cluster-Erlebnis zwei. Altmann erzählt von einem „Ideentag“, den der MC für Kuka Austria organisiert hat. Das Event diente dem Wissens- und Gedankenaustausch mit Insidern, Partnern und End-Usern. Keba und FerRobotics referierten über den aktiven Kontaktflansch. Der Tag war so erfolgreich, dass Keba im Herbst einen ähnlichen „Technologietag“ veranstalten lässt, Leitgedanke Robotic. Kuka dürfte wohl dabei sein.
Cluster-Erlebnis drei. Mit Unterstützung des Mechatronik- und des Kunststoff-Clusters Oberösterreich haben sich mehr als acht Firmen im Netzwerk „Smart Plastics“ zusammengetan ( www.smart-plastics.com), darunter Keba. Sie wollen intelligente Kunststoffprodukte entwickeln. Zum Beispiel Folien mit kapazitiven Sensoren, die sich in der Kunststoffverarbeitung hinterspritzen lassen. Armaturenbretter könnten so auf billige Art und Weise zu Schalttafeln werden. Alle Partner kommen aus Linz und näherer Umgebung – ein großer struktureller Vorteil. Und das federführende Unternehmen, die Plastic Electronic GmbH, ist ein Spin-off der JKU.
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