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Elektronik von der Rolle

Polymere Elektronik: Jeder Sonnenschirm kann Strom produzieren
Elektronik von der Rolle

Flexibel, leicht und günstig – das sind die Kennzeichen der Organischen Elektronik. Sie verändert die Welt: Leuchtende Fassaden werden möglich, mitdenkende Verpackungen und Sonnenschirme mit Lade-Anschluss fürs Handy. Mr. Spock lässt grüßen? Nein, erste Produktionen laufen bereits an.

Versetzen wir uns einmal voraus ins Jahr 2020, das gerade begonnen hat. Sie haben den Industrieanzeiger in der Hand und genießen den ersten Feierabend im neuen Jahr. Ihr Sprössling nähert sich der Lektüre und Sie reagieren gereizt. „Finger weg“, rufen Sie und rollen schnell das Display Ihrer Fachzeitschrift ein, das Sie erst kürzlich als Präsent erhalten haben. „Mach mir ja kein Eselsohr in den Industrieanzeiger. Sonst muss ich womöglich wieder auf Papier umsteigen.“

Technisch gesehen durchaus eine realistische Szene. Denn im Jahr 2020 wird ein rollbares Polymer-Display für Zeitschriften keine Besonderheit mehr sein. Jedenfalls wenn es nach der Roadmap der Organic Electronics Association (OE-A) geht, einer Arbeitsgemeinschaft im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau VDMA mit zurzeit 120 internationalen Mitgliedern. Für die Zeit nach 2018 rechnet die OE-A sogar mit elektronischen Wallpapers und rollbaren TV-Systemen. „Der Markt für organische und gedruckte Elektronik wird in den nächsten zehn Jahren zu einem Multimilliardenmarkt wachsen“, sagte im Sommer 2009 der OE-A-Vorsitzende Wolfgang Mildner.
„Jede Branche wird in Zukunft betroffen sein, in einigen wird durch die Organische Elektronik sogar eine revolutionäre Veränderung stattfinden.“ Wolfgang Mildner selbst ist Geschäftsführer der PolyIC GmbH & Co. KG in Fürth, die polymere Elektroniken produziert und sich auf druckbare RFID-Chips und Smart Cards spezialisiert hat. Dass er nicht übertreibt, zeigen die Anwendungen, die schon realisiert sind oder die sich auf der Ziellinie zur Markteinführung befinden.
So will die US-Firma Plastic Logic Inc. noch 2010 einen „E-Reader“ im DIN-A4-Format aus einem leichten Kunststoff-Display in den Verkauf bringen. Es wird schwarz-weiße Buchstaben zeigen, ähnlich wie eine Tageszeitung. Plastic Logic fährt zurzeit in Dresden die Fertigung hoch. Und die Philips-Tochter Polymer Vision, die inzwischen von dem taiwanesichen Unternehmen Wistron übernommen wurde, hat für 2010 ein kleines Display angekündigt, das sich rollen lässt.
Die Karl Knauer KG präsentiert mit ihrer Faltschachtel „HiLight“ eine erste Verpackung, die ein aktiv leuchtendes Display enthält – aufgedruckt aus organischer Elektronik. Der Biberacher Hersteller wurde dafür mehrfach ausgezeichnet. Das Display, das sich auch auf gewölbte Flächen aufbringen lässt, kann nützliche Hinweise geben, etwa (als Arznei-Schachtel) an die Einnahme von Tabletten erinnern oder das näherrückende Verfallsdatum aufblinken lassen. Oder auch Kunden im Supermarkt werbewirksam anleuchten: Wird die Elektronik mit Bewegungssensor ausgestattet, erkennt sie sogar, wenn jemand vorbeigeht und das Leuchten sich lohnt… Solche Anwendungen machen deutlich, dass diese neue Art von Elektronik kostengünstig herstellbar sein muss – sonst würde ihr Einsatz keinen Sinn machen.
Eine der dynamischsten Umsetzungsfelder ist die organische Photovoltaik (OPV). Dabei handelt es sich um polymerelektronische Materialien, die flächig in dünnen Schichten auf Trägerfolien aufgedruckt werden, um Solarstrom zu erzeugen. Die Solarzellenfolien landen auf allen möglichen Produkten, die Sonnenstrahlen einfangen können. Taschen, Sonnenschirme, Zelte und Autodächer werden in die Lage versetzt, Strom für Handys oder Digitalkameras zu produzieren. Zahlreiche Firmen wollen sie noch in diesem Jahr auf den Markt bringen. Fernziel ist es aber, solche Folien in Gebäude zu integrieren und sie wie eine Haut über Dächer und Fassaden zu ziehen. Ab 2018, so schätzt die OE-A in ihrer Roadmap, wird sich damit Strom in die öffentlichen Netze einspeisen lassen.
Die Zahl der Anwendungen geht weit über die geschilderten Beispiele hinaus. Dahinter steckt letztlich eine „neue Art von Elektronikproduktion“, erklärt Dr. Klaus Hecker, Managing Director der Organic Electronics Association OE-A. Und zwar einer Elektronik, „die flexibel, dünn, leicht, robust, großflächig und kostengünstig ist“.
Begonnen hat die Entwicklung mit der sensationellen Entdeckung in den 70er-Jahren, dass Polymere nicht nur mit isolierenden, sondern auch leitenden und halbleitenden Eigenschaften hergestellt werden können. Über Druckverfahren können solche Substanzen schichtweise und hauchdünn auf großflächige Trägerfolien aufgebracht werden. „Im Prinzip lassen sich so dieselben Bausteine wie in der klassischen Elektronik aufbauen“, erläutert Hecker. Nur, dass die Fertigung viel günstiger ist, weil dafür keine teuren Reinraum-Methoden nötig sind.
Um die stürmisch sich entwickelnden Technologien voran zu bringen, hat die OE-A vor einem halben Jahr die dritte, überarbeitete Ausgabe ihrer Roadmap vorgestellt. Sie umfasst die neun Felder
  • organische Photovoltaik (OPV),
  • flexible Displays,
  • organische Leuchtdioden (OLED) und die darauf basierenden elektrolumineszierenden Beleuchtungsflächen (EL),
  • gedruckte RFID,
  • gedruckte Datenspeicher,
  • organische Sensoren,
  • flexible Batterien,
  • Smart Objects,
  • smarte Textilien.
Industriefirmen mit Rang und Namen wie Agfa, BASF, Bayer MaterialScience, DuPont, Evonik, Heidelberger Druckmaschinen, MAN Roland, Merck, Osram, Philips, Samsung, Siemens und Varta investieren zurzeit stark in die Zukunftstechnologie und bereiten den Markteintritt vor. „Die organische Elektronik bietet den Europäern die Chance, in die Elektronikproduktion neu einzusteigen“, meint Dr. Klaus Hecker. Interessierte können sich dazu aus erster Hand auf dem Kongress Lope-c mit Ausstellung informieren, der jährlich von der OE-A und der Messe Frankfurt organisiert wird.*
Allerdings sind weder die Bezeichnungen „organic electronics“, „Polymerelektronik“ noch „printed electronics“ wirklich korrekt. Die neue Elektronik steckt noch in den Anfängen. Ihre Packungsdichte ist nicht mit der von Silizium-Chips zu vergleichen. Trotz Erfolgen gibt es noch viel Forschungsbedarf. Es hat sich daher als sinnvoll erwiesen, auch andere Beschichtungsmethoden als das Drucken einzusetzen. Und hier und dort bietet es sich auch an, anorganische Komponenten auf die biegsamen Substrate zu packen – selbst wenn sie teurer sind. Professor Karlheinz Bock vom Fraunhofer IZM in München verfolgt ganz bewusst diesen hybriden Ansatz. Er spricht von „Hetero-Integrationstechnologien“. „Silizium-Chips können wir schon mit Dicken unter 20 Mikrometer realisieren“, gibt er zu bedenken.
Was sich mit diesem pragmatischen Vorgehen erreichen lässt, demonstriert Bock mit einem Sensorarmband für Patienten. Der Demonstrator ist im „Rolle-zu-Rolle-Zentrum“ des IZM entstanden. Neben einem Temperatur-, Hautfeuchte- und Elektrosmog-Sensor enthält er ein elektrolumineszierendes Display, das den Patienten auf einen Blick über die Messwerte auch quantitativ informiert. Über eine integrierte Antenne lassen sich die Daten kontaktlos auslesen. Falls erforderlich, kann das Gerät auch einen Notruf aussenden. Sensoren und Display bestehen aus Pasten auf der Basis von polymeren Materialien, die mit anorganischen, elektrolumineszierenden Partikeln gefüllt sind und im Siebdruck aufgebracht wurden.
Natürlich lassen sich auch andere Sensoren an Bord holen. „Das Armband ist das Ergebnis einer Plattformtechnologie, die wir für Health-Care-Anwendungen nutzen“, macht Prof. Bock klar. Immerhin liegen die nur grob abschätzbaren Fertigungskosten in Regionen, die über eine Umsetzung als Einmalprodukt nachdenken lassen.
Viel verspricht sich Karlheinz Bock von der weiteren Entwicklung der organischen Elektronik. Dazu startet unter der Federführung des IZM im Januar 2010 ein „integriertes Projekt“ der EU mit zwölf Partnern. Ihr Ziel ist es, eine „komplementäre“ organische Elektronik zu entwickeln, die sowohl mit p- als auch mit n-Halbleitern arbeitet und dadurch viel leistungsfähiger wird. „Wir wollen die Grundlagen für komplexe Schaltkreise legen, die zum Beispiel sogar die Treiberfähigkeit zum Ansteuern von Displays haben“, erläutet der Forscher. Damit ließen sich flexible Displays inklusive Ansteuerschaltungen oder auch RFID mit einer Technologie aus einem Guss produzieren.

Marktchancen
Vielleicht werden unsere Sorgen um die Energieversorgung der Zukunft bald deutlich kleiner werden: Die Organic Electronics Association rechnet in ihrer Roadmap ab 2018 mit der großindustriellen Produktion von Solarzellen-Folien, die auf Hausdächern und Fassaden verlegt werden und grünen Strom ins Netz pumpen. Das ist nur eine von unzählig vielen neuen Anwendungen, die durch organische Elektronik möglich werden und Marktchancen in allen Branchen eröffnen.
Industrieanzeiger
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