Startseite » Technik » Entwicklung »

,Enabler‘ für den Materialmix

Fügetechnik-Branche hat den Schlüssel für den modernen Leichtbau
,Enabler‘ für den Materialmix

Fügetechnik | Dem Materialmix im Auto gehört die Zukunft – mit Stahl, Alu und Faserverbunden: Dass diese Zukunft jedoch von der Fügetechnik abhängt, machte das 7. Böllhoff-Fachkolloqium klar. ❧ Olaf Stauß

„Wir wollen keine reine Werbeveranstaltung machen“, begrüßte Michael Böllhoff schmunzelnd seine Gäste zum 7. Böllhoff-Fachkolloquium – hochkarätige Fachleute von OEM, Zulieferern und sogar Wettbewerbern. „Wir wollen ein Forum, in dem die sachliche Diskussion im Vordergrund steht.“ Die Referenten aus der Automobilindustrie nutzten die Gelegenheit. Sie mahnten höchste Anstrengungen in der Fügetechnik an, um den modernen Materialmix möglich zu machen, der inzwischen auch in Mittelklassemodellen einzieht.

Die OEM selbst investieren derzeit viel Energie in die Entwicklung und Weiterentwicklung von Fügeverfahren. Sie suchen nach Lösungen unter hohem zeitlichen Druck. „Da kann ich nur alle kreativen Köpfe im Raum aufrufen, mitzumachen“, beschloss etwa Dr. Michael Niemeyer von Audi seinen Vortrag zum modernen Karosseriebau. Und Dr. Jens Bunte, Geschäftsführer Technik bei Böllhoff, bestätigt: „Der F+E-Bedarf ist gestiegen, bei uns und bei den Kunden.“
Böllhoff profitiert von dieser Situation und sieht sich gefordert. „Wir sind ein Enabler für die modernen Mischbauweisen“, betont Bunte. „Und das setzt eine intensive Zusammenarbeit voraus.“ Eine Entwicklung, die sich auch an Zahlen ablesen lässt: 2015 übersteigt der Umsatz erstmals die 500-Millionen-Grenze. Das Investitionsvolumen ist auf 35 Mio. Euro angewachsen und soll weiter auf so hohem Niveau bleiben. Die Zahl der Beschäftigten ist auf über 2400 in 23 Ländern angestiegen. „Weltweit haben wir in den letzten Jahren jährlich rund hundert Arbeitsplätze aufgebaut“, sagt Bunte.
Böllhoff-Fügetechnik findet sich durchgehend in den Fahrzeugmodellen, die auf ambitionierte Mischbauweisen setzen – in der 7er-Reihe von BMW etwa ebenso wie in den Modellen i3 und i8 mit ihren Faserverbund-Strukturen. Die jüngste Technologieentwicklung ist das Halbhohl-Sonderstanznieten „Rivset HDX“. Das Verfahren ermöglicht es erstmals, ultrahochfeste Stähle mit duktileren Werkstoffen wie Aluminium zu stanznieten. Die Zugfestigkeiten des Stahlblechs können dabei bis zu 1600 MPa betragen bei Blechdicken bis zu 1,8 mm in der Decklage. Möglich wird dies durch eine optimierte Geometrie des Fügeelements und eine „adaptierte Niethärte“. Die Fügerichtung ist von Stahl zu Aluminium. Setzwerkzeuge und Anlagenkomponenten lassen sich dafür modular konfigurieren.
Rivset HDX haben die Bielefelder „in extrem kurzer Zeit“ entwickelt – gezielt für den Audi Q7 mit seinen pressgehärteten Stählen. Eine „noch sehr spezielle Lösung“, räumt Dr. Jens Bunte ein. Aber es werde daran gearbeitet, die Technologie flexibler zu machen. Warum das notwendig ist, machte Dr. Michael Niemeyer von der Fertigungsplanung und Automatisierungstechnik bei Audi deutlich. Seinen Tagungsbeitrag widmete er der Komplexität des Karosserie-Leichtbaus am Beispiel des Q7: Audi konnte das Gewicht der Rohkarosserie um 71 kg auf 362 kg senken. Dazu wurde der Anteil von kaltumgeformtem Stahl von 97 % auf 47 % verringert. Die neue Karosse besteht nun zu 23 % aus kaltumgeformtem Aluminium, zu 15 % aus Alu-Guss, zu 3 % aus extrudiertem Aluminium und zu 12 % aus warmumgeformten Stählen. Dieser Materialmix macht über 780 Fügesysteme in der Fertigung erforderlich, darunter allein 303 Nietsysteme – anlagentechnisch ein immenser Aufwand. Nicht alle Systeme sind ausgelastet, aber jeweils an ihrer Stelle nötig. Um speziell Aluminium mit gehärtetem Stahl zu verbinden, nutzt Audi zum Beispiel neben HDX-Stanznieten noch das Reibelementschweißen mit umgekehrter Fügerichtung von Aluminium zu Stahl. Dabei durchdringt das rotierende Reibelement die Aluminiumschicht und verschweißt auf dem Stahlblech. In der Aluminium-Lage entstehen Kraft- und Formschluss. „Wir brauchen Blechdicken- und Werkstoff-flexiblere Verfahren“, resümiert Dr. Niemeyer.
Ein weiteres, für den Materialmix geeignetes Verfahren macht gerade Karriere: das Hochgeschwindigkeits-Bolzensetzen Rivtac. Es steht für das bisher größte Entwicklungsprojekt in der Geschichte von Böllhoff. Zurzeit läuft der Serieneinsatz in vier Daimler-Werken an. Die Fügetechnik ist so exklusiv, dass Daimler entgegen sonstigen Gepflogenheiten darauf verzichtet, mindestens einen zusätzlichen Anbieter verfügbar zu haben. Inzwischen hat ein weiterer Premiumhersteller die Freigabe für alle Baureihen erteilt, berichtet Dr. Bunte.
Bei Rivtac wird ein Setzbolzen mit hoher Energie in die zu fügenden Bauteile getrieben. Der gerändelte Schaft durchdringt die Schichten ohne Vorloch. Im Werkstoff entsteht Formschluss (durch in die Bolzen-Rillen verdrängtes Material) und Kraftschluss (besonders in höherfesten Stählen). Ein großer Vorteil ist, dass sich die Fügemethode auch für Mehrlagen- und Hybridverbindungen eignet – inklusive Faserverbund-Schichten und häufig in Kombination mit dem Kleben. Prof. Gerson Meschut, Leiter des Laboratoriums für Werkstoff- und Fügetechnik LWF an der Uni Paderborn und früher F+E-Leiter von Böllhoff, merkte jedoch an, dass das Umsetzen in der Serie „auch nicht so einfach“ gewesen sei: Probleme machte das Verhalten der Klebstoffschicht beim Bolzensetzen. Doch man konnte sie lösen. Um künftige Serienanläufe zu erleichtern, hat das LWF ein Simulationstool entwickelt, mit dem sich die Verbindung zunächst numerisch auslegen lässt.
Prof. Meschut stellte in Bielefeld eine Reihe innovativer Fügetechnik-Ansätze aus dem LWF vor, ebenso wie auch Dr. Martin Goede, Leiter Technologieplanung und -entwicklung bei Volkswagen. Die Referenten einte die Forderung nach „Werkstoff-flexibleren und effizienteren“ Fügemethoden. Als ein Beispiel aus der VW-Entwicklung nannte Goede das Widerstandselementschweißen (WES).
Es wurde entwickelt, um weiter punktschweißen zu können, wo dafür ungeeignete Materialien zum Einsatz kommen. Dazu wird ein WES-Element eingepresst, das sich seinerseits punktschweißen lässt. VW hat beim Passat B8 damit begonnen und die Elemente mittels C-Bügel in die Karosserie eingebracht. In Zukunft sollen sie im Umformwerkzeug gesetzt werden. Und Dr. Goede denkt auch schon an eine Flexibilisierung: Ein neuer Ansatz soll es ermöglichen, WES-Elemente ohne Abdichtmaßnahmen auch in Nassbereichen einzusetzen.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Tipps der Redaktion

Unsere Technik-Empfehlungen für Sie

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de