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Energiewende braucht Strommarktdesign 2.0

Offshore-Windkraft: Industrie fordert Planungssicherheit für Investoren und flexible Kraftwerke
Energiewende braucht Strommarktdesign 2.0

Ohne die zweite Ausbauwelle bei Offshore-Windparks sind die politischen Energieziele kaum zu erreichen. Als Bremsen erweisen sich fehlende langfristige Rahmenbedingungen. Die Industrie wird sich wohl auf weitere Zurückhaltung bei den Investitionen in deutsche Windkraftprojekte einstellen müssen.

In den letzten zehn Jahren ging es beim Ausbau der Windenergie nur in eine Richtung: aufwärts. Es verband sich die Hoffnung, Deutschland könne ein Stabilitätsanker in diesem Geschäft sein. Wie der Weltmarkt, der 2012 mit knapp 45 GW ein Plus von 10 % erreichte, wuchs auch in Deutschland der Zubau aufs Neue: von 2415 MW auf rund 3200 MW. Etwa 400 MW entfallen auf den Offshore-Markt.

Trotz positiver Prognosen herrscht heute große Verunsicherung durch die Diskussion um die Strompreisbremse und die Energiewende. „Wir haben gehofft, dass die angedrohten Kurzfristmaßnahmen für die EEG-Novellierung noch vor der Bundestagswahl vom Tisch wären“, sagt Andreas Nauen, Geschäftsführer der Repower Systems SE und Vorsitzender der Windbranche im VDMA. Da dies jetzt nicht der Fall sei, „müssen wir uns auf weitere Zurückhaltung bei den Investoren in deutsche Windkraftprojekte einstellen“. Diese Entwicklung hält Nauen für kontraproduktiv, gerade vor dem Hintergrund eines sinkenden Weltmarktvolumens in diesem Jahr und vieler unklarer politischer Rahmenbedingungen in Deutschland wie in den Exportmärkten.
Soeben haben zwar die USA den für die Windbranche überlebenswichtigen Production Tax Credit (PTC) bis Jahresfrist verlängert. Mit diesem können „auch Windprojekte in den Folgejahren, also 2014, 2015 oder gar 2016, realisiert werden“, sagt Thorsten Herdan, Geschäftsführer VDMA Power Systems. Allerdings werde die späte Entscheidung, den PTC zu verlängern, den US-amerikanischen Markt drastisch einbrechen lassen. Herdan schätzt, dass der Neubaumarkt in den Jahren 2013 und 2014 zusammengenommen unter dem Niveau von 2012 liegen wird – nach 13 GW im Jahr 2012 halten die Prognosen für die nächsten zwei Jahre bestenfalls 11 GW für machbar. Dieses Auf und Ab sei Gift für die Industrie, die mit ihren Fertigungskapazitäten auf einen kontinuierlichen Markt angewiesen sei. „Das bekommen auch deutsche Unternehmen zu spüren, die in Produktionsstätten in den USA investiert haben“, betont Herdan. Stabile politische Rahmenbedingungen hält er für den kontinuierlichen Ausbau der Windenergie und den Aufbau einer funktionierenden Windenergie für existentiell.
Hierzulande werden die Offshore-Installationen in diesem und dem nächsten Jahr weiter wachsen. Dies sei jedoch „einer vor einigen Jahren getroffenen Investitionsentscheidung geschuldet“, sieht Repower-Chef Nauen den Zusammenhang. Die von der Industrie gelieferten Anlagen und Komponenten würden jetzt darauf warten, aufgestellt zu werden. Eine zweite Welle fehle jedoch. Damit die nächste Projektrunde einsetzen kann, wäre Sicherheit angebracht. Allerdings sehen die Experten die Randbedingungen dafür nicht gegeben, weder für Installationen auf hoher See noch an Land. Umso mehr stehe die Windenergie vor großen Herausforderungen, wie mit dieser Unsicherheit, der Stagnation und einem möglichen Abschwung umzugehen sei, schildert Andreas Nauen die Lage.
Bislang war Deutschland ein Vorbild industrieller Planungssicherheit. Dies stehe jetzt „im Risiko“, kritisiert Alstom-Deutschland-Chef Alf-Henryk Wulf. Gerade potenzielle Investoren aus dem Ausland bräuchten für die milliardenschweren Offshore-Windparks verlässliche Rahmenbedingungen. Gleichzeitig sieht er für konventionelle Kraftwerksprojekte aufgrund des nicht funktionierenden Marktdesigns keine vorhandenen Geschäftsmodelle. Um die zunehmende Leistungsfluktuation bei steigendem Anteil an regenerativer Einspeisung zu beherrschen, braucht es flexibler Kraftwerke.
Für Wulf geht es „nicht ohne neue konventionelle Werke auf Gas- und Kohlebasis, die flexibel gesteuert und auch hoch effizient im Teillastbereiche arbeiten können“. Dies hält er unter den gegebenen Rahmenbedingungen aber kaum für möglich. Dafür müsse das EEG geändert werden, sagt Wulf. Um die Flexibilität zu erhöhen, müssten auch Retrofit-Maßnahmen greifen. Diese könnten kurzfristig umgesetzt werden, wenn der Strommarkt auch andere Produkte als die produzierte Kilowattstunde Strom bepreisen würde. Im VDMA arbeiten die Beteiligten an einem Konzept für ein Strommarktdesign 2.0 zusammen mit einem EEG 2.0, das die systemische Verknüpfung von erneuerbaren und konventionellen Kraftwerken vorsieht. Laut dem Alstom-Chef sind Kraftwerke mit Brennstoffkosten – wie etwa Gas-, Kohle- oder Biomassekraftwerke – mit Kraftwerken ohne Brennstoffkosten wie Sonnen- und Windkraftwerken auf dem derzeitigen Strommarkt nicht miteinander kompatibel. „Dieses Problem kann nur mit einem neuen Strommarktdesign gelöst werden, das beide Kraftwerkstypen systemisch miteinander verbindett“, sagt Thorsten Herdan und fordert, an den jetzigen Systemen massiv Änderungen vorzunehmen. Dies habe mit kurzfristigen Maßnahmen aber nichts zu tun. Bis 2020 soll der Anteil der erneuerbaren Energien bereits 35 % betragen, heute sind es rund 20 %. Umso mehr sprechen sich die Experten für eine Lösung für die nächste Ausbauwelle der Offshore-Windkraft als tragende Säule der Energiewende aus. Die Projektentwicklung für einen Windpark taxiert die Unternehmensberatung Roland Berger auf sieben bis zehn Jahre. Investoren brauchen einen langen Atem. „Ohne stabile politische Rahmenbedingungen gibt es keine Investitionen“, beklagt Thorsten Herdan die Situation.
Als Ausbaubremse der Windkraft wurden vor einem Jahr die fehlenden Netzanbindungsmöglichkeiten ausgemacht. Der für die Nordsee beauftragte Betreiber Tennet stand im Mittelpunkt der Kritik. Eine vom Beratungshaus Offshore Management Resources im Auftrag von Tennet erstellte Studie weist den Vorwurf zurück. Demnach würden heute Anbindungskapazitäten von 6,2 GW für Windenergie aus der Nordsee bestehen. Gleichzeitig könnten in den nächsten zehn Jahren bis 2023 höchstens 5,9 MW Windkapazität in der Nordsee errichtet werden, heißt es in der Studie. „Schon jetzt wird deutlich“, so Tennet-Geschäftsführer Lex Hartman, „dass die Gefahr einer Lücke zwischen der Errichtung der Netzanbindungssysteme und dem Zubau an Offshore-Windkapazität besteht.“
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