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In vier Monaten zum Auto-Design

Kollaboratives Design dank Digitalisierung
In 120 Tagen zum fertig entwickelten Auto

Das Team von Emm! solutions hat es geschafft, in nur vier Monaten ein eigenes Auto zu entwickeln und den „ILO 1“ auf vier Räder zu stellen. Der Clou: Über eine webbasierte Software wurden die Konstruktionsaufgaben im Lieferanten-Netzwerk verteilt und so alle Prozesse gesteuert.

Alexander Hauber
Leichtbau BW GmbH, Stuttgart

Die einheitliche digitale Kommunikation entlang der gesamten Prozesskette machte es möglich, zahlreiche Teile zeitgleich zu entwickeln und zu optimieren, zum Beispiel hinsichtlich ihres Gewichts. Das Ergebnis ist ein Konzeptfahrzeug mit einer Straßenzulassung für den Prototypen. Diese Innovation präsentierte die Landesagentur für Leichtbau Baden-Württemberg in ihrer monatlichen Rubrik „ThinKing“ im Januar 2018. Mit ihr gibt Leichtbau BW innovativen Produkten und Dienstleistungen eine Plattform.

Wie sieht die Mobilität von morgen aus? Mit dieser knackigen Aufgabe beschäftigt sich das Start-up Emm! Solutions. Hinter dem jungen Unternehmen aus Weil der Stadt steckt Armin Müller, der zu Beginn der Neunziger Projektleiter des ESP-Systems bei Daimler und zuletzt in leitender Funktion für Porsche tätig war. „Beim Thema Mobilität geht es darum, eine Transportaufgabe zu lösen. Diese erzeugt Verkehr – mit all seinen Problemen“, sagt Müller. Zusammen mit seinem Team hat Müller an einem neuen Mobilitätskonzept für den Individualtransport gearbeitet. Der „ILO 1“ ist ein kompaktes Konzeptleichtbaufahrzeug – wenige Zentimeter kleiner als der aktuelle Smart ForTwo. Im Prototyp findet derzeit eine Person Platz, in einer späteren Variante sollen zwei Personen befördert werden können.

Durchgehende Digitalisierung verkürzt Entwicklungszeit

Um den ILO 1 zu realisieren, bestand die Herausforderung für das kleine Start-up vor allem darin, das Projektmanagement und die Produktionssteuerung möglichst schlank und effizient zu halten. „Wir wollten an Fähigkeiten und Know-how hinzugewinnen, aber nicht wachsen“, sagt Müller. Hier kommt das Product-Lifecycle-Management-System des ebenfalls noch jungen Unternehmens Cassini Systems Europe mit ins Spiel: Über deren webbasierte Software lief die gesamte Kommunikation mit den Lieferanten ab.

Im PLM-System von Cassini können einzelne Teile oder Bauteilgruppen für einen bestimmten Lieferanten freigegeben werden. Dieser erhält dann Zugriff auf alle dort hinterlegten Dokumente, die für die Herstellung relevant sind. Dazu gehören beispielsweise die CAD-Daten und Spezifikationen wie etwa Qualität, Strapazierfähigkeit und das „erlaubte“ Gesamtgewicht des Teils. „Mit diesen Daten kann sich der Hersteller gleich an die Konstruktion des Bauteils machen. Viele Zwischenschritte entfallen dadurch, vor allem in der Kommunikation. Dieses Vorgehen haben wir bei unserem ILO 1 erprobt“, sagt Müller. Denn für ihn gehörte zum Gesamtkonzept auch die Frage, wie Kollaboration schlank und effizient stattfinden kann.

Die Partner entwickeln ihre Teile und laden sie hoch

Nach getaner Arbeit lädt der Lieferant seine Dateien wieder in das Online-System hoch und produziert das Teil. Es findet also automatisch eine digitale Dokumentation der Entwicklungsarbeit statt und der Datenaustausch erfolgt für alle Akteure nachvollziehbar über diese Schnittstelle. „Die Besonderheit an diesem System ist, dass wir viele klassische Detailaufgaben in der Konstruktion unter den Lieferanten verteilt haben – etwa die Teile leichter zu machen oder ihre Funktion zu verbessern“, erklärt Müller. Die Aufgaben mussten also nicht von einer Firma allein geschultert werden und viele Prozesse konnten parallel ablaufen.

„Durch die Digitalisierung der Prozesskette und die Entwicklung sowie Produktion in einem Netzwerk aus mehreren Unternehmen hat man die Chance, die time-to-market zu verkürzen. Das ist ein enormer Werthebel“, erklärt Dr. Wolfgang Seeliger, Geschäftsführer der Leichtbau BW GmbH. Um das volle Potential auszuschöpfen, müsse jedoch wirklich die gesamte Prozesskette digitalisiert und der Datenaustausch standardisiert sein. „Dies eröffnet für den Leichtbau auch ganz neue Möglichkeiten, denn so können Produktion und Entwicklung noch enger zusammenarbeiten. Es werden ganz andere Arbeitsweisen und Abläufe in die Unternehmen und die Lieferkette einziehen“, meint Seeliger. Die Konstruktion des ILO 1 sieht er als Paradebeispiel für Top-down-Konzeptleichtbau.

„Wir sind mit einem konzeptionellen Ansatz an das Projekt herangegangen. Unser Auto sollte so leicht wie möglich werden, um energieeffizient und ressourcenschonend unterwegs zu sein“, sagt Armin Müller. Das Thema Gewicht ist beim ILO 1 ohnehin eine essentielle Frage. Denn um in die Fahrzeugklasse „Leichtelektromobile“ zu kommen, sollte er nur maximal 450 kg auf die Waage bringen (ohne Batterie). „Wir mussten jedes Teil hinsichtlich seiner Funktion optimieren und leichter machen, sonst hätte das Gesamtsystem nicht funktioniert und wir wären nicht unter die 450 Kilogramm gekommen“, erklärt Müller.

„Der ILO 1 ist ein gutes Beispiel, wie gerade der Leichtbau im Hinblick auf die Konstruktion ein zentraler Möglichmacher sein kann, um ein Fahrzeug neu zu denken oder – wie im Fall des ILO 1 – überhaupt erst realisierbar zu machen“, sagt Dr. Seeliger.

Die Außenhaut des kleinen E-Mobils besteht aus einem sehr dünnen CFK-Laminat. „Im ILO 1 stecken viele Metall- und Kunststoffteile, die wir im 3D-Druck direkt aus dem CAD haben herstellen lassen“, erklärt Müller. Da der ILO 1 elektrisch angetrieben wird, war auch das Gewicht der Batterie ein Thema. Doch durch ein effizientes Energiemanagement auf Softwareseite konnten die Entwickler das Batteriegewicht senken. Mit einer Akkuladung kommt der ILO 1 auf eine Reichweite von 80 km. Zudem haben die Entwickler bei der Verlegung der Kabelbäume auf kurze Wege und möglichst geringen Materialeinsatz geachtet.

Mehr ILOs – weniger Verkehr

„Der ILO 1 ist derzeit das kleinste, kompakteste Mobilitätskonzept”, sagt Müller. Mit 1,3 m Breite und 2,3 m Länge belegt er beim Parken eine Fläche von nur rund 3 m². Ein normaler Pkw kommt im Vergleich dazu auf 8 bis 10 m² Fläche. „Wenn nur noch ILOs unterwegs wären, dann würden in zahlreichen Städten auf einen Schlag viele Flächen frei werden und man hätte mit unserem Auto kein Parkplatzproblem mehr“, sagt Müller. „Denn auf einen normalen Pkw-Parkplatz passen zwei ILOs – der Verkehr würde sich halbieren.“

Beim Thema Mobilität spielt vor allem die Frage des Fahrzeuggewichts eine entscheidende Rolle, also wie viel Kilogramm bewegt werden müssen, um eine Person zu befördern. Mit vier beziehungsweise fünf beförderten Personen ist ein Pkw selten ausgelastet. „Zum Beispiel im Berufsverkehr sitzen im Schnitt nur 1,1 Personen im Fahrzeug. Bei einem normalen Pkw müssen für den Transport einer Person rund eineinhalb Tonnen an Fahrzeuggewicht bewegt werden, beim ILO 1 sind es nur 450 Kilogramm“, rechnet Müller vor. Noch besser würde das Konzeptfahrzeug abschneiden, wenn man zwei Personen als Passagier unterbringt. Das geringe Gewicht des Fahrzeugs sorgt für einen niedrigeren Kraftstoffverbrauch und weniger CO2-Emissionen.

Technik für autonomes Fahren ist bereits an Bord

Momentan gibt es drei Prototypen des Konzeptfahrzeugs, die alle auch eine Straßenzulassung haben. Einer davon steht im Büro von Emm! Solutions im Firmensitz in Weil der Stadt und die Entwickler arbeiten weiterhin an kleinen Verbesserungen.

Mit entsprechender Programmierung kann man den ILO 1 auch hochautomatisiert fahren lassen. Denn an Bord sind bereits verschiedene Systeme verbaut, die ihm helfen, seine Umgebung wahrzunehmen und sich darin autonom zu bewegen. Dazu gehören beispielsweise Radar- und Ultraschallsensoren, Kameras und ein Lidar-System zur Objekterkennung sowie Abstands- und Geschwindigkeitsmessung.

Doch die Vision von Armin Müller und seinem Team für den ILO 1 geht noch viel weiter: Das Fahrzeug soll mit Sensoren und einem Leit-System interagieren und kommunizieren, die in der Umgebung fest installiert sind. Damit soll es ihm gelingen, intelligent und autonom durch die Stadt zu navigieren und dabei den jeweils aktuell herrschenden Verkehrsfluss zu meistern. Mit dem straßentauglichen ILO 1 haben die Entwickler von Emm! Solutions den ersten Schritt in diese Richtung bereits gemacht.


Emm! Solutions

Das Start-up mit Sitz in Weil der Stadt hat Armin Müller 2015 gegründet. Anfang der Neunziger war er Projektleiter für das ESP-System bei Daimler und später mit leitenden Aufgaben bei ZF Friedrichshafen und Porsche betraut. Derzeit besteht das Team von Emm! Solutions aus neun Mitarbeitern, die neue Mobilitätskonzepte realisieren und so aktuelle Verkehrsprobleme lösen wollen.

www.emm-solutions.de

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