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Know-how-Katapulte für die additive Fertigung

Entwicklung
Know-how-Katapulte für die additive Fertigung

Hätten die mittelalterlichen Konstrukteure das Lasersintern gekannt, hätten sie sicher noch gefährlichere Katapulte gebaut: Denn die funktionellen Möglichkeiten sind enorm, die additiv gefertigte Teile bieten – als Funktionsprototypen oder auch als Endprodukte.

Erst die Kenntnis der Möglichkeiten macht additive Fertigungsverfahren attraktiv: Sie können Bauteile und Baugruppen aus Kunststoffen oder Metallen schichtweise und ohne formgebendes Werkzeug produzieren. Die resultierenden Gestaltungsmöglichkeiten schaffen einen großen Nutzen, sowohl technisch funktionell wie auch zeitlich.

Wo und wie sich die additiven Fertigungsverfahren etablieren, hängt allerdings von ihrem Bekanntheitsgrad ab und dem Vertrauen in diese Technologien. Durch eine frühzeitige Einbeziehung in Ausbildung und Lehre legt die Universität Paderborn einen ersten Grundstein zur Steigerung des Bekanntheitsgrades und des Vertrauens. So führte der Lehrstuhl für Konstruktions- und Antriebstechnik (KAt) ein spezielles Projektseminar Konstruktionstechnik durch: Aufgabe der Studenten war es, Ballwurfmaschinen zu konstruieren, die die Vorteile der additiven Fertigung nutzen und sich ausschließlich mit diesen Verfahren herstellen lassen.
Entsprechend den Anforderungen gestalteten die Studenten ihre Katapulte für das Fertigungsverfahren Lasersintern. In einem weiteren Schritt wurden die Konstruktionen dann am „Direct Manufacturing Research Center“ DMRC gefertigt.
Das gemeinsame Studentenprojekt von KAt und DMRC fügt sich ein in die größere Aufgabe, die additive Fertigung und ihre Möglichkeiten in der Industrie bekannt zu machen. Fundiertes Wissen über spezifische Konstruktionsregeln sind auch heute noch nicht hinreichend bekannt. Das vom KAt initiierte Forschungsprojekt „Direct Manufacturing Design Rules“ (DMDR) verfolgt darum das Ziel, Konstruktionsregeln für additive Fertigungsverfahren zu erarbeiten. Sie werden Hinweise für eine robuste fertigungsgerechte Gestaltung geben und sich dann auch in Lehrveranstaltungen vermitteln lassen.
Abgesehen vom Forschungsprojekt DMDR bieten auch die studentischen Katapulte einen repräsentativen Einblick in Nutzen und Möglichkeiten der generativen Fertigung – exemplarisch erläutert anhand der Ballwurfmaschinen. Das Katapult 1 zeigt viele maschinenbauliche Elemente. Im Inneren des Bauteils ist eine Gelenkkette verbaut, die es erlaubt, die Kraft der waagerecht angeordneten und spannbaren Feder in eine Drehbewegung zu wandeln und damit das Wurfgeschoss ebenso bis zu 5 m weit zu schleudern. Das Spannen der Feder erfolgt hier über eine Schraube, die die Kunststofffeder – je nach gewünschter Vorspannung – komprimiert. Dieses Bauteil wurde in einem Fertigungsprozess hergestellt – Feder, Schrauben und Wurfgeschoss entstanden allerdings separat.
Katapult 2 (Seite 38) macht deutlich, dass additive Fertigungsverfahren nahezu unbegrenzte gestalterische Freiheiten bieten. Damit lassen sich beispielsweise Welle-Nabe-Verbindungen herstellen, die nicht montiert werden müssen. Die konstruierten Spalte erzeugen nach Entfernen des nicht belichten Pulvers ein bewegliches Lager. Auch besteht die Möglichkeit, sehr komplexe Bauteile herzustellen wie die Feder oder deren Arretierung. Bei dieser Konstruktion war es notwendig, eine gebogene Feder zu verwenden, die nicht handelsüblich zur Verfügung steht. Sie wurde individuell für dieses Bauteil konstruiert und durch Lasersintern hergestellt. Die Arretierung des Auslösehakens konnte zusammen mit dem Rahmen der Wurfmaschine in einem Stück gefertigt werden.
So wurde ein sehr hohes Maß an Funktionsintgration erzielt. Um das Gewicht des Hebelarms zu senken, wurde er in Leichtbauweise konstruiert. Am Ende ermöglichte die Umsetzung durch Lasersintern den Wurf einer Stahlkugel mit 15 mm Durchmesser über eine Distanz von 5 m. Gefertigt wurde das Katapult natürlich in einem einzigen Bauprozess, so dass, abgesehen von der Feder und der Mutter, keine abschließende Montage notwendig war.
Diese beiden Beispiele „Katapult“ für den Lasersinter-Prozess zeigen die Vorteile dieser Verfahren, wenn man fertigungsgerecht konstruiert: Es lassen sich Räder, Welle-Nabe-Verbindungen, Federn, aber auch besondere (freie) Formen in Leichtbauweise inklusive Hinterschnitten ausführen. Im Schnitt sind unter anderem Gelenke und Umlenkhebel zu erkennen, die konventionell so nicht herstellbar gewesen wären: Gerade umbaute Gelenke, Freiformflächen und Hinterschneidungen lassen sich additiv ohne aufwändiges Werkzeug realisieren.
Am Beispiel der Katapulte bestätigt sich, dass die Kenntnis der (neuen) Möglichkeiten zu großem Nutzen führt: Funktionen, die sich im Spritzguss oder spanabtragend nicht realisieren lassen, können ohne aufwändiges Werkzeug leicht umgesetzt werden. Sobald die Konstrukteure und Entwicklungabteilungen die Bandbreite dieser Möglichkeiten erfasst haben, können sie damit alle Bauteile herstellen, die sie sich vorzustellen vermögen, also nach dem Gedanken „How far can you imagine?“.
Ebenso bieten verschiedene Materialien und Werkstoffe eine Fülle von kunststofftechnischen und metallischen Lösungen. Damit entstehen komplexe Bauteile unabhängig von den bisher restriktiven Fertigungsrahmenbedingungen. Die Integration von mehreren Bauteilen ineinander lässt sich einfach umsetzen.
Die Vorteile liegen allerdings nicht nur in der Funktion. Durch die werkzeuglose Herstellung liegt das gewünschte Bauteil nach kürzester Zeit vor. Bei der Umsetzung des Direct-Manufacturing-Gedankens sind allerdings die verfahren- und werkstoffspezifischen Eigenschaften zu beachten, zum Beispiel die herstellungsbedingte Anisotropie.
Anwendung werden diese Verfahren in allen produktiven Bereichen im Maschinenbau finden, ebenso in der Medizintechnik oder auch im Haushalt, bei Spielzeugen oder bei Schmuck. In der Dentaltechnik wird bereits ein Großteil der Kronen und Brücken additiv gefertigt, im Bereich militärische Anwendungen wie UAV hat sich die Technik schon etabliert (UAV = unmanned aerial vehicle).
Die weitere Entwicklung wird zu Systemen führen, die überall auf der Welt zuverlässig und reproduzierbar Bauteile aus einem CAD-File erstellen. Ebenso wird die Materialvarianz steigen, so dass für jeden Anwendungsfall der „richtige“ Werkstoff zur Verfügung stehen kann. Die absolute Voraussetzung ist allerdings das Begreifen der Technologie und ihrer Möglichkeiten.
Die additiven Ferigungsverfahren entwickeln sich weiter. Längst ist das Stadium des Rapid Prototyping verlassen, das nach wie vor seine Berechtigung für Anschauungsmuster hat. Doch je komplizierter die geometrische Form ist und je mehr Zusatzfunktionen in ein einziges Bauteil integriert werden, desto mehr empfehlen sich die additiven Methoden als echte Fertigungsverfahren. Gerade bei Sonderanfertigungen – also wo es um kundenspezifische Kleinserien geht – werden die Verfahren erfolgreich sein. Klimabauteile oder Lampengehäuse aus der additiven Fertigung gibt es zum Beispiel schon. Die Verfahren sind überall dort eine Option, wo die Teile keine sicherheitsrelevanten Aufgaben erfüllen oder in der Luftfahrt keine flugkritischen Aufgaben übernehmen müssen.
Die Weiterentwicklung der additiven Technologien gilt ganzheitlich der Verfahrens-, der Material- und der Anwendungsentwicklung. Der Erfolg hängt davon ab, dass dieser Kreis geschlossen ist und die Entwickler (von morgen) die Möglichkeiten nicht nur kennen, sondern auch umsetzen.
Übrigens lassen sich die Konstruktionen von den DMRC-Webseiten unter „Downloads“ herunterladen (Link in Fußnote) – jetzt bedarf es „nur noch“ einer Lasersintermaschine zum Herstellen der Katapulte.
Dr. Eric Klemp Commercial Director Direct Manufacturing Research Center – DMRC, Paderborn
STL-Files der Katapulte: http://dmrc.uni-paderborn.de/downloads
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