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Leichte Keramik bewährt sich im Härtetest

Technische Keramik: Unbeeindruckt von Druck und Hitze im Drahtwalzwerk
Leichte Keramik bewährt sich im Härtetest

Keramische Bauteile vertragen hohe Temperaturen und starke mechanische Belastungen: In Drahtwalzwerken tragen sie dazu bei, die Stillstandszeiten deutlich zu reduzieren. Ihre speziellen Eigenschaften werden in immer mehr Anwendungen genutzt.

Die Drähte glühen bei den Böhler Edelstahlwerken im österreichischen Kapfenberg. Bis zu 1050 °C ist der hochfeste Edelstahldraht heiß, wenn er mit einer Geschwindigkeit von bis zu 120 m/s über Führungsrollen in die Kaliberwalze gezogen und dort umgeformt wird. Diese Temperaturen und Geschwindigkeit forderten bisher von den Führungs- und Kaliberwalz-Rollen einen hohen Tribut: Nach 40 t gewalztem Edelstahldraht waren die Stahl-Führungsrollen bereits teilweise verschlissen und mussten gewechselt werden.

Diesen Schwachpunkt konnte Böhler inzwischen beseitigen: Das Werk setzt jetzt keramische Führungs- und Kaliberwalz-Rollen der FCT Ingenieurkeramik GmbH Rauenstein ein, die wesentlich länger halten.
„Das Inspektionsintervall konnte auf über 600 Tonnen ausgeweitet werden“, berichtet FCT-Geschäftsführer Dr. Karl Berroth. „Und dann ist oft nicht die Führungsrolle kaputt, sondern eher das metallische Wälzlager.“ Um diese Schwachstelle zu beseitigen, sollen hier nun Hybrid-Wälzlager mit keramischen Kugeln erprobt werden.
Als weiteren Vorteil sieht Berroth, dass die Drahtoberfläche nun glatter wird als bisher. Denn die Keramik reagiert derart mit dem Kühlschmierstoff und mit Sauerstoff, dass an den Oberflächen der Walzen eine hauchdünne Glasschicht entsteht. Sie poliert den Draht. Die Keramik wirkt sich auch günstig auf das Reibungs- und Verschleißverhalten beim Drahtwalzen aus. Somit wird vermieden, dass Material vom Draht auf die Walzenoberfläche übertragen wird.
Vor allem sorgt die höhere Standzeit für eine höhere Produktivität und für Energieeinsparungen. Denn wenn das Drahtwalzwerk dreimal pro Schicht für 15 min still steht, weil die Rollen gewechselt werden, muss die Technik trotzdem weiter sowohl beheizt, als auch gekühlt werden. Jetzt kann sie immerhin zwei bis drei Schichten durchlaufen. Die Mehrkosten für den Einsatz der keramischen Kaliber- und Führungsrollen machen sich damit laut Berroth bereits nach wenigen Schichten bezahlt.
Böhler hat inzwischen die komplette Drahtstraße von 15 bis 5 mm Drahtdurchmesser auf keramische Führungsrollen umgestellt. Diese Referenz hat FCT schon zu einem Folgeauftrag im Hamburger Werk des Baustahldraht-Herstellers Arcelor-Mittal verholfen. „Bei diesem Massen-Drahthersteller ist der ökonomische Nutzen noch viel größer“, erklärt Berroth.
Bei der im Drahtwerk eingesetzten Keramik handelt es sich um den Werkstoff „Gas pressure sintered silicon nitride“ (GPSN), einer speziellen, hochfesten Siliziumnitrid-Keramik (Si3N4). Aus diesem Material fertigt FCT für die Kaliberrollen einen 20 bis 30 mm starken Ring und bringt diesen dann auf einen Stahlträger. Die Führungsrollen bestehen vollständig aus der Keramik, lediglich die Kugellager und die Achse sind metallisch. GPSN ist deutlich leichter als Stahl oder Hartmetall, die es teilweise oder ganz ersetzt.
Als weitere Vorteile nennt Berroth außerdem eine sehr hohe Härte und Verschleißbeständigkeit. Durch ihre hohe Festigkeit und Bruchzähigkeit können die keramischen Werkzeuge nach seinen Angaben einer starken mechanischen Beanspruchung widerstehen. Die gute Temperatur-Wechselbeständigkeit verhindere Wärmespannungs-Rissbildungen aufgrund von ständig wechselnden Temperatureinträgen in die Werkzeugoberfläche. „Das ist das häufigste Ausfallkriterium für metallische Werkstoffe“, berichtet der FCT-Geschäftsführer. Er räumt ein, dass es auch bei keramischen Werkstoffen noch ein Rissbildungs-Risiko gibt. Es sei aber werkstofftechnisch und konstruktiv lösbar. Keramiken korrodieren nicht und verfügen über eine sehr geringe Adhäsionsneigung zu metallischen Werkstoffen. Das heißt, es gibt kaum einen Abrieb und damit auch keine gegenseitigen Aufschweißungen von Werkzeugmaterial und gewalztem Werkstoff.
Diesen Vorteil wollen FCT und Hydro Aluminium nun auch für eine verbesserte Oberfläche von Aluminiumfolien nutzen, die in einem Bandwalzprozess hergestellt werden. Zusammen mit dem Versuchs- und Spezialitäten-Walzwerk im Entwicklungszentrum Bonn hat FCT Verbundwalzen entwickelt, die aus einem Keramikmantel und metallischen Lagerzapfen bestehen. Als wesentlichen Vorteil dieser Konstruktion führt Berroth an, dass eine solche Verbundwalze mit 13,5 kg nur noch halb so schwer wie eine Stahlwalze ist. Gegenüber einer Hartmetallwalze bringt sie sogar nur noch ein Drittel des Gewichts auf die Waage. Dies erklärt der FCT-Geschäftsführer damit, dass die Keramik im Vergleich zu metallischen Werkstoffen eine 3- bis 5-fach niedrigere Dichte aufweist. Das erleichtert nach seiner Erfahrung auch den Mitarbeitern der Walzwerke die Arbeit: „Typischerweise werden in Walzwerken an vielen Stellen die Werkzeuge noch händisch ausgetauscht.“ In Bonn werden die neuartigen Walzen zunächst in einer 42 cm langen Ausführung erprobt. An Keramik-Verbundwalzen mit 2,5 bis 4 m Länge, wie sie für die großtechnische Folienproduktion nötig sind, arbeitet FCT derzeit noch.
Die elektrische Isolationswirkung der Keramik wirkt sich beim Einsatz in Rohr-Schweißanlagen mit Kaliberrollen durch eine deutliche Energieeinsparung aus. Hier wird ein Stahlblechband über mehrere Kaliberwalzen zu einem Rohr geformt und an der Stoßnaht verschweißt. Vor dem Schweißen heizt es sich durch ein Induktionsfeld auf. „Wenn Sie hier Stahlrollen als Kaliberwalzen haben, dann gehen 20 % der Induktionsenergie in die Rollen“, berichtet Berroth. „Bei der Keramik passiert da gar nichts, denn das sind elektrische Isolatoren.“ Auch elektrische Entladungen, die durch Überschläge auf die Stahlrollen möglich sind, werden so vermieden. Hinzu kommt, dass bei den Keramikrollen eine reduzierte Kühlung genügt, und dass sie eine wesentlich längere Standzeit mit der geforderten Formgenauigkeit erreichen.
Die günstigen Eigenschaften der Siliziumnitrid-Keramik nutzt FCT inzwischen auch, um ebenso leichte wie stabile Gehäuse für eine Luftaufklärungs-Kamera, Prüfgeräte für dynamisch belastete Maschinenkomponenten sowie Rotoren und Statoren für Mikrogasturbinen zu bauen. Eine vollkeramische Zahnradpumpe hält korrosiven Stoffen und hohen Temperaturen stand. Selbst Hochgeschwindigkeits-Fräser für die Zerspanung von Carbonfaser-Werkstoffen kann das Thüringer Unternehmen präsentieren. Und schließlich fertigt es auch keramische Bremsbeläge für Aufzüge und Kupplungsscheiben für Crash-Schlitten aus kohlefaserverstärktem Siliziumkarbid.
Stefan Schroeter Wirtschaftsjournalist in Leipzig

Vom Grünkörper zur Keramik

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Beim Fertigen von Hochleistungs-Keramiken wird oft ein Verfahren angewandt, das Pressgranulat zu einem Rohling verdichtet. Durch Drehen, Fräsen, Bohren oder Wasserstrahl-Schneiden entsteht daraus der so genannte Grünkörper. Eine alternative Methode ist das so genannte Schlickergießen. Es eignet sich vor allem dazu, Bauteile mit hoher Komplexität und Größe in kleineren und mittleren Serien bei etwas gröberen Toleranzen zu fertigen. Das Extrudieren wiederum wird für die Fertigung von Stangen, Rohren, Profilen sowie für Katalysatorträger und Dieselrußfilter angewandt. Spritzguss- und Folientechnik sind inzwischen als Fertigungsmethoden für kleine Bauteile in großen Stückzahlen etabliert. Außerdem gibt es Ansätze zur Herstellung von komplexen Strukturen durch Laminieren oder Verkleben von strukturierten Folien. Allen diesen Vorprodukt-Fertigungsprozessen folgen das Trocknen und Sintern bei Temperaturen von bis zu 2400 °C. Dabei schrumpft die Keramik um rund 20 % und erhält ihre endgültigen Werkstoff-Eigenschaften. Diesem Sinterbrand schließt sich eine aufwändige Nachbearbeitung mit Diamantwerkzeugen an. Gängige Verfahren sind dabei Schleifen, Bohren, Trennen, Läppen und Polieren. Als neuere Bearbeitungsmethoden gelten Schneiden und Bohren mit Lasern, das Ultraschall-unterstützte Schleifen und Bohren sowie das laserunterstützte Drehen und Fräsen.

Kosteneffizienz
An der richtigen Stelle eingesetzt, kann Keramik richtig Geld sparen. Das zeigen die diversen Anwendungsbeispiele aus Draht- und Bandwalzwerken: Keramische Rollen dehnen Inspektionsintervalle auf das 15-fache aus, bilden weniger Risse aus und minimieren den Abrieb, der sonst Folienoberflächen beeinträchtigt. Bei Heizprozessen mit elektrischer Induktion verschwinden die Energieverluste, die bei Stahlrollen in Höhe von 20 % anfallen. Wo richtig eingesetzt, bewährt sich Keramik also als Problemlöser.
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