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„Nachhaltige Prozesse sind durchaus wirtschaftlich“

WZL-Direktor Prof. Fritz Klocke sagt, wie sich die Nachhaltigkeit der Fertigung optimieren lässt
„Nachhaltige Prozesse sind durchaus wirtschaftlich“

Um weitere Fortschritte in Richtung einer nachhaltigen Produktion zu erzielen, muss der geldwerte Vorteil der Maßnahmen transparent sein, sagt Prof. Fritz Klocke. Er ist Mitglied der Direktorien des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen. §

Autor: Das Interview führte Haider Willrett

Herr Prof. Klocke, die nachhaltige Produktion spielt beim Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquium wieder eine zentrale Rolle. Was charakterisiert nachhaltige Prozesse?

Wir haben viel darüber diskutiert und uns darauf geeinigt, dass wir Nachhaltigkeit nicht mit einer Kenngröße bewerten sollten, sondern unter ökologischen, ökonomischen und sozialen – also die Gesellschaft und das Arbeitsumfeld betreffenden – Gesichtspunkten. Diese Definition hat zwischenzeitlich weite Akzeptanz gefunden. Sie gibt uns alle Möglichkeiten, Prozesse gesamtheitlich zu beschreiben und zu bewerten.
Wo liegen die Herausforderungen beim Umsetzen dieser Definition in die Praxis?
Das ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Wichtig ist, dass der Nutzen transparent wird. Am überzeugendsten lassen sich Nachhaltigkeitsanstrengungen bewerten, wenn sich die Ergebnisse in geldwerten Vorteilen messen lassen. So können wir zeigen, dass nachhaltiges Produzieren nicht nur emotional gut ist, sondern auch betriebswirtschaftliche Vorteile bringen kann.
Wie lassen sich Nachhaltigkeitseffekte in der Produktion finanziell messen?
Eine Grundvoraussetzung hierfür ist, Stoff- und Energieströme eines Unternehmens detailliert zu erfassen. Man braucht quasi eine Landkarte der Verbräuche. Das ist schon die erste Herausforderung, denn die zur Verfügung stehenden Zahlen sind im Allgemeinen nicht gut genug aufgelöst. Wir benötigen bis auf die Verbrauchsstellen aufgelöste Daten. Dann können wir Brennpunkte erkennen und gezielt Maßnahmen ansetzen.
Wie lassen sich diese Bilanzen auf Auftragsebene herunterbrechen?
Es muss uns gelingen, Energie- und Stoffströme in der Wertschöpfungskette, auf Auftragsebene und im gesamten Produktionsumfeld transparent zu machen. Auf Auftragsebene helfen Modelle, die wir in der Auftragserstellung nutzen, um Energie- und Stoffbedarfe zu kalkulieren. Im realen Produktionsprozess können wir diese Informationen dann mit Bewegungsdaten koppeln und so flexibel Bedarfsprofile erkennen. Mit Hilfe moderner Sensorik können wir diese Profile mit der Realität abgleichen und unsere Modelle verfeinern. Wir müssen aber die gewonnen Daten immer im Zusammenhang mit der gesamten Produktionsfläche sehen. Im Übrigen sind es nicht nur die Verbräuche, die uns interessieren, sondern auch die Möglichkeiten zur Rekuperation – etwa indem wir die Abwärme von Maschinen nutzen, um das Gebäude zu heizen.
Wie lassen sich die unterschiedlichen Verbrauchsarten messen und vergleichen?
Wir führen Leistungsmessungen durch, wir können zum Beispiel durch Kraftmessungen und zugeordnete Geschwindigkeiten über der Zeit Energieinformationen erhalten oder an Verbrauchsstellen Wasser- und Druckluftmengen messen. Entscheidend ist dabei, die unterschiedlichen Verbrauchseinheiten auf eine vergleichbare Basis zu transferieren. Und das ist die Energie. Auf Basis des eingesetzten Energieäquivalents können wir konsolidieren und bilanzieren.
Welche Möglichkeiten bietet Industrie 4.0 in diesem Zusammenhang?
Diese Frage steht im Mittelpunkt des Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquiums. Wir wollen im AWK an Fallbeispielen zeigen, wie sich durch Messungen am Arbeitsplatz Daten gewinnen und damit Modellrechnungen betreiben lassen. Wir können diese Modelle zeitnah mit Informationen über Energie- und Rohstoffpreise aus den Sozialen Netzen koppeln und geldwerte Informationen generieren. Wir können sogar noch einen Schritt weiter gehen und auch die CO2-Relevanz aufgrund des verwendeten Energiemixes kalkulieren. Ausgehend von der Frage ‚Was geschieht, wenn wir diese oder jene Größe verändern?‘, können wir damit letztlich verschiedene Szenarien berechnen. Alle Informationen, die wir so gewinnen, können wir in Änderungen der Arbeitspläne und optimierte Abläufe implementieren. Damit all das aber auch in einem wirtschaftlich sinnvollen Rahmen geschieht, müssen wir genau darauf achten, welche Daten jeweils relevant sind und nur diese berücksichtigen.
Welchen Beitrag liefern die so genannten sozialen Netzwerke dazu?
Sie geben uns an dieser Stelle zwei große Möglichkeiten. Da ist zunächst der schnelle Zugriff auf wichtige Daten und Informationen, etwa aktuelle Energie- und Rohstoffpreise. Und dann kann der Nutzer über Best-Practice-Beispiele viel von anderen lernen. Sie werden überrascht sein, wie viele Unternehmen ganz explizit Nachhaltigkeitsfragen in der Unternehmensmission adressieren.
Wo stehen die deutschen Betriebe mit Bezug auf die Nachhaltigkeit ihrer Prozesse?
Das Erfreuliche ist, dass viele Unternehmen Nachhaltigkeitsfragen zum Chef-Thema erklärt und sich intensiv damit auseinandergesetzt haben. Inzwischen belegen viele Fallbeispiele, dass sich die Anstrengungen auch rechnen. Wir sehen heute, dass sich das Thema auch über ganze Zuliefernetze erstreckt. Es geht nicht mehr nur darum, die Prozesse im Einzelunternehmen zu verbessern, sondern das gesamte Netzwerk zu optimieren. Das ist auch aus ökologischer Sicht sehr wichtig. Zum Beispiel kann ein reduzierter Materialverbrauch in der Produktion den Energie- und Rohstoffbedarf in der Materialherstellung überproportional senken.
Was sind die Voraussetzungen dafür, dass die genannten Maßnahmen zu den bestmöglichen Ergebnissen führen?
Dazu müssen alle im Gesamtprozess beteiligten Systeme vernetzt sein und sich in Echtzeit nicht nur austauschen, sondern auch auf Veränderungen anderer Teilsysteme reagieren können. Das führt uns wieder zum Thema Industrie 4.0. Vernetzte Prozesse sind die Basis für weiterhin attraktive Produktionsbedingungen in Deutschland. Und das ist ein Schlüsselfaktor fürs nachhaltige Wirtschaften, denn wir brauchen Wertschöpfung.
Wird die vernetzte Fertigung noch Arbeitsplätze für Menschen bieten?
In der eigentlichen Produktion wird es nur noch wenige Spezialisten geben, die die Prozesse einrichten, steuern und bei Bedarf flexibel eingreifen. Aber im Umfeld wird es wieder vermehrt Arbeit auch für weniger hoch Qualifizierte geben. Das ist wichtig und gehört zu unserer sozialen Verantwortung, denn Menschen brauchen Arbeit. •
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