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Spritzgussteile können fühlen

Deko- und Sensorfolien werden beim Spritzgießen im Bauteil integriert
Spritzgussteile können fühlen

Kunststoffteile spritzen, die zugleich Eingabefunktionen bieten – diese Möglichkeit wurde auf der Messe Fakuma vorgestellt und wird auf der Euromold nochmals zu sehen sein. Der Clou: Das dekorative Aussehen kommt dabei nicht zu kurz, sondern wird vom Prozess gleich mitgeliefert.

Was früher einmal das Ergebnis eines aufwändigen mechanisch-elektrischen Montagevorgangs war, liefert heute die Spritzgießfertigungszelle in einem einstufigen Prozess: Es entstehen konstruktiv gestaltbare Kunststoffteile mit Singletouch- oder Multitouchfunktion – also mit Schalt- oder Wischfunktionen – und ersetzen die früheren mechanischen Eingabeelemente. Der Kern dieser Technologie sind sensorische Funktionsfolien der PolyIC GmbH & Co. KG, einer Tochter des Beschichtungsspezialisten Leonhard Kurz Stiftung & Co. KG – beide mit Sitz in Fürth. Während des Spritzgießens werden die Touchsensor-Folien und die Dekors simultan auf die entstehenden Teile appliziert.

Auf der Messe Fakuma war die Produktion der Multitouch-Komponente auf dem Stand des Spritzgießmaschinenbauers Sumitomo Demag zu sehen, die Singletouch-Anwendung beim Thüringer Werkzeugbauer Roth, gefertigt auf einer Maschine von KraussMaffei. „Wir haben ganz bewusst auf zwei getrennte Projekte gesetzt“, sagte Johannes Schad von PolyIC auf der Kunststoff-Messe. „Durch funktionsfähige Fertigungszellen wollten wir zeigen, dass die Technologie serienreif ist.“
Die Umsetzung einer solchen neuen Technologie lebt naturgemäß vom Einsatz von Partnern – unverzichtbar ist im Spritzgießbereich beispielsweise das Know-how des Werkzeug- und Formenbauers. Und Marco Roth, Geschäftsführer der Roth Werkzeugbau GmbH in Wiebelsdorf, zeigt sich selbst fasziniert von der Sensorfolientechnologie: „Die neuen Möglichkeiten für Produktdesigner sind vielfältig. Das Motto „form follows function“ wird damit zum Auslaufmodell“, meint er. „Stellen Sie sich nur einen fugenlosen Armaturenträger im Auto vor. Das wird die Branche in Bewegung versetzen.“ Auf der Euromold will er die Fertigung der Mittelkonsole mit Singletouch-Funktion noch einmal vorstellen (Halle 8.0, Stand B120).
Mit ihr lassen sich funktionsbereite Bauteile herstellen, die schon über alle notwendigen elektrischen Bedienelemente verfügen, wenn sie die Spritzgießzelle verlassen. Schalter, Taster, Schieberegler und andere berührungsempfindliche Funktionen können realisiert werden. Die sensorische Folie befindet sich auf der Rückseite des Bauteils und reagiert auf die Bewegung des Fingers auf der Sichtseite – im Falle der Multitouch-Komponente auch auf Wischbewegungen. Die elektrischen Impulse werden von einem Steuergerät ausgelesen und weiter verarbeitet.
Die Integration von Funktion und Dekoration findet in einem kombinierten Prozess durch Inmold Labeling (IML) und Inmold Decoration (IMD) statt. PolyIC, Pionier für Produkte auf Basis der gedruckten Elektronik, erklärt den Prozessablauf so: Aus der Laminatfolie mit kapazitiver Touch-Funktionalität werden einzelne Inmold Labels gewonnen. Sie werden in eine Werkzeughälfte eingelegt und mit dem Kunststoffmaterial hinterspritzt – und sind fortan die Rückseite des entstehenden Spritzgussteiles. Gleichzeitig wird eine Trägerfolie mit dekorativer Beschichtung an der zweiten Werkzeughälfte vorbeigeführt, die sich während des Spritzgießens vom Träger löst und mit der Vorderseite des Bauteils verbindet (IMD-Verfahren). Um beide Vorgänge in ein und demselben Spritzgießprozess realisieren zu können, musste eine besondere Werkzeugtechnologie entwickelt werden. Außerdem wurde eine Funktionsfolie benötigt, die sich im IML-Verfahren verarbeiten lässt. Sie ist der Kern der Technologie und nennt sich PolyTC.
Die IML-fähigen Funktionsfolien sind transparent und bieten aufgrund ihrer metallischen Leitfähigkeit eine hohe Sensor-Abtastrate, Signalgüte und Störfestigkeit, wie die Kurz-Tochter PolyIC mitteilt. Damit ermöglichen sie die Produktion sehr dünner, flexibler und transparenter Touchsensoren, die sich in viele Anwendungen leicht integrieren und mit konventionellen Elektronikbauteilen ansteuern lassen. Die Folien bestehen aus PET und sind zwischen 36 und 100 µm dick. Leitfähige Strukturen ab 10 µm Größe können auf sie aufgebracht werden.
PolyTC-Folien werden in einem Rolle-zu-Rolle-Produktionsprozess hergestellt, der eine große Herstellungskapazität gewährleistet. Stolz ist man in Fürth darauf, dass bei dem Fakuma-Exponat auch der „Kontaktschwanz“ für die Verbindung mit der konventionellen Elektronik drucktechnisch als Teil der Folie realisiert werden konnte – eine große Erleichterung unter anderem für die Montage.
Aus der Sicht von Kurz sind durch Inmold Labeling integrierte Touchsensor-Funktionen ein großer Vorteil, weil sich durch Kombinieren mit IMD ein einheitliches und edles Oberflächendesign realisieren lässt: Die Designvielfalt und -qualität von Inmold Decoration könne dann uneingeschränkt genutzt werden. Und Kurz bietet IMD-Designs in verschiedensten Farben, Mustern und Strukturen.
Beispiele dafür sind realistische Holz-, Marmor- oder Carbon-Looks. Daneben gibt es ein breites Spektrum an Echtmetall-Beschichtungen, die sich in bunten Metallfarben, in verschiedenen Glanzgraden oder in der Optik sandgestrahlter oder gebürsteter Oberflächen produzieren lassen. Alle diese Designs stünden, so heißt es, für das Dekorieren von Touchsensor-Bedienfeldern zur Verfügung. Um die kapazitiven Bedienelemente ansteuern zu können, werden für die Metalldesigns nicht leitende, so genannte NCVM-Beschichtungen (Non Conductive Vacuum Metallized) verwendet. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für die Oberflächengestaltung von Autoinnenräumen, Telekommunikations-, Haushalts- und Unterhaltungsgeräten.
Nicht zuletzt bringt die Prozessverknüpfung von IML und IMD auch Kostenvorteile, da sich Dekoration und Touchfunktionen in nur einem Spritzgießvorgang realisieren lassen. Das Ergebnis ist ein besonders effizienter Produktionsprozess. Der andererseits aber eine gewisse Mindeststückzahl voraussetzt. Das wird an der vollautomatisch und autark betriebenen IMD-IML-Produktionszelle deutlich, die Sumitomo Demag auf der Fakuma präsentierte, um das besagte Multitouch-Display zu fertigen, dem zweiten genannten PolyIC-Projekt. Denn daran war eine Vielzahl von Partnern beteiligt:
Herzstück der Anlage ist eine Systec 210-430 (2100 kN), die 2 mm dicke PMMA-Displayrahmen mit einem 1-Kavitäten-Werkzeug von HBW-Gubesch Kunststoff-Engineering produziert. Die Displays haben eine Diagonale von 3,5 Zoll. Die angesaugte Außenluft reinigt ein Laminar-Flow-Modul von Max Petek Reinraumtechnik. Die IMD-Dekorationsfolie bringt ein Vorschubgerät von Leonhard Kurz ein, das oberhalb des Werkzeugeinbauraums montiert ist. Die von PolyIC hergestellte Endlosfolie wird im Werkzeug während der Schließbewegung passend gestanzt.
Die Funktionsfolie hingegen entnimmt ein 6-Achs-Roboter aus einem Magazin und legt sie in das Werkzeug ein. Mittels Vakuum wird sie toleranzgenau auf ±0,2 mm fixiert. Für das umfangreiche Handling von Folie und Display sorgt die Automation der SAR Electronic GmbH. Am fertigen Rahmen befinden sich ebenfalls hauchdünne Kontaktelemente zur Anbindung an die Automobilelektronik.
Das Werkzeug wird mit Hilfe der teco-vario-Technik von gwk, Kierspe, temperiert. Die Steuerung der Kühlung wird über eine Schnittstelle mit der Maschinensteuerung verknüpft und von der Sumitomo-Demag-Steuerung NC5 plus komplett abgebildet. Eine umfassende Finishtechnik der Kist Maschinenbau GmbH rundet die Fertigungszelle schließlich ab: Den Filmanguss trennt ein Laser ab. Anschließend wird das fertige Display gereinigt und ein UV-Lack als Oberflächenschutz aufgebracht. Nach der vollständigen Trocknung des Lacks wird das Bauteil abgelegt. Insgesamt dauert der Zyklus mit allen Produktionsschritten nur rund 50 s, teilt Sumitomo Demag mit.
Roth Werkzeugbau auf der Euromold: Halle 8, Stand B120
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