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„Wir haben eine große Aufgabe für den Werkstoff CFK bekommen“

Spitzencluster MAI Carbon: Geschäftsführer Rainer Kehrle sieht CFK als Chance für den Standort D
„Wir haben eine große Aufgabe für den Werkstoff CFK bekommen“

Das neue Spitzencluster MAI Carbon will die Prozesskosten für die CFK-Fertigung in fünf Jahren um 90 % senken. Wie die Partner dieses und andere ehrgeizige Ziele anpacken, erklärt Geschäftsführer Rainer Kehrle.

Was gab denn den Ausschlag dafür, dass MAI Carbon zum Spitzencluster wurde?

Beeindruckt hat die Jury, dass die Wertschöpfungs- und Innovationskette im Netz exzellent besetzt ist und dass wir eine ergebnisoffene Verwendung für den Werkstoff anstreben. Die Jury wollte wissen, was denn passiert, wenn der Automobilbau nicht auf CFK anspringt. Da meinte einer der Geschäftsführer, die mich nach Berlin begleiteten: Wir haben so viele Anwendungen, dass wir den Automobilbau nicht brauchen. Der Markt ist eben viel breiter, als oft wahrgenommen wird.
Welche Märkte gibt es noch für Carbon Composites?
Ein eklatant wichtiger Anwendungsbereich ist zum Beispiel der Maschinenbau. Wenn Sie bei bewegten Teilen leichter bauen, können Sie Energie sparen, die Präzision steigern oder generell die Produktivität erhöhen. Dafür hilft jedes eingesparte Gramm! Das ist in CFK nicht ganz einfach zu konstruieren, aber es lohnt sich.
Haben Sie ein Anwendungsbeispiel?
Ja, ich sage es firmenneutral: In einer Werkzeugmaschine eines namhaften Herstellers gab es eine Antriebswelle, die bei bestimmten Werkstückgeometrien zu Schwingungen angeregt wurde und somit das Bearbeitungsergebnis beeinträchtigen konnte. Diese Antriebswelle wurde durch eine CFK-Welle ersetzt – und das Bearbeitungsergebnis war perfekt.
Wie konkret sind die Ziele, denen sich MAI Carbon verpflichtet hat, etwa für den Automobilbau?
Wir haben uns messbare Ziele gesetzt. So gibt es Vorgaben für die Wertschöpfung und die Arbeitsplätze, die wir schaffen wollen. Und es gibt harte technologische Ziele, die nicht aus der Luft gegriffen sind: Wir wollen die Prozesskosten um 90 Prozent und die Materialkosten um die Hälfte senken. Ob wir das aber wie gewünscht schon in fünf Jahren schaffen, wage ich aus Ingenieurssicht nicht zu versprechen.
Woher stammen diese Vorgaben?
Im Falle des Automobilbaus haben wir einfach geschaut, was er braucht. Die Automobilindustrie kauft Performance zu einem bestimmten Preis. Und mit den 90 Prozent Prozesskostenreduktion landen wir unter der kritischen Schwelle.
Wie gehen Sie vor, um diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen?
Wir haben insgesamt 24 Indikatoren, die wir messen. Bei jedem Projekt und jeder Aktivität prüfen wir, welche Beiträge sie für welche Indikatoren leisten können, etwa für die Prozesskostenreduktion. Oft finden wir riesige Potenziale vor. Etwa bei Verfahren für Stückzahl 1, die wir für Stückzahl 300 umbauen wollen.
Welche Entwicklungen stehen primär an?
Immer wieder geht es um Prozesse und um Automatisierung. Die gut ausgebildeten deutschen Ingenieure haben gerade bei dieser Kombination ein großes Know-how und auch die notwendige Lust an der Tüftelei, so dass es uns gelingen kann, kostengünstige Verfahren zu entwickeln.
An welche Verfahren denken Sie, wo sehen Sie großes Potenzial?
Bei allen Verfahren, die viele Prozessschritte weglassen. Ich nenne Ihnen welche: Es gibt bereits jetzt Beispiele für Direktverfahren, die ohne Zwischenschritte wie Gewebe- oder Gelegeherstellung direkt zum Bauteil führen. Oder endkonturnahe Verfahren wie das Flechten, bei denen nicht mehr umgeformt oder zurechtgeschnitten werden muss.
Wie steht es um die Injektionsverfahren?
Da gibt es die Thermoplast- und die Duroplast-Schiene, die beide befahren werden. Ihre Produktivität ließe sich eventuell noch erhöhen, wenn in Dicken-Richtung injiziert wird wie beim Spaltinjektionsverfahren. Aber dennoch sind diese Verfahren in ihrer Prozesszeit nach unten begrenzt.
Wieviele MAI-Carbon-Projekte werden sich voraussichtlich mit Verfahren befassen?
Rund 50 Prozent unserer derzeit beantragten Mittel fließen in das Thema Prozesse.
Über welches Budget verfügt das Spitzencluster in den fünf Jahren seiner Laufzeit?
Das Fördervolumen für MAI Carbon beträgt 40 Millionen. Da die Vorhaben maximal zu 50 Prozent gefördert werden, rechnen wir mit einem Gesamt-Projektvolumen von 80 Millionen Euro oder mehr.
Welche Bedeutung wird CFK aus Ihrer Sicht in zehn Jahren haben?
Wenn wir erfolgreich sind, wird CFK ein ergänzender Konstruktionswerkstoff für viele Branchen sein. Um Zahlen zu nennen, zitiere ich eine Studie: McKinsey prognostiziert das größte Wachstum von CFK im Automobilbau – und zwar mit durchschnittlich 17 Prozent im Jahr für die nächsten 20 Jahre. Das wäre in den nächsten fünf Jahren eine Verdoppelung.
BMW startet mit Carbon in der neuen i-Reihe. Ist schon absehbar, wie es im Automobilbau weitergeht mit CFK?
Die Frage lässt mich etwas schmunzeln. Denn in kleinen Serien sind CFK-Teile längst auf den Straßen, zum Beispiel im Audi R8. Die Großserie ist hingegen ein Thema von MAI Carbon. Außer BMW halten sich die Hersteller sehr bedeckt. Audi etwa spricht eher vom richtigen Werkstoff am richtigen Ort zum richtigen Preis.
Wie werden sich Preis und Verfügbarkeit entwickeln, die bisher als Hindernis für den Carbonfaser-Einsatz gelten?
BMW und SGL Carbon haben in Moses Lake/USA gezeigt, wie wirkungsvoll sich Kapazitäten ausbauen lassen. Dort sind zwei Linien installiert, die jeweils 1500 Tonnen Carbonfasern produzieren. Zum Preis: Auch hier gibt es Skaleneffekte mit der Chance, dass sich einiges reguliert.
Dass CFK also günstiger wird?
Ich sehe eine gute Chance, dass der Werkstoff seinen Platz findet – und das ist auch an den Preis gekoppelt.
Sollten sich Zulieferer jetzt mit der CFK-Technologie beschäftigen?
Es muss sich nicht jeder mit CFK befassen. Die bisherigen Werkstofflösungen werden nicht verschwinden. Darum wird es Zulieferer geben, die mit CFK nichts zu tun haben und solche, die sich mit dem Werkstoff auseinandersetzen müssen, weil er die Schnittstelle ist. Und solche, die ihn als Ergänzung aufgreifen und zum Einsatz bringen, etwa in Strukturen, die bisher Blech vorbehalten waren.
Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit von der des CCeV, der MAI Carbon initiiert hat?
MAI Carbon kann auf die stetige Netzwerkentwicklung des CCeV blicken und darauf aufbauen. Doch darüber hinaus haben wir eine große operative Aufgabe bekommen: die genannten Ziele mit dem Werkstoff Carbon Composites nun auch zu erreichen.
Wo sehen Sie persönlich Ihre wichtigste Aufgabe für den Erfolg von MAI Carbon?
Meine Aufgabe ist es, zu schauen, dass die technologisch wichtigen Themen adressiert sind und die Arbeiten zum Laufen kommen. Aber das ist nur der Anfang. Letztendlich geht es darum, dass wir als Konsortium die Chance nutzen, die uns dieses Spitzencluster bietet. Nicht zuletzt, dass die Expertise für CFK hier in der Region und damit in Deutschland bleibt.
Also auch eine politische Aufgabe?
Die Aufgabe, das Gesamtsystem so zu etablieren, dass es eine eigene Dynamik entwickelt. Die Förderung läuft nur fünf Jahre, doch das Cluster ist unbegrenzt ausgerichtet. Wir haben die Perspektive, 60 bis 80 Prozent der Wertschöpfung hier in den Unternehmen zu behalten!

Spitzencluster MAI Carbon

MAI Carbon ist eine Initiative des Carbon Composites e.V. (CCeV) in Augsburg und hat im Januar den Zuschlag zum Spitzencluster erhalten. Damit haben die 74 beteiligten Unternehmen, Bildungs- und Forschungseinrichtungen aus der Region München-Augsburg-Ingolstadt in Aussicht, vom Bund über fünf Jahre mit bis zu 40 Mio. Euro gefördert zu werden.
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