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EU Automation stellt Anwendungen mit Formgedächtnislegierungen vor

Formgedächtnis: Die Legierung, die nichts vergisst
EU Automation präsentiert Shape-Memory-Anwendungen

Bei Temperaturwechsel verändern Formgedächtnislegierungen ihre Form. Das macht sie zum beliebten Material im Flugzeugbau, der Medizintechnik und im Bauwesen. Warum, erläutert Bernard Zwickler von der EU Automation GmbH.

Bernard Zwickler
Geschäftsführer der EU Automation GmbH,
Mörfelden-Walldorf

Im Jahr 1932 fand der schwedische Chemiker Arne Ölander heraus, dass eine Gold-Cadmium-Legierung im abgekühlten Zustand gebogen werden kann, aber nach dem Erhitzen wieder ihre ursprüngliche Form annimmt. Ungefähr 30 Jahre später entwickelten William Buehler und Frederick Wang vom US Naval Ordnance Laboratory eine Nickel-Titan-Legierung, die nach einer Verformung wieder zu ihrer Ausgangsform zurückkehren kann. Einige Metalle zeigen den Shape Memory Effect aufgrund einer reversiblen Änderung in ihrer Kristallstruktur.

Formgedächtnislegierungen (FGL) verfügen über zwei verschiedene Phasen mit jeweils unterschiedlichen Kristallstrukturen und damit unterschiedlichen Eigenschaften. Während der Niedertemperaturphase (Martensit) lassen sich die Materialien in verschiedene Formen bringen. Während der Hochtemperaturphase (Austenit) gehen die Materialien für gewöhnlich wieder in ihre ursprüngliche Form über. Im Gegensatz zu herkömmlichen Materialumwandlungen mit Atomdiffusion lässt sich die Phasenumwandlung bei FGL auf eine Verzerrung des Kristallgitters zurückführen. Dadurch ist sie reversibel. Zudem verfügen FGL über eine Art „Superelastizität“, die es ihnen ermöglicht, sich beim Erhitzen so ähnlich wie Gummi zu verhalten.

Formgedächtnislegierungen schützen Brücken bei Erdbeben

FGL werden bei Bauten zur Verstärkung eingesetzt. So kann es beispielsweise durch ein Erdbeben bei einer Brücke oder einer ähnlichen Konstruktion zu einem Versatz kommen. Um dies zu vermeiden, werden üblicherweise Haltevorrichtungen mit Stahlseilen oder Schock-Übertragungseinheiten verwendet. Doch FGL könnten aufgrund ihrer höheren Elastizität und ihrer Fähigkeit, nach der Verformung wieder ihre ursprüngliche Form anzunehmen, eine effektivere Alternative sein.

Leider ist der Preis von FGL immer noch ziemlich hoch im Vergleich zu herkömmlichen Baumaterialien. Außerdem kann sich aufgrund ihrer Härte das Schweißen als schwierig erweisen. Das gilt besonders für die Verarbeitung von Stäben mit großem Durchmesser, die für solch eine Anwendung erforderlich sind.

Medizintechnik: kardiovaskuläre Unterstützung

Sogar in medizintechnischen Anwendungen lassen sich FGL nutzen. Beispiele sind Drähte bei der kieferorthopädischen Behandlung, Platten bei Knochenbrüchen oder Medizingeräte zum Offenhalten von verstopften Blutgefäßen. Insbesondere die Formgedächtnislegierung Nitinol, eine Legierung aus Nickel und Titan, weist eine hervorragende Körperverträglichkeit auf und eignet sich daher für die Herstellung von Stents.

Bei einem Stent handelt es sich um ein Drahtröhrchen, das eine schwache oder verengte Arterie in ihrer Struktur unterstützt und den Blutfluss wiederherstellt. Sich selbst erweiternde Stents werden mit einem größeren Durchmesser produziert als dem der Zielarterie – die Umwandlungstemperatur liegt bei ungefähr 30 °C. Der Stent verformt sich bei einer niedrigeren Temperatur und kann nach dem Einsetzen wieder seine ursprüngliche Form annehmen, wenn er die Körpertemperatur erreicht.

Formgedächtnislegierungen als leiser und leichter Antrieb

Eine besonders interessante Eigenschaft von FGL ist ihre Fähigkeit, etwas zu bewegen, zum Beispiel in Flugzeugen oder in der Raumfahrt. „Indem man die Temperatur dieser Metalle ändert, können sie etwas drücken oder ziehen und somit bewegen“, erklärt Dr. Othmane Benafan, Materialforscher am Glenn Research Center der Nasa in Cleveland (Ohio) und Teamleiter für Formgedächtnislegierungen. „Die dafür nötige Wärme kann von einem elektrischen Widerstand stammen, aus Abwärme oder sie ergibt sich einfach aus Veränderungen in der Umgebungstemperatur – zum Beispiel wenn ein Flugzeug abhebt und seine Flughöhe erreicht oder wenn ein Raumfahrzeug nach einem heißen Start den kalten Bedingungen im Orbit ausgesetzt wird.“

Ein Formgedächtnismaterial ließe sich also verwenden, um kostengünstig Bewegungen zu erzeugen. Die Energie dafür ist vorhanden. Die Verbrennungswärme des Motors etwa könnte zum Erwärmen und Abkühlen der FGL genutzt werden. Wie man sich vorstellen kann, sind Bewegungen durch FGL wesentlich leiser als ein hydraulischer, pneumatischer oder elektrischer Antrieb, was den Passagieren an Bord zugute kommt.

FGL können zudem eine große Kraft übertragen – üblicherweise auf kleinerem Raum als herkömmliche Aktuatoren. Dies ist insbesondere in der Luft- und Raumfahrt nützlich. Kleine Antriebe und Aktoren ließen sich beispielsweise viel näher an den Flügelkanten unterbringen. Der Einsatz von FGL reduziert außerdem die Zahl der Antriebselemente an Bord wie Pumpen, Getriebe, Fluide und Dichtungen. Die geringere Zahl an Komponenten verringert das Risiko von Teileversagen.

In den 50er-Jahren, seit Buehler und Wang die erste Formgedächtnislegierung entwickelt haben, haben sich die Eigenschaften dieser Materialkategorie als herausragend erwiesen. Werden die Möglichkeiten für Antriebsaufgaben weiter erforscht, könnten FGL sich sogar in herkömmlichen Bereichen der industriellen Fertigung etablieren – gefährden werden sie die Motorentechnologie in absehbarer Zeit dennoch nicht.

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