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Am E-Mobil geht kein Weg vorbei

Elektromobilität: Will die heimische Industrie mitmischen, muss sie starke Netzwerke bilden
Am E-Mobil geht kein Weg vorbei

Dass die E-Mobilität in großem Maßstab kommt, ist unumstritten. Bleibt nur die Frage, ob die hiesige Industrie auch bei dieser Technik maßgeblich mitmischen kann. Ihre Chancen stehen nicht schlecht – wenn sie sich schnell und intensiv vernetzt.

„Wir werden eine neue Automobilindustrie außerhalb Deutschlands erleben, die von Anfang an konsequent auf Elektromobilität setzt“, sagte Umweltstaatssekretär Jürgen Becker auf dem 2. Elektro-Mobil-Kongress des Nova-Institutes in Bonn. Dabei ist besonders an China zu denken. Die Planer im Reich der Mitte wollen ihr Land elektrisch mobilisieren und so einen Ausweg bahnen aus der schon heute extrem hohen Luftbelastung der Megastädte. Prof. Ma Jun von der Tongji-Universität Shanghai hat unter dem Titel „Der Weg zur E-Stadt“ ein Konzept erarbeitet, wonach die Menschen große Distanzen mit Zügen und S-Bahnen überwinden, auf kurzen und mittleren Strecken mit kleinen E-Autos unterwegs sind und für Kurzstrecken auf elektrische Zweiräder zurückgreifen können – als Alternative zu den heute millionenfach verwendeten Fahrrädern. Vieles spricht dafür, dass chinesische Hersteller sich daran machen, das Auto in seiner elektrischen Variante von Grund auf neu zu erfinden, frei vom Ballast gewachsener Fahrzeug-Architekturen – mit staatlicher Hilfe und einem garantierten Massenmarkt im Rücken.

Diesen Massenmarkt braucht es auch, wenn das Projekt gelingen soll. Denn Kosten von 20 000 Euro für die Batterie, wie sie heute noch zu veranschlagen wären, sind ein KO-Kriterium, selbst in der EU. Doch dabei muss es nicht bleiben. VW-Manager Dr. Karl-Thomas Neumann, Elektromobil-Beauftragter des Konzerns, hält 4500 Euro für den Lithium-Ionen-Akku eines Golf mit 26 kWh durchaus für denkbar, wenn die Preise ähnlich fallen wie bei Notebook-Akkus. Nur dass es dazu eben Stückzahlen braucht. Fernöstliche Neueinsteiger haben diese Stückzahlen. Damit ist klar: Die E-Mobilität wird kommen, mit oder ohne die etablierte Autoindustrie. Ob sie bei dieser Technologie eine führende Rolle einnehmen wird, hängt von den Anstrengungen ab, die jetzt unternommen werden. Neumann hält daher „eine enorme nationale Kraftanstrengung der gesamten Industrie und der Politik“ für unabdingbar.
Die Bundesregierung hat diese Situation erkannt. In ihrem „Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität“ formuliert sie das Ziel, dass bis 2020 rund 1 Million E-Fahrzeuge auf Deutschlands Straßen rollen. Vorschläge zur Umsetzung erarbeitet eine „Nationale Plattform Elektromobilität“, die mit Spitzenvertretern aus Wissenschaft, Industrie, Verbänden und Politik besetzt ist. Im November legt sie ihren ersten Zwischenbericht vor. Damit Deutschland nicht nur Leitmarkt, sondern auch Leitanbieter von E-Mobilität wird, stellt die Regierung außerdem 500 Mio. Euro Forschungsgelder bereit, verteilt auf einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren.
Ob dies ausreicht? Alleine sicher nicht. Doch die Chancen stehen gut, dass die von VW-Manager Dr. Neumann geforderte „nationale Kraftanstrengung“ gelingen wird. Das liegt an der Klimaproblematik. Die Regierung hat sich verpflichtet, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 % gegenüber 1990 zu senken. Jetzt verspricht sie, die Gewinne aus verlängerten AKW-Laufzeiten teils für die Investition in regenerative Energien abzuzweigen. Die Politik meint es offensichtlich ernst mit den Klimazielen. Das spüren auch die Autohersteller. Aufgrund einer EU-Direktive müssen sie bis 2015 den CO2-Ausstoß pro Neuwagen auf durchschnittlich 130 g/km senken, bis 2020 auf 95 g. Politik und Industrie können diese Ziele aber nicht ohne Elektroautos umsetzen. Weder die von der Bundesregierung selbstgesteckten noch die der Autoindustrie auferlegten Vorgaben zur CO2-Reduktion. Sie lassen sich nur erfüllen, wenn immer mehr Autos mit CO2-freier oder -armer Energie angetrieben werden statt durch den Verbrennungsmotor. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle verdichtet dies in einem Beitrag, den er kürzlich in der Industrieanzeiger-Ausgabe „Elektromobilität“ veröffentlichte. Diese Sonderausgabe berichtet umfassend über Trends, Fakten und technische Entwicklungen*. Brüderle schreibt dort: „Für Deutschland steht fest, dass Elektrofahrzeuge bei uns nur mit regenerativem Strom angetrieben werden sollen. Das bedeutet konkret: Der Mehrbedarf an Strom ist durch Erneuerbare Energien zu gewährleisten.“
Noch ein weiterer Umstand ist hier bedeutsam: Der steigende Anteil an erneuerbaren Energien destabilisiert das Stromnetz, weil die Ausbeute prinzipiell schwankt. Ihr Anteil an der Stromerzeugung beträgt schon heute 17 %, bis 2020 sollen es laut „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ mindestens 30 % sein. Das E-Auto als Puffer wäre eine elegante Lösung, um das Problem zu lösen und die Netze zu stabilisieren. Während dem Parken könnten die Lithium-Ionen-Akkus nicht nur Energie zwischenspeichern, sondern auch abgeben. Prof. Gernot Spiegelberg, in der Siemens-Forschung für E-Mobilität zuständig, sieht das E-Auto als „schaltbaren Verbraucher“. Aus seiner Sicht eröffnet sich der Elektromobilität ein kostengünstiger Weg in den Markt, „wenn das Auto integraler Bestandteil des Energienetzes wird“. Er bemängelt, dass dieser Synergieeffekt aus E-Mobil und Infrastruktur bisher zu wenig gesehen wird.
E-Mobilität und grüne Energien zusammen bilden also ein Produkt, das Zukunft hat und äußerst komplex ist. Hier liegt die Chance der heimischen, technologieorientierten Industrien: Lösungen zu entwickeln, die sich in den Elektromobilitäts-Strukturen bewähren, wie sie der freie Markt im Westen hervorbringen wird. Dieses Modell könnte dem chinesischen paroli bieten, das auf große Stückzahlen setzen kann und zentral geplant wird.
Die Industrien müssten dazu allerdings Netzwerke bilden, und zwar schnell. Darauf verweisen Verbände und Wissenschaftler. Hartmut Rauen, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des VDMA, setzt seine Hoffnung auf ein interdisziplinäres Vorgehen: „Wenn wir es schaffen, die hohe Präzision und Kundenorientierung des Maschinenbaus mit dem enormen Qualitäts- und Kostenbewusstsein sowie der logistischen Kompetenz der Fahrzeugbranche zusammenzubringen, dann stehen unsere Chancen im internationalen Vergleich sehr gut.“ Es gilt, Lade-Infrastrukturen und Know-how für das Netzmanagement aufzubauen. Die Batterien müssen bedeutend besser werden. Wichtig ist auch, die Kräfte des Marktes zu wecken und die Autokäufer zu begeistern. Und nicht zuletzt muss schon heute an die benötigte Fertigungstechnik gedacht werden. So fordert WZL- und IPT-Direktor Prof. Fritz Klocke von der RWTH Aachen, Modellproduktionen aufzubauen. „Eine Modellproduktion wäre die ideale Basis für alle Beteiligten, die erforderlichen Kompetenzen auf- und auszubauen.“
Ohne Initiativen und Projekte bewegt sich nichts. Vieles ist allerdings schon im Gange, wenn auch noch wenig koordiniert (nachzulesen in der Sonderausgabe „Elektromobilität“*). Die OEM haben Bündnisse mit Batterieherstellern geschmiedet, die Lithium-Ionen-Akkus und andere, innovative Technologien mit Hochdruck weiterentwickeln. Hochschulen und Fraunhofer-Institute arbeiten am Thema. Zulieferer konzipieren elektrische Antriebslösungen. Die Bundesregierung hat sieben Modellprojekte ins Leben gerufen, um das Zusammenspiel von Verkehrs- und Energienetzen zu erforschen. OEM und Energieversorger kümmern sich um Netze von Ladestationen. Und nicht zuletzt betreiben Regionen und Kommunen diverse Pilotprojekte zur E-Mobilität, an denen Stadtwerke und Energieversorger beteiligt sind.
Auf den ersten Blick sehr unübersichtlich. Doch das Vielerlei geht in die richtige Richtung. Das wird am Beispiel kleiner, mutiger Modellprojekte wie etwa in Nürtingen deutlich, die das Interesse an der Elektromobilität anstacheln (Seite 31): Käufern von Elektrorollern bietet die Stadt ihren Photovoltaik-Strom zum kostenlosen Tanken an und hat dafür an zentraler Stelle drei Zapfstellen installiert. Und im benachbarten Esslingen können E-Mobilisten ihr E-Mobil gegen Gebühr im Parkhaus auftanken – während des Einkaufsbummels.
Die Sonderausgabe „Elektromobilität“ steht zum Download auf der Homepage www.industrieanzeiger.de bereit
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