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„Auf dieses Werkzeug hat der Flugzeugbau gewartet“

Dr. Peter Müller-Hummel, bei Mapal für den Bereich Aerospace zuständig, übers Stackbohren
„Auf dieses Werkzeug hat der Flugzeugbau gewartet“

Wie es gelungen ist, sämtliche CFK-Metall-Verbünde mit einem Werkzeug wirtschaftlich zu bohren und welche Vorteile die Trockenbearbeitung bietet, erläutert Dr. Peter Müller-Hummel. Er ist bei der Aalener Mapal Dr. Kress KG für den Geschäftsbereich Aerospace verantwortlich.

Das Bohren von Kohlefaser-Metall-Verbünden – so genannten Stacks – gilt als Königsdisziplin. Wie ist der Stand der Technik bei Mapal?

Seit einigen Monaten bieten wir eine Werkzeuggeneration an, die komplett trocken arbeitet. Wir nennen diese smarten Werkzeuge Green Tools. Sie erzeugen nur dort Wärme, wo diese für den Prozess gebraucht wird. Das ist nicht nur in Sachen Umweltverträglichkeit des Prozesses ein großer Schritt nach vorne, es ist auch genau das, worauf viele Anwender gewartet haben. Damit treffen wir zu 100 Prozent die Anforderungen des Marktes.
Warum ist die Trockenbearbeitung hier so wichtig?
Die Vorteile sind in der Praxis vielfältig und groß. Gerade in der Luftfahrt, wo jeder Prozess qualifiziert werden und jederzeit reproduzierbar sein muss. Die meisten Bohrungen werden im Flugzeugbau in der Montage erzeugt. Das exakte Einstellen der Schmierstoffmenge ist jedoch mit den dort üblichen Bohrvorschubeinheiten sehr aufwändig und zeitintensiv. Mit einem Trockenbohrer geht der Werker einfach hin und bohrt. Der Kunde spart sowohl das Geld für den Schmierstoff als auch für die Reinigung der Werkstücke und der Späne. Dass CFK die unerwünschte Tendenz hat, diese Schmieröle aufzunehmen, spielt auch keine Rolle mehr.
Klingt überzeugend…
Ja. Und dazu kommt noch, dass der Kohlestaub zusammen mit dem Öl eine zähe Paste bildet, die die Späne bindet und extrem schwer aus dem Bohrloch zu transportieren ist. Außerdem haftet diese Paste an den Werkzeugschneiden an, führt zu einer Art Aufbauschneide und letztlich zum Bruch des Tools. Bedenkt man nun, dass das Bohren in der Montage einer der letzten Arbeitsschritte ist und die Teile bereits einen hohen Wert haben, dann ist schnell klar, dass der Bohrprozess absolut zuverlässig laufen muss.
Ist der Bedarf neu?
Nein, aber durch den vermehrten Einsatz solcher Stacks ist er in letzter Zeit deutlich gestiegen. Während meiner früheren Tätigkeit im Flugzeugbau versuchten wir bereits vor Jahren, ein solches Werkzeug zu entwickeln. Leider fehlte uns das Prozess-Know-how. Mapal hat dieses Wissen. Das war die Basis, um die Phänomene beim Bohren von Stacks zu verstehen, die richtigen Schlüsse zu ziehen und daraus recht schnell ein funktionierendes Werkzeugkonzept abzuleiten. Dieses analytische Vorgehen ist nicht verbreitet. Viele ermitteln ihre Lösung noch immer in Versuchsreihen. Aber das ist angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Stacks viel zu aufwändig und teuer.
Wie geht Mapal bei der Entwicklung solcher Werkzeuge vor?
Wir legen unsere Werkzeuge immer für den schwierigsten Einsatzfall aus. Bei Composites haben sowohl die Fasern als auch das Harz einen Einfluss darauf, wie das Werkzeug beansprucht wird. Der Worst Case sind thermoplastische Harze, bei denen die Zerspanungstemperatur deutlich unter 100 Grad liegen muss, und die IMS-Hochleistungsfasern, die extrem abrasiv sind. Nach den ersten Tests stellten wir fest, dass die Schneidkanten sehr schnell verrundeten. Dadurch wurde der Bohrer noch heißer und der Verschleiß stieg. Beim Besäumen des gleichen Materials mit einem Fräser traten diese Probleme nicht auf. Also testen wir einen Bohrer, der auch am Umfang Schneiden hatte. Die Ergebnisse waren sehr gut, die Standzeit stieg markant. Die positiven Effekte zeigten sich sowohl im Titan als auch im CFK.
Beeinflusst der Aufbau eines Stacks die Gestaltung des Werkzeugs?
Nein, unsere Green Tools funktionieren bei allen Stacks, egal aus welchen Materialien sie aufgebaut sind und in welcher Reihenfolge die Schichten folgen. Früher gab es Unterschiede, aber das ist mit unseren Green Tools nicht mehr der Fall.
Was ist das Besondere an diesen Werkzeugen?
Wir haben die Bohrer so gestaltet, dass die ganze Sekundärwärme, die normalerweise an einem solchen Werkzeug auftritt, gar nicht erst entsteht. Der Prozess ist quasi selbstoptimierend. Er holt sich die Wärme, wo er sie braucht – in der Schnittzone. Durch die hohe Temperatur dort schmilzt das Material, und das wiederum reduziert die Zerspankräfte, die Reibung und damit die Wärmebildung an Stellen, wo wir sie nicht haben wollen. Außerdem müssen die Schneiden so gestaltet sein, dass möglichst kleine und kalte Späne entstehen. Zu große Späne können die Bohrungswand schädigen. Das erkennt man dann an Kratzern im Bohrloch. Solche Hinweise haben wir genutzt, um unsere Bohrer sukzessive zu optimieren.
Ist bei Stack-Bohrern nur die Geometrie wichtig oder auch die Beschichtung?
Die Geometrie der Schneiden ist extrem filigran. Deshalb steht und fällt die Funktion mit einer perfekten Schutzschicht. Wir haben eine Diamantschicht im Einsatz, mit der man Titan zerspanen kann. Sie haftet extrem gut, was sehr wichtig und am Markt einzigartig ist. Mit dieser Schicht ist das Werkzeug zwar doppelt so teuer, aber die Standzeit verlängert sich um Faktor 10 bis 20.
Was passiert am Standzeitende?
Wenn die Schneide verschleißt, bildet sich am Bohrungsaustritt ein leichter Grat, der leicht zu erkennen und zu entfernen ist. Die eigentliche Bohrungsqualität ist über die gesamte Lebensdauer konstant.
Welche Genauigkeiten sind beim Bohren von Stacks erreichbar?
Normalerweise genügt eine IT9-Toleranz und die erreichen die Tools problemlos. Bombardier hat jedoch für die Qualifizierung der Bohrwerkzeuge für seine neue C-Serie eine IT8-Qualität gefordert. Und die hat außer uns niemand erreicht. Unser Ziel ist jedoch ein Bohrer, der IT7 liefert.
Sind die Green Tools ausschließlich für Stacks ausgelegt?
Nein. Unser Stackbohrer ist auch für die reine Titan-Zerspanung hervorragend geeignet. Die schlechte Wärmeleitfähigkeit des Titans ist dabei sogar nützlich. Wird der Vorschub ausreichend hoch gewählt, hat die Wärme keine Chance, sich im Material zu verteilen. Sie konzentriert sich im Schnittbereich und sorgt dafür, dass sich das Metall gut abtragen lässt. Um den Effekt zu verdeutlichen, vergleiche ich den Prozess gerne mit dem Schneiden von Butter: Mit einem kalten Messer ist das sehr schwer, mit einem warmen geht´s viel leichter. Mit modernen Hartmetall-Schneidstoffen und entsprechenden Beschichtungen sind Schneidentemperaturen von 500 bis 800 Grad kein Problem.
Werden diese Erkenntnisse auch Bohrtools für andere Materialien beeinflussen?
Davon bin ich überzeugt. Bei der Metallbearbeitung war es bisher kein Problem, wenn beim Bohren Wärme an den falschen Stellen entstand. Aber wenn man es schafft, das Werkzeug auch ohne Kühlung und Schmierung möglichst kalt zu halten, dann ist das ein riesiger Vorteil – sowohl was die Teilereinigung, die Medienentsorgung und Prozessqualifizierung angeht, als auch, weil sich so eine Gratbildung vermeiden lässt.
Wie ist das möglich?
Weil das Material kälter und damit stabiler bleibt. Dadurch schneidet der Bohrer das Metall, statt es als Grat zur Seite zu drücken.
Klingt, als sei dieses Werkzeugkonzept auch für andere Branchen interessant…
Ich denke, dass es gerade in der Medizintechnik oder im Automobilbau zu einem deutlich Fortschritt führen kann. Im Zuge der Leichtbaubemühungen setzen ja auch die Automobilisten zunehmend CFK-Stahl-Hybride ein.
Ist das Entwicklungspotenzial mit den aktuellen Green Tools ausgeschöpft?
Nein. Wir haben ein Werkzeug, das bei allen Arten von Stacks funktioniert, aber wir arbeiten daran, die Standzeit um Faktor 5 bis 10 zu verbessern. Bei CFK-Titan-Verbünden wird die Standzeitverbesserung nicht mehr so groß ausfallen wie bei CFK-Aluminium-Stacks, wo wir eine Verbesserung um Faktor 15 bis 20 anstreben.
In welchem Bereich liegen die Werkzeugkosten für eine Bohrung?
Die reinen Werkzeugkosten für eine Bohrung in einem CFK-Alu-Stack dürften aktuell unter zehn Cent pro Bohrung liegen. Unser Ziel sind fünf Cent. Eine Bohrung in einen Titan-Stack kostet heute rund einen Euro. Hier sollten 40 bis 50 Cent realistisch sein.
Wie schwierig war es für Mapal, im Flugzeugbau Fuß zu fassen?
Wir haben uns zur richtigen Zeit in dieser Branche engagiert. Fast alle Flugzeugbauer setzen zunehmend auf den Werkstoff CFK. Überall entstehen derzeit neue Modelle wie der A 350 von Airbus, der Dreamliner von Boeing oder die C-Serie von Bombardier, für die neue Prozesse qualifiziert werden müssen. Das war und ist unsere Chance. Gerade auch, weil es fürs Bohren von CFK-Metall-Verbünden bislang keine zufriedenstellenden Werkzeug-Lösungen gab. Wir suchten uns also den schwierigsten Bearbeitungsfall für den Einstieg aus. Dass es hier keinen nennenswerten Wettbewerb gab, erleichterte uns den Einstieg zusätzlich. Nachdem wir uns hier als Problemlöser etabliert haben, sind unsere Produkte zunehmend auch für die reine CFK-Bearbeitung und andere, einfachere Anwendungen gefragt.
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