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Industrie 4.0 im Spritzguss: Aus der Praxis für die Praxis

Industrie 4.0 im Spritzguss
Aus der Praxis für die Praxis

Kosten-, Effizienz- und Termindruck und höhere Variantenvielfalt führen zu immer komplexeren Prozessen. Hier ist die Integration von IT-Lösungen in den Produktionsprozess gefragt. Maschinenbauer Arburg betreibt sie seit über 30 Jahren – bei den eigenen Produkten genauso wie bei deren Herstellung.

Heinz Gaub
Geschäftsführer Technik bei Arburg in Loßburg

Die Chancen der digitalen Fabrik liegen auf der Hand: Mit Industrie 4.0 kann man die Produktionsprozesse oftmals effizienter, flexibler und transparenter machen und dabei noch die Stückkosten reduzieren. Durch Einbinden des Kunden mit seinen Wünschen und Anforderungen in die Wertschöpfungskette lassen sich darüber hinaus ganz neue Geschäftsmodelle realisieren und Großserienteile individualisieren. Chargen und Einzelteile können zu 100 % rückverfolgt werden, was überall dort gefordert wird, wo sicherheitsrelevante Aspekte zu berücksichtigen sind wie etwa in der Medizintechnik oder der Automobilindustrie.

Die Herausforderung liegt in einer flexibel automatisierten Fertigung, die nicht auf die Effizienz und Wirtschaftlichkeit einer Großserienfertigung verzichtet. Arburg hat sich der Aufgabe bei den eigenen Produkten für das Spritzgießen gestellt, aber auch in der eigenen Produktion.

Innovative Maschinenbauer entwickeln sich immer mehr zu Lieferanten flexibler Fertigungssysteme für die informationstechnisch vernetzte Produktion in der „Smart Factory“. Die digitale Fabrik der Zukunft wird sich selbst steuern und optimieren. Die Produktionsdaten werden nicht mehr zentral verwaltet, sondern mobil dezentral angezeigt und ausgewertet. Der Mensch übernimmt dabei die Rolle des „Produktionsdirigenten“, der die Prozesse und Abläufe überwacht und bei Bedarf regelnd eingreift.

Voraussetzung dafür sind ein hoher Automationsgrad und die durchgängige Vernetzung von Auftragsinformationen, Maschinen, Werkzeugen und Logistik. Damit der Produktfluss optimal funktioniert, müssen die Maschinen mit standardisierten Schnittstellen und Datenprotokollen gut aufeinander abgestimmt sein. Arburg bietet dafür vorbereitete Produkte: mit automatisierten Allrounder-Spritzgießmaschinen, der zentralen Selogica-Steuerung oder dem Freeformer für die additive Fertigung und IT-Lösungen wie dem Arburg Leitrechnersystem (ALS). Doch auch in der eigenen Fertigung orientiert sich der Maschinenbauer an der „Smart Factory“.

Industrie 4.0 in der Arburg-Fertigung

Als Vorreiter der Branche beschäftigt sich Arburg bereits seit über 30 Jahren mit der Digitalisierung der Produktion – sprich mit Industrie 4.0. Als Pilotunternehmen leistete Arburg einen wesentlichen Beitrag zur Erstellung des „Leitfaden Industrie 4.0“ des VDMA und wird als eines der Best-Practice-Beispiele im deutschen Maschinenbau vorgestellt. Am zentralen Produktionsstandort in Loßburg, Nordschwarzwald, sitzen alle Experten unter einem Dach. Dies ermöglicht es ihnen, schnell zu reagieren und Lösungen zu finden – sei es bei der Entwicklung neuer Produkte und Verfahren oder beim Umsetzen von „Industrie 4.0“ in der eigenen Spritzgießmaschinen-Produktion. Dort wird von der Logistik bis zur Datenarchivierung durchgängig IT-gestützt gearbeitet, auf SAP-Basis und teilweise selbstorganisierend. So lassen sich alle Einzelteile, Baugruppen und Produkte eindeutig identifizieren und jederzeit lokalisieren. Ihre Historie, ihr aktueller Zustand und ihre Zukunft sind bekannt. Einzelne Bausteine aus der Praxis:

Im sogenannten SAP-Maximalarbeitsplan sind alle Optionen für eine vollausgestattete Spritzgießmaschine hinterlegt – ähnlich wie bei der Konfiguration eines Autos. Entsprechend der Kundenspezifikationen wird über SAP automatisch ein Montageplan erzeugt, der genau alle für das gewünschte Produkt erforderlichen Arbeitsgänge enthält. Das gleiche gilt für die Maschinenstückliste.

Rund 65 Bearbeitungsmaschinen sind über das MES/MDE-System an die interaktive Produktionsplanung und Fertigungssteuerung angebunden. Das System wertet die Maschinenzustände online aus und überträgt die Daten in ein Laufzeitprotokoll. Es erzeugt ein so genanntes KPI-Dashboard, das Schlüsselkennzahlen wie Leistungsgrad, Plan-Einhaltung, Anlageneffizienz (OEE) und Betriebsnutzungszeit auf „Tachometern“ visualisiert. Ein automatisches Feinplansystem teilt die zu bearbeitenden Aufträge je nach verfügbaren Kapazitäten den Bearbeitungsmaschinen zu. Auf diese Weise lassen sich kritische Arbeitsgänge und Termintreue anzeigen und die Prioritäten tagesaktuell vergeben.

Auch die flexiblen Fertigungssysteme arbeiten vernetzt. Zum Beispiel sind die vollautomatischen Bearbeitungszentren mit Rüstplätzen und Lagerlogistik verkettet. Dies ermöglicht zeitlich begrenzt ein mannloses Arbeiten, was vor allem nachts und an Wochenenden von Vorteil ist. Die „intelligenten“ Fertigungsmittel identifizieren sich mittels RFID-Chip, über den auch die Werkzeugstandzeit überwacht wird.

Höchste Effizienz gilt auch für die Logistik: Das Hochregal-Lager organisiert sich selbst. Die diversen Transportmedien tauschen ihre Auftragsdaten aus, um kürzeste Transportwege sicherzustellen. Das Hängebahn-Transportsystem findet eigenständig seinen Weg durch die Produktion und legt dabei rund 250 km am Tag zurück. Über das Transport-Leitsystem werden täglich mehr als 100 000 Datensätze ausgetauscht und 3500 Transportaufträge gemanagt.

Die Montageplätze werden maschinenbezogen „just-in-sequence“ termingerecht mit Baugruppen beliefert. Deren Auslagerung, Online-Bestellungen (zum Beispiel von C-Teilen) und die Transportaufträge generiert das System automatisch.

Die Abnahme der Neumaschinen erfolgt digital. Dazu dienen rund 80 eigene, speziell ausgestattete Messwagen. Die „Arburg Test Frameworks“ generieren automatisch Prüfabläufe entsprechend der kundenspezifischen Maschinenkonfiguration, erfassen die Messdaten und erstellen ein papierloses ISO-konformes Prüfprotokoll für die lückenlose Dokumentation und Archivierung.

Fertigung schrittweise digitalisieren

Soweit der Blick in die Arburg-Fertigung. Der Digitalisierungsprozess setzt sich immer weiter fort. Die Integration von Informationstechnik in „smarte“ Maschinen könnte die Produktionstechnik künftig so stark verändern wie das Smartphone in den letzten Jahren das Alltagsleben verändert hat. Anders als ein Smartphone ist Industrie 4.0 jedoch kein Produkt „von der Stange“. Vielmehr gilt es, die dahinter steckenden Konzepte und Technologien ganz individuell auf den eigenen Betrieb und die eigenen Anforderungen zu evaluieren. Die Lösungen, die ein Spritzgießverarbeiter benötigt, sind darum nicht identisch mit denen, die Arburg in der eigenen Maschinenfertigung nutzt, auch wenn die Ziele ähnlich sind.

Ein Kunststoffverarbeiter etwa muss keinesfalls von heute auf morgen eine komplett vernetzte „Smart Factory“ realisieren, wenn er mit „Industrie 4.0“ in seinem Betrieb beginnen will. Stattdessen kann er sich seine eigene Sichtweise und seinen eigenen Lösungsansatz erarbeiten und Schritt für Schritt umsetzen, wie im Folgenden dargestellt.

Am Anfang stehen die Bestimmung der aktuellen Situation und die Analyse der Kompetenzen. Industrie-4.0-Konzepte lassen sich besonders dann erfolgreich umsetzen, wenn alle Unternehmensbereiche interdisziplinär kooperieren und ihr Know-how bündeln. Um erfolgreich in das Thema einzusteigen, bietet sich eine rechnergestützte, vernetzte Produktionsorganisation an oder erst einmal eine „Smart Machine“, die sich mit vernetzten Sensoren und Aktoren in Echtzeit selbst überwacht, steuert und optimiert.

Viele kleinere und mittlere Unternehmen haben den Weg in Richtung „Industrie 4.0“ bereits eingeschlagen und setzen Teilaspekte davon um. Zu nennen sind hier die Produktionsplanung mit einem Leitrechnersystem und der Einsatz moderner Maschinen mit selbsttätigen Regelfunktionen, um die Qualität und Prozessstabilität zu sichern. Oder das Nutzen von Assistenzsystemen der Maschinen oder auch das Fertigen mit flexibel automatisierten und vernetzten Turnkey-Anlagen. Arburg-Beispiele sind der Einrichtassistent für das menügeführte Rüsten und Einrichten und eine lagegeregelte Schnecke in Verbindung mit einer programmierbaren Druckumschaltung für das reproduziergenaue Einspritzen, weiter eine automatische Referenzkurvenregelung für gleichbleibend hohe Spritzteilqualität und eine Leitrechner-Schnittstelle.

Noch einmal Beispiele aus der Praxis der Kunststoffverarbeitung

  • Beim Herstellen von chargenspezifischem Schüttgut ermöglichen Industrie-4.0-Technologien eine prozesssichere Materialverifizierung und Rückverfolgbarkeit vom Serienprodukt bis zum Granulat. Dazu wird das Leitrechnersystem mit der Materialversorgung vernetzt und Chargendaten werden den Aufträgen automatisch zugeordnet.
  • Wie sich Serienteile durch Verketten des Spritzgießens mit der additiven Fertigung wirtschaftlich in Losgröße 1 herstellen lassen, zeigt exemplarisch das räumlich verteilte Fertigen von individualisierten Kofferanhängern. Online eingegebene Kundenwünsche fließen direkt in die Wertschöpfungskette ein und machen datengestützte Aktionen wie Online-Bestellungen möglich.
  • Zu den Industrie-4.0-Tools für Spritzgießmaschinen zählt zum Beispiel die systematische Energieverbrauchs-Erfassung, für die es seit kurzem das ALS-Zusatzmodul „Energy Visualisation“ gibt.
  • Für eine schnelle, effiziente und sichere Fernwartung lassen sich Spritzgießmaschinen mit einem Servicerouter und integrierter Firewall ausstatten.
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