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Aus zwei mach eins – Hybride Bauteile

Hybride Bauteile: Integrierte Prozesse liefern Multifunktionsteile aus verschiedenen Materialien
Aus zwei mach eins – Hybride Bauteile

Hybride Bauteile aus Kunststoff und Metall liegen im Trend. Sowohl im Stecker als auch im Karosserieteil sorgt die Kombination von Eigenschaften zweier Werkstoffe für vereinfachte Funktionsintegration, Gewichtsersparnis und Fertigungsvorteile. Die Fertigungstechniken bieten noch Entwicklungspotenzial.

Die Nachfrage nach hybriden Bauteilen habe auch in Krisenzeiten nicht nachgelassen sagt Frank Warmuth von der Diehl Metal Applications GmbH in Röthenbach. Das Unternehmen entwickelt und produziert elektrotechnische und elektronische Bauteile im Metall-Kunststoffverbund vor allem für die Automobilindustrie. Tatsächlich werden solche Verbunde seit mehr als 30 Jahren eingesetzt. Umspritzte Stecker oder Leadframes gehören ebenso zum Stand der Technik wie montagegespritzte Antriebselemente. Dennoch erfährt die Technik derzeit einen spürbaren Entwicklungsschub. Die verstärkten Leichtbauanstrengungen der Automobilindustrie im Zusammenhang mit dem E-Mobil rücken das Multi-Material-Design und damit auch integrierte Metall-Kunststoff-Hybride in den Fokus. Zum geringen Gewicht kommen dann noch weitere Vorteile durch die Kombination zweier Werkstoffe: Gestaltungsfreiheit und geringes Gewicht des Kunststoffs sowie die elektrische Leitfähigkeit und Festigkeit von Metallen ergänzen sich ideal.

Hergestellt werden Metall-Kunststoff-Verbundbauteile im einfachen Fall, indem Metall- und Kunststoffteil getrennt gefertigt und automatisiert montiert, geklebt, geschweißt oder geclincht werden. Vorteilhafter ist die Fertigung durch Umspritzen eines metallischen Einlegeteils mit Kunststoff, häufig Polyamid. Da sich beide Werkstoffe beim Spritzvorgang ohne zusätzlichen Haftvermittler nicht stoffschlüssig fügen, sorgen Hinterschneidungen für nietkopfähnliche Formschlussverbindungen.
Unterschieden wird zwischen Insert- und Outsert-Verfahren, je nachdem, ob es sich um Kunststoffteile mit metallischen Einlegern oder Metallteile mit angespritzten Kunststoffelementen handelt. Eine dritte Klasse bilden Hybridbauteile vor allem für Karosserieteile, bei denen Metall und Kunststoff gleichwertig auftreten. Ein Beispiel sind dünnwandige Blechschalen in denen eingespritzten Kunststoffrippen die endgültige Bauteilsteifigkeit sicherstellen.
Die Basis hybrider Bauteile sind in der Regel gestanzte und umgeformte metallische Einleger. Die Genauigkeit der Einleger sowie ihre präzise Positionierung und Fixierung in der Form durch Magnete, Klammern, Stifte oder Schieber sind maßgebend für die Maßhaltigkeit des Endprodukts.
Üblich ist es, die Einleger auf separaten Maschinen vorzuproduzieren und dann an den Spritzgießanlagen bereitzustellen. Dort werden sie von hochautomatisierten Systemen eingelegt, entnommen, geprüft und verpackt. Die Taktzeit des Spritzgießens bestimmt dabei die Produktivität des Prozess.
Das automatisierte Einlegen von Einzelteilen wird dabei sowohl bei Elektronikteilen als auch bei Fahrzeugteilen eingesetzt. So arbeitete bereits die Fertigungsanlage für eines der ersten Hybridbauteile in der Automobilindustrie, das Frontend des Ford Focus C-Max, mit einer roboterautomatisierten Bestückung. In dieser Konstruktion wurde eine dünnwandigen Stahlblechstruktur durch Kunststoffrippen mit mehreren integrierten Funktionselementen versteift. Ähnliche verrippte Kunststoff-Stahlblech- oder Kunststoff-Aluminiumblech-Konstruktionen finden sich heute beispielsweise im Frontend und auch im Dachrahmen bei einigen Audi-Modellen.
Statt der dort eingesetzten üblichen Formschlussverbindungen untersuchen Firmen wie die Lanxess Deutschland in Leverkusen auch verklebte Hybridstrukturen, die im Vergleich zur Standard-Hybridtechnik höhere Kräfte aufnehmen können. Zum Umspritzen werden die Stahlbleche vorher mit Haftvermittler beschichtet und mit einer Rippenstruktur umspritzt. Dabei entstehen keine punktuellen Verankerungen, sondern ein vollflächig haftender Verbund.
Wenn es die Geometrie der Einlegeteile zulässt, arbeiten Reel-to-Reel-Anlagen effizienter. Bei diesen Anlagen erfolgen Stanz- und Spritzgießprozess am Band, die Prozesse sind aber separiert. Die metallischen Teile werden auf Stanzautomaten mit mehr als 60 Hüben pro Minute vom Band gestanzt, verbleiben aber im Stanzgitter und werden mit diesem zur Rolle aufgewickelt. Von dieser Rolle laufen die Teile in die Spritzgießanlage ein und werden mit Taktzeiten von üblicherweise mehr als 10 s umspitzt. Vor und nach dem Umspritzen sind separate Pressstationen vorgesehen, um die vorproduzierten Teile zu richten oder zu biegen und nach dem Umspritzen freizustanzen. Mehrphasige Spritzgießwerkzeuge erlauben das parallele Umspritzen und Trennen in einem Werkzeug. Vor allem in der weiteren Verfahrensintegration sieht Frank Warmuth weiteres Einsparpotenzial. Neben Prüf- und Verpackungsstationen können weitere Montageoperationen integriert sein, so dass am Ende der Anlage einbaufertige Bauteile automatisch verpackt werden. Das Restgitter wird aufgewickelt und üblicherweise der Wiederverwertung zugeführt.
Im Gegensatz zu diesen Reel-to-Reel-Anlagen durchläuft das Band in In-Line-Fertigungsanlagen die in einer Linie angeordneten Stanz- und Spritzgießautomaten ohne Unterbrechung. Den Taktzeitausgleich zwischen schnellem Stanzen und langsamem Spritzgießen besorgen Bandschlaufen.
Mehrfaches Aufwickeln und Schlaufen sind potenzielle Problempunkte für die Qualität und die Wirtschaftlichkeit der Prozesse. Zudem ist der Rüstaufwand bei vielen Einzelmaschinen hoch. Stanzen, Biegen und Umspritzen auf einer Anlage mit verschiedenen variabel anzuordnenden Modulen bietet das System der MMS Modular Molding Systems GmbH & Co. KG im Österreichischen Wöllersdorf. Die Module werden aufgabenspezifisch zusammengestellt, wobei beispielsweise Trennmodule auch nach dem Spritzgießen die Vereinzelung der Bauteile übernehmen können. Gearbeitet wird vom Band, der Transport erfolgt im Stanzgitter. Die Anlage kommt ohne Schlaufen aus, das Band läuft in jedes Modul auf gleicher Höhe ein, was der Qualität zugute kommt. Mehrkomponentenspritzen oder das Verarbeiten zweier Bänder als Einleger sind möglich. Clou der Anlagentechnik ist das patentierte Multihub-Prinzip zum Ausgleich der Taktzeitunterschiede zwischen Spritzgießen und Stanzen. Dazu verfügt die Spritzgießform über mehrere Kavitäten zum gleichzeitigen Spritzen mehrerer Teile. Nach deren Zahl richtet es sich, wie viele Stanz- und Schweißhübe ausgeführt werden, bevor die Teile gemeinsam umspritzt werden. Für den nötigen flexiblen Vorschub sorgen Servomotoren in Kombination mit einer entsprechenden Steuerung.
Ebenfalls modular aufgebaut ist ein System auf Basis des NC-gesteuerten Fertigungssystems Bimeric von der Bihler Maschinenbau in Halblech zur Herstellung umspritzter Schalter-Baugruppen. Zusätzlichen zu den NC-Modulen fürs Stanzen, Biegen, Schweißen, Gewinden, Schrauben, Montieren und Beschriften kommt ein von der Arburg GmbH + Co KG in Loßburg beigesteuertes Modul zum Spritzgießen zum Einsatz. Der Prozess läuft durchgehend vom Rohband bis zum einbaufertigen Produkt, wobei die Teile im Transportgitter verbleiben. Auch dieses System kommt ohne Schlaufen und Puffer aus.
Nicht in verschiedenen Maschinen oder Modulen, sondern in einem Werkzeug auf einer Maschine fertigt die Kummer GmbH & Co. KG in Ötisheim Metall-Kunststoff-Verbundteile im sogenannten Folgeverbundspritzen. Stanz-, Biege- und Spritzgießprozesse sind im Folgeverbund auf einer Spritzgießmaschine zusammengefasst. Die Schließkraft der Spritzgießmaschinen wird im Werkzeug genutzt, um die Blechteile am Band zu stanzen, zu biegen, umzuformen und mit Kunststoff zu umspritzen. Das Verfahren lässt sich nach Angaben von Kummer für kleine und mittlere Stückzahlen wirtschaftlich einsetzen. Für eine gleichbleibende Qualität sorgt eine integrierte Qualitätskontrolle. Da nur ein Werkzeug für den gesamten Prozess notwendig ist, bleibt der Rüstaufwand überschaubar und Qualitätsverluste in der Verkettung sind nicht zu befürchten.
Die Fließfähigkeit des Kunststoffs setzt bei diesen Anlagen in der Regel der Länge der Produkte eine Grenze. Leistenähnliche Bauteile oder hybride Profile, wie sie beispielsweise bei Fenstereinsätzen benötigt werden, lassen sich mit dem von Hybrid Composite Products GmbH und IB Steiner, beide in Spielberg in Österreich, entwickelte Exjection-Verfahren herstellen. Das Verfahren verknüpft Extrusion und Spritzgießen, indem der formgebende Werkzeugeinsatz synchron mit der Schmelzeeinspritzung quer zur Maschinenlängsachse so verschoben wird, dass sich die Form kontinuierlich zum Profil verlängert. Über einen einzigen Anspritzpunkt können so Profile mit integrierten Befestigungs-, Abschluss-, Verstärkungs- und Dekorelementen in einem Fertigungszyklus hergestellt werden. Eine ausgefeilte Steuerung der vollelektrischen Spritzgießmaschinen passt Schneckenvorlaufgeschwindigkeit, Schmelzstrom und Verschiebegeschwindigkeit des Werkzeugeinsatzes an. Zur Verschiebung des Werkzeugeinsatzes wird ein Servomotor eingesetzt. Mit dem Verfahren lassen sich Formteile umhüllen, Metallteile einlegen und umspritzen oder Dekorfolien hinterspritzen.
Insbesondere im Hinterspritzen von Dekorfolien steckt deutliches Leichtbaupotenzial, weil die so hergestellten Bauteile zum großen Teil aus leichtem Kunststoff bestehen und metallisch aussehen. Dennoch fehlt vielen Verbrauchern die metallische Haptik, der sogenannte Cool-Touch Effekt. Eine wirtschaftliche Fertigungsmethode für diese Teile nutzt den Spritzdruck des Kunststoffs, um ein dünnwandiges Blech direkt in der Spritzgießmaschine auszuformen. Das eingelegte Blech ist dabei mit einem Haftvermittler versehen, der durch erwärmte Werkzeuge bei Temperaturen über 120 °C aktiviert wird. Erste serienreife Bauteile mit dieser Verfahrenskombination haben sich bereits auf dem Markt etabliert. Das strukturierte Bauteil entsteht dabei in einem einzigen Prozessschritt, ohne dass besondere Maschinentechnik nötig wäre, die Fertigung erfolgt auf Standard-Spritzgießmaschinen. Untersucht wird dieses Verfahren am Institut für Umformmaschinen der Universität Hannover (IFUM) und am Institut für Kunststofftechnik (IKV) an der RWTH Aachen.
Ohne vorgeformte Einleger lassen sich Metall-Kunststoff-Verbunde herstellen, wenn Metalldruck- und Kunststoffspritzgießen in einem Werkzeug und auf einer Maschine kombiniert sind. Damit werden beispielsweise am IKV Leiterbahnen im Spritzgießwerkzeug direkt mit dem Kunststoffteil erzeugt. Auch die Kombination von Aluminiumdruck- und Kunststoffspritzgießen wird hier untersucht. Die Vielzahl der Ansätze spricht für das Potenzial der Hybridteile, verdeutlicht aber auch, dass die Entwicklungsrichtungen noch offen sind.
Volker Albrecht Fachjournalist in Bamberg

Leicht oder wirtschaftlich

In der Branche werden üblicherweise Bauteile aus Metall-Kunststoff-Verbunden als Hybridteile bezeichnet. In deren Herstellung sehen Experten Einsparpotenziale von 20 bis 40 %, wenn moderne integrierte Produktionstechniken eingesetzt werden. Dabei werden rund 60 % aller Stanzteile, vor allem Elektroteile, schon heute mit Kunststoffen zusammen weiterverarbeitet. Hybrid- und Mischbauweisen oder Multi-Material-Design, die auch ohne metallische Einleger auskommen, werden derzeit über die Automobilindustrie hinaus erforscht. Für deren Einsatz in der Massenproduktion ist die Entwicklung und Integration der Fertigungsverfahren von zentraler Bedeutung. Letztlich müssen sich auch leichte Hybridbauteile wirtschaftlich an den Prozesszeiten ausgereifter Umformtechnik messen lassen.
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