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„Das Ziel muss sein, durch Klasse zur Masse zu kommen“

Prof. Robert Schmitt, Geschäftsführender WZL-Direktor, über die Zukunft der Fertigungstechnik
„Das Ziel muss sein, durch Klasse zur Masse zu kommen“

„Das Ziel muss sein, durch Klasse zur Masse zu kommen“
„Integrative Produktionstechnik hat zwei Dimensionen: Die Integration unterschiedlicher Technologien in einer Maschine und das Zusammenspiel sämtlicher Disziplinen, die am Entstehen von Produkt und Produktionsmittel beteiligt sind.“
Prof. Robert Schmitt erläutert die Themen des Aachener Werkzeugmaschinen- Kolloquiums AWK. Er ist Geschäftsführender Direktor des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen und Mitglied des Direktoriums am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen.

Herr Prof. Schmitt, welche Herausforderungen kommen auf Produktionstechniker in den nächsten Jahren zu?

Die Vielseitigkeit der Produktionstechnik fordert uns heraus, technologische und physikalische Hintergründe noch besser zu verstehen. Nur so lässt sich die bestmögliche Lösung für eine Fertigungsaufgabe finden. Besser, billiger und schneller zu produzieren erfordert ebenso optimierte organisatorische Abläufe. Die Qualifikation der Mitarbeiter zu verbessern und die Fähigkeiten – sowohl die technologischen als auch die planerischen – aller Beteiligten einzubinden, beinhaltet wichtige organisatorisch-gesellschaftliche Aspekte.
Das Motto des AWKs lautet ‚Integrative Produktionstechnik für Hochlohnländer‘. Was verstehen Sie darunter?
Integrative Produktionstechnik hat zwei Dimensionen. Erstens: die Integration unterschiedlicher Technologien in einer Maschine – und damit effizientere und präzisere Produktionsprozesse sowie die Möglichkeit, Fertigungsaufgaben zu beherrschen, die bislang nicht lösbar waren. Zur integrativen Produktionstechnik gehört zweitens, zu verstehen, wie Produkte erzeugt werden und wie sich Produkt, Technologie und Produktionsmittel gegenseitig beeinflussen. Das bedingt, dass alle an der Prozesskette Beteiligten interdisziplinär zusammenarbeiten und Produkt und Produktionstechnik parallel gestalten.
Wie muss sich Produktionstechnik entwickeln, damit die Fertigung in Hochlohnländern attraktiv bleibt?
Wir sollten dem Satz ‘Masse statt Klasse’ entgegensetzen: ‘Durch Klasse zur Masse’. Voraussetzung dafür ist das Verständnis, wie Produkte zu gestalten und zu produzieren sind, und welches Personal dafür nötig ist. Die Mitarbeiter ermöglichen effiziente, ressourcenschonende, reproduzierbare Prozesse, um hochwertige Produkte herstellen zu können. Wenn sich die äußeren Zielvorgaben ändern, müssen sich auch geplante Abläufe kurzfristig anpassen lassen. Entscheidend ist zudem, wie wir soziotechnische Aspekte berücksichtigen – das schafft uns Potenzial auch außerhalb von Hochlohnländern.
Was meinen Sie damit?
Erfolgreiche Unternehmen binden Mitarbeiter so ein, dass sie ihre Fähigkeiten voll nutzen können. Wiederkehrende technologische Aufgaben – etwa eine saubere Laserschweißnaht – erledigen Maschinen präziser. Andererseits können nur Mitarbeiter durch clevere Eingriffe Varianten erzeugen, die sich automatisiert so nicht verwirklichen lassen. Und wir brauchen Arbeitswelten, in denen es möglich ist, auch Menschen zu beschäftigen, die keine speziellen Fähigkeiten mitbringen. So können wir auch die Art, wie wir Arbeit und Produktion bewerten, ändern. Solange derjenige, der ein schickes Handy besitzt, ein höheres Sozialprestige genießt als derjenige, der dieses Handy baut, solange haben wir ein Problem.
Wie lassen sich Mitarbeiter einbinden, die keine besonderen Qualifikationen haben?
Wir arbeiten an Systemen, die sich einfach und intuitiv bedienen lassen, auch von weniger gut ausgebildeten Menschen. Das technologische Know-how in diesen Systemen liefern Spezialisten, die Bediener brauchen dieses nicht.
Was muss sich in den Betrieben ändern?
Das Taylor´sche und Ford´sche Prinzip – teile die Arbeit in möglichst kleine Einheiten auf, so dass die Mitarbeiter schnell einzuarbeiten sind –, hat dazu geführt, dass die Zielorientierung verloren ging. Sie wurde zugunsten des Abteilungs- oder Bereichsdenkens zurückgedrängt. Heute wissen wir, dass der Grundsatz ‚Optimiere alle Einzelbereiche, dann erhältst du ein optimales Produkt‘ nicht zum idealen Gesamtergebnis führt. Es ist zielführender, das Unternehmen mit allen Mitarbeitern auf das Gesamtziel auszurichten. Der Einzelne muss erkennen, welchen Anteil er am Gesamterfolg hat. Jeder muss verstehen, wie er in seinem Bereich Verschwendung minimieren kann. Das ist übrigens auch der einzige Weg, ökologisches mit ökonomischem Wirtschaften zu verbinden.
Wie können Technologie, Produkt und Fertigung weiter zusammenwachsen?
Im Moment gibt es die Systeme noch nicht, die eine aktive Rückkopplung zwischen Produkt und Produktionssystem erlauben. Das Verständnis von Technologie, Produkt und Produktion ist zwar bis zu einem gewissen Grad schon relativ gut, aber der ganzheitliche Ansatz über die gesamte Produktionskette fehlt noch. Um das zu erreichen, brauchen wir eine gemeinsame Simulationsplattform, mit entsprechenden Schnittstellen von der Grundlagenforschung bis zur Fabrikplanung. Das Einbinden der Simulation in bisherige Planungstools, das nahtlose Wechseln zwischen Realität und virtueller Welt, das wird ein zentrales Thema sein. Eine Herausforderung, an der wir noch arbeiten müssen!
Wann wird das praxisreif sein?
Es gibt erste Ansätze, aber bis diese Systeme flächendeckend verfügbar sind, vergehen eher noch sieben als drei Jahre.
Die Konjunkturzyklen werden immer kürzer und heftiger, Komplexität und Variantenvielfalt steigen ebenso wie der Preisdruck. Wie lässt sich das auflösen?
Die Herausforderung liegt in der Skalierbarkeit von Produkt und Produktionssystem. Und die müssen wir nicht auf der Produkt-, sondern auf der Technologieebene erreichen. In der Automobilindustrie gibt es zum Beispiel Produktionssysteme, die Türen für verschiedene Modelle fertigen. Und das geht nicht, weil deren Maße oder Formen gleich sind, sondern weil die Technologiefolge übereinstimmt. Schnell umrüstbare Anlagen sind eine Voraussetzung dafür. Kognitive Systeme werden hier künftig eine zentrale Rolle spielen.
Welche Möglichkeiten bieten sie?
Sie reagieren auf Änderungen des äußeren Zielsystems, indem sie Systemparameter oder sogar ihre Struktur eigenständig anpassen. Ein typisches Beispiel: Ein Montagesystem, bei dem die Bauteile nicht mehr in der vorgegebenen Reihenfolge ankommen, passt die Montageplanung selbstständig an. Der Einsatz kognitiver Systeme zielt in zwei Richtungen: Sie sollen helfen, Aufgaben einfacher zu planen und zu bearbeiten, und sie tragen zu einer besseren Energieeffizienz der Anlagen bei, indem sie Prozesse beobachten und an die jeweilige Situation anpassen.
Wie weit sind diese kognitiven Systeme?
Namhafte Steuerungshersteller sind dabei, sie zu implementieren oder zumindest zu prüfen, welche Möglichkeiten sie bieten. Bis zur Marktreife gehen aber vermutlich auch noch gut fünf Jahre ins Land.
Besteht nicht die Gefahr, dass Prozesse und Systeme zu komplex werden?
Das denke ich nicht. Wir reden über zwei Bereiche. Zum einen über die Experten, die die Systeme entwickeln und die nötige Intelligenz einfließen lassen. Sie müssen in der Lage sein, die Technologie zu gestalten, komplette Produktionsketten, das Produkt, die Produktion und notfalls auch den Vertriebskanal zu verstehen. Auf der anderen Seite steht der Anwender, dessen Leben die Systeme deutlich vereinfachen werden. Diese Systeme müssen diejenigen unterstützen, die sie nutzen.
Vergleichbar mit dem komplexen Produkt Auto, das fast jeder bedienen kann?
Genau. Und warum geht das beim Auto? Alle wesentlichen Bedienfunktionen sind standardisiert. Rechts Gas, Mitte Bremse, links Kupplung… Solche Standards brauchen wir auch in der Fertigungstechnik. Selbsterklärende Produkte, die nach außen kommunizieren, wie sie für den Benutzer funktionieren. Die Maschinensteuerung muss hinsichtlich ihrer Schnittstellen nach außen und ihrer Bedienung standardisiert sein. Die Algorithmen im Hintergrund, die all das überhaupt erst möglich machen, gehören zum geschützten Know-how. Deshalb birgt die Komplexität nicht nur Risiken, sondern auch die Chance, das geistige Eigentum zu sichern.
Ressourcen werden knapper, Umweltauflagen schärfer. Wie kann, wie muss die Fertigungstechnik reagieren?
Die rein kostenorientierte wirtschaftliche Betrachtung von Produkt und Prozess führt künftig nicht mehr zum Erfolg. Sie ergäbe, dass sich manche Maßnahme – noch – nicht lohnt. Aber das wird sich ändern. Spätestens wenn die Energie- und Rohstoffpreise weiter steigen. Deshalb ist jetzt die Zeit, die passenden Lösungen zu entwickeln und uns den Vorsprung zu sichern. Außerdem gibt es einen ethischen Aspekt: Wer, wenn nicht wir in den Hochlohnländern, sollte das umsetzen?
Gibt es eine Alternative dazu, Ökologie und Ökonomie zu verbinden?
Nein, denn zu den genannten Gründen kommt noch der Einfluss sozialer Netzwerke wie Facebook. Deren Macht wächst und damit die Macht der Verbraucher – auch im Investitionsgüterbereich. Bald werden Produkte, die ökologisch nicht durchdacht sind, nur noch schwer zu verkaufen sein.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
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